Es ist ein langer Abschied, keine Frage: Bereits vor 13 Jahren, als der britische Sänger Mick Hucknall und seine Band Simply Red (mal wieder) im Zürcher Hallenstadion gastierten, hieß die damalige Tournee: „Farewell – The Final Tour“. Es war damals keineswegs der letzte Auftritt des inzwischen 63-Jährigen in der Region, und der vorgestern auf dem Salemer Schlossplatz ist es möglicherweise auch nicht.
Denn Hucknall und seine routiniert aufspielenden Kollegen – von denen keiner mehr zur Urbesetzung von Simply Red 1985 gehört – machen eigentlich nicht den Eindruck, als würden sie sich konsequent auf die Rente vorbereiten – im Gegenteil: Was Spielfreude und musikalische Virtuosität betrifft, kann die britische Truppe noch allemal den Youngstern zeigen, was eine Harke ist.
Und dennoch dauerte es eine Weile, bis auf dem Schlossplatz an diesem Abend der Funke übersprang – was in erster Linie an dem stoisch vor sich hin nieselnden Regen lag, der nach den ersten paar Songs einsetzte. Hucknall, als Brite, nahm es gelassen hin. „Ich bin in Manchester geboren“, verkündete er launig, „da regnet es immer.“
Und er empfahl, sich gedanklich ins sonnenverwöhnte Jamaica zu versetzen, und unterstützte dies auch sofort musikalisch, indem er „Night Nurse“ anstimmte, einen schmissigen Reggae-Song, der prompt Wirkung zeigte: Immer mehr Zuschauer auf den Sitzplätzen standen auf und begannen mit zu wippen – ein erster Höhepunkt des Konzerts.
Als schließlich „Stars“ ertönte, der wohl größte Hit im Repertoire und Titelsong des gleichnamigen Albums, saß dann so gut wie niemand mehr. Zweifellos hat Hucknalls Stimme im Verlauf der vielen Jahre ein wenig gelitten, aber noch immer ist genügend übrig von der einschmeichelnden Samtigkeit, die sie immer ausgezeichnet hat, um die Herzen vor allem der weiblichen Fans zum Schmelzen zu bringen.
Natürlich sind Letztere synchron mit ihrem Idol gealtert – aber es ist nun einmal so, dass die ganz große Zeit von Simply Red nun schon ein paar Jahrzehnte zurückliegt. Und Hucknall ist Gentleman genug, um sich so rüde Statements zu verkneifen, wie sie etwa kürzlich Jean-Jacques Burnel bei einem Konzert seiner Band The Stranglers von sich gab: „Oh – sind ja fast nur Rentner hier“, konstatierte er nach einem Blick auf seine Fans.
Mick Hucknall war der unbestrittene König des Schmuse-Soul in den 1980er- und 1990er-Jahren und hatte mit Simply Red zahllose Single-Hits – die meisten davon waren auf dem Schlossplatz zu hören: „Holding Back The Years“ etwa, „Money‘s Too Tight (To Mention)“, „Something Got Me Started“ und und und. Ein gefühlvolles Saxophonsolo, gespielt von Kevin Robinson, veredelte „Thrill Me“, einen Hit von 1992, und „Your Mirror“ – aus demselben Jahr – gewann enorm an Geschmeidigkeit durch einen sanften Keyboardteppich, ebenfalls von Robinson gespielt.
Gitarrist sorgt für besondere Note
Von der aktuellen Simply Red-Besetzung ist unbedingt auch noch Gitarrist Kenji Suzuki erwähnenswert, vor allem bei den eher Funk-beeinflussten Stücken der Band – etwa „Come To My Aid“ – sorgte er für eine besondere, etwas härtere Note. Nicht weniger als vier der in Salem präsentierten Songs stammten übrigens vom Album „Stars“, 1991 der bisher größte kommerzielle Erfolg von Hucknall und seiner Truppe – allein in Deutschland verkaufte es sich rund 1,3 Millionen Mal. Drei Stücke aus dem erst vor rund zwei Monaten erschienen Album „Time“ präsentierte die Band auf dem Schlossplatz – in Deutschland eroberte es immerhin Platz 9 der Charts.
Und eine sehr sympathische Hommage an die kürzlich verstorbene Tina Turner gab es auch noch an diesem Abend: Mit „Nutbush City Limits“ coverten Simply Red, im Zugabenteil, einen der größten Hits der Rock- und Soul-Diva – Gelegenheit für die Band, auch ihre stilistische Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen. Mit „If You Don‘t Know Me By Now“ wurde dann das Publikum in die Salemer Nacht entlassen, einem Schmuse-Soul-Klassiker allererster Güte, ursprünglich ein Hit von Harold Melvin & The Blue Notes (1972), dann einer für Simply Red (1989). Der typische sommerliche Bodensee-Starkregen setzte dann erst eine knappe halbe Stunde nach Konzertende ein – vielleicht fand Petrus doch ein wenig Gefallen an der Musik?