Ost und West friedlich aufeinander treffen zu lassen, gelingt derzeit wohl nur im Konzert. George Gershwin, Aaron Copland und Dmitri Schostakowitsch standen auf dem Programm des Philharmonischen Konzerts im Konstanzer Konzil. Während Gershwin und Copland in den Dreißiger- und Vierzigerjahren bei der Suche nach einem identitätsstiftenden, US-amerikanischen Musik-Idiom eine prägende Rolle spielten, rang Schostakowitsch etwa zeitgleich um die Souveränität eines sowjetischen Künstlers, der dem System gerecht zu werden versuchte, ohne seine künstlerische Integrität und Individualität aufzugeben.

Gershwin schrieb den kurzen Song „Walking the Dog“ 1937 für den Film „Shall We Dance“ mit Fred Astaire und Ginger Rogers. Das kurze Stück mit seinen lässigen Offbeats setzt sich sofort im Ohr fest. Ein Gute-Laune-Auftakt, den die Südwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von Gabriel Venzago souverän jazzend aufs Parkett legt.

Dass in dem Stück die Solo-Klarinette (Kai Ahrens!) eine prominente Rolle spielt, weist gewissermaßen auf das voraus, was nun kommt: Aaron Coplands Klarinettenkonzert, das dieser für Benny Goodman komponiert hatte.

Nicht nur Klezmer-Klarinettist: David Orlowsky.
Nicht nur Klezmer-Klarinettist: David Orlowsky. | Bild: Kaupo Kikkas

Schön, dass dieses Instrument mal wieder den Ehrenplatz im Solokonzert einnehmen darf. David Orlowsky füllt die Rolle virtuos und mit Hingabe aus. Das Stück hat von beidem etwas: Einen langsamen Satz der sehnsuchtsvollen Melodik und einen raschen, scharfkantigen, zwischen Neoklassizismus und Jazz changierenden Satz. Dazwischen steht eine lange Solokadenz.

Orlowsky entwickelt sie behutsam fast aus der Stille heraus, bis sie schließlich anfängt zu swingen. Überhaupt zeigt er sich als klangsensibler Interpret, der vor allem im ersten Satz in jede der melodisch ausgreifenden Wendungen hineinspürt und ihren emotionalen Gehalt auslotet. Orlowsky ist als Klezmer-Klarinettist bekannt geworden, aber an diesem Abend zeigt er, dass man ihn nicht darauf reduzieren sollte.

Eine Demutsbekundung

Dirigent Gabriel Venzago hatte schon bei seinem Bewerbungsdirigat im vergangenen Jahr mit Schostakowitschs 9. Symphonie beeindruckt. Nun legt er mit der 5. Symphonie nach. Und wiederum gelingt ihm mit der Südwestdeutschen Philharmonie eine Interpretation, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Das Werk ist doppelbödig. Schostakowitsch schrieb es 1937 als Reaktion auf einen von der kommunistischen Partei lancierten vernichtenden Artikel. Sie sei, so Schostakowitsch, „die Antwort eines sowjetischen Künstlers auf eine berechtigte Kritik“. Eine Demutsbekundung also. Doch wie aufrichtig war sie gemeint? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Vor allem das Ende der Symphonie lässt Fragen offen: Ist das jetzt ein optimistischer Jubelschluss, wie das sowjetische Regime sich ihn wünschte, oder einer, der in nur vermeintlichem Überschwang alles kurz und klein haut? Triumphale Schlüsse tragen zwar gerne dick auf, aber hier hat der Komponist an der Apotheosen-Schraube doch auffällig stark gedreht, so dass die Wirkung zu kippen droht. Später soll Schostakowitsch gesagt haben, der Jubel sei „unter Drohungen erzwungen“ gewesen – eine Lesart, die der Westen nur zu gerne annahm.

Doch ganz so leicht macht es sich Gabriel Venzago nicht. Sicherlich, auch bei ihm geht es mächtig zur Sache, laut, irgendwie übertrieben – aber doch immer so kultiviert und brillant, dass man den Triumph für bare Münze halten kann, wenn man denn dazu bereit ist. Vielleicht also hat Schostakowitsch seine sowjetischen Zeitgenossen nicht einfach nur an der Nase herumgeführt. Vielleicht lässt sich die Frage, wie er es „eigentlich“ gemeint hat, auch gar nicht wirklich beantworten. Und vielleicht kommt Venzago genau deswegen Schostakowitschs Intention besonders nahe.

Und nicht nur im letzten Satz. Natürlich auch in dem doppelbödigen Scherzo, das so sehr an Mahler erinnert. Ganz wunderbar auch das tieftraurige Largo, das Venzago wie einen einzigen großen und stillen Seufzer gestaltet und dessen vielen Solostellen er wie Kostbarkeiten präsentiert. Und das sind sie auch: Die Musiker wachsen hier förmlich über sich hinaus. Der neue Chefdirigent, er tut der Spielkultur des Orchesters hörbar gut.

Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie.
Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie. | Bild: Aurelia Scherrer

Am Schluss des Abends kam Intendantin Insa Pijanka auf die Bühne, um sich vom Publikum zu verabschieden. Es sei wohl das letzte Mal, dass sie an dieser Stelle stehe, sagte sie mit Hinblick auf den Auflösungsvertrag, den sie derzeit mit der Stadt aushandelt.

Dass das Konzertprogramm ausgerechnet unter dem Titel „Unter Verdacht“ steht, bezeichnet sie als die „Ironie dieses Abends“. Und doch kommt ihr kein bitteres Wort über die Lippen, als sie an das Publikum appelliert, dem Orchester die Treue zu halten. Es ist ein emotionaler Moment, in dem es Pijanka gelingt, den richtigen Ton zu treffen. Und als sich das Publikum erhebt, um ihr zu applaudieren, wird auch klar: manch einer wird sie vermissen.

Weitere Aufführung: Mittwoch, 18. Januar, 19.30 Uhr, Konzil Konstanz.

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