Stellen Sie sich vor, in Deutschland gäbe es keine Bundeswehr, sondern 16 Landeswehren. Jedes Bundesland könnte selbst entscheiden, in welche Teilstreitkräfte es sein Militär einteilt, mit welchen Waffen die Soldaten ausgerüstet werden, welche Dienstgrade es gibt, welche Kommandostrukturen, Einsatz-Szenarien, Taktiken und Ausbildungsinhalte. Auch könnte zum Beispiel das Saarland selbst entscheiden, ob, wann, wie und gegen wen es in Kampfhandlungen eintreten will.

16 unterschiedliche Lern-Realitäten

Was fürs Militär (offen gesagt) reichlich bescheuert klingt, ist in der Bildung exakt so. Baden-Württemberg hat eine ganz andere Lehr- und Lern-Realität als zum Beispiel Schleswig-Holstein. Die Lehrer sind unterschiedlich ausgebildet (fachlich und pädagogisch-didaktisch), es gibt unterschiedliche Lehrpläne, Lernmaterialien, Schulformen, Bildungswege. Die Systeme folgen teils gegensätzlichen Prämissen. Zum Beispiel, ob sie Schüler nach Leistung früh in verschiedene Schularten trennen (wie in Baden-Württemberg), oder eben gerade nicht, oder was sie in Prüfungen abfragen (oder nicht).

Ziel des Militärs ist, die Sicherheit eines Landes nach außen zu wahren. Die Aufgabe von Bildung ist, die Zukunft einer Gesellschaft zu sichern, indem sie Kompetenzen vermittelt, Sozialverhalten und Persönlichkeiten entwickelt. Doch während wir unsere Soldaten nicht mit 16 verschiedenen Sturmgewehren ausrüsten, leisten wir uns 16 verschiedene Schulsysteme.

Vier Mal so viel Geld wie fürs Militär

Das lassen wir uns was kosten. 1,3% des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) fließen ins Militär. Die Bildung bekommt etwa viermal so viel. Im Jahr 2021 bedeutete das rund 10 000 Euro pro Schüler. Und trotzdem entlassen wir Jahr für Jahr fast 50 000 von ihnen ohne Schulabschluss ins Leben, gut 6% jedes Jahrgangs. Diese Quote bleibt seit zehn Jahren stabil, obwohl die Ausgaben nach oben und die Schülerzahlen nach unten gehen. Und warum tun wir das? Weil es in der Bildungspolitik weniger um Bildung als um Politik geht.

Ideologisches Schlachtfeld

Die Länder bewachen eifersüchtig ihre Hoheit gegenüber dem Bund und positionieren sich mit ihrer Bildungs-Logik gegen andere Länder (Bayern und Baden-Württemberg tun das ganz besonders gern und herablassend). Jede Partei nutzt das Bildungssystem als ideologisches Schlachtfeld, weshalb bei jedem Regierungswechsel ganze Schularten abgeschafft oder neu erfunden werden, Inhalte aus dem Bildungsplan gestrichen oder wieder aufgenommen, Aus- und Fortbildungs-Strukturen für Lehrer auf den Kopf gestellt und Maßstäbe für Qualität und Erfolg von Bildung so umdefiniert werden, dass sie die eigenen politischen Ideen bestätigen. Die Folge: Ein Schlingern und Irrlichtern, wo es Kontinuität bräuchte. Denn Bildung ist ein langsames, in Generationen rechnendes Geschäft.

Um nochmal den Militär-Vergleich zu bemühen: Da rennen nicht nur 16 verschiedene Kampftruppen herum und kämpfen unkoordiniert (oder sogar gegeneinander – etwa wenn Baden-Württemberg mit den Verlockungen des Beamtentums Lehrer in anderen Bundesländern abwirbt). Nein, auch die Befehle ändern sich: Nachdem wir fünf Jahre in die eine Himmelsrichtung marschiert sind, machen wir bei einem Regierungswechsel kehrt und marschieren die nächsten fünf Jahre denselben Weg wieder zurück. Welche Armee der Welt würde sowas tun?

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