Frau Mutter, am 29. Juli ist Ihr Geburtstag. Freuen Sie sich darauf oder haben Sie ein wenig Angst davor?
Ich freue mich auf jeden Geburtstag. Ich feiere gerne. Und es freut mich sehr, dass meine Kinder dabei sein werden. Es stimmt mich natürlich auch traurig, dass mein Mann, der Vater meiner Kinder, kurz nach seinem 60. Geburtstag verstarb. Umso bitterer, weil ich jetzt nämlich weiß, wie man sich mit 60 Jahren fühlt – nämlich sehr gut.
Mit welchen Gefühlen und Gedanken schauen Sie zurück auf Ihr bisheriges Leben?
Gar nicht (lacht). Ich schaue grundsätzlich nicht zurück. Natürlich sind wir alle auch das Ergebnis unserer Vergangenheit und müssen darüber reflektieren, was wir an Gepäck herumtragen und wo es noch Änderungsbedarf gibt. Jeder Tag ist für mich eine Lernstunde im Umgang mit meinen Kindern, meinen Stipendiaten. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mein Hobby zu meinem Beruf machen konnte.
Sie sind bereits mit 13 Jahren international bekannt geworden, weil Sie mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan bei den Salzburger Pfingstfestspielen debütierten. Sie hatten zumindest von außen betrachtet nie eine musikalische Krise. Betrachten auch Sie Ihre musikalische Laufbahn als eine kontinuierliche – oder gab es Sprünge, Zweifel oder auch Rückschläge?
Alles davon. Es gab in meinem privaten Leben Situationen, die mich aufs Äußerste erschüttert haben. Und auch in meinem musikalischen Leben haben sich Herausforderungen ergeben, bei denen ich mir eigentlich sicher war, dass ich scheitern würde. Aber ich besitze eine unstillbare Neugier. Und bin auch der Meinung, dass Scheitern nichts Schlimmes ist. Rückschläge sind immer ein Teil des Weges. Meine Frustrationsgrenze ist extrem hoch. Aufgeben gibt es für mich nicht.
Die Freiburger Fernsehjournalistin Sigrid Faltin hat einen 90-minütigen Dokumentarfilm über Sie gedreht, der in den Kinos läuft. Der Titel „Vivace“ suggeriert, dass es in Ihrem Leben schnell zugeht. Man erfährt auch, dass Sie nie müde sind – außer, als sie eine Corona-Infektion hatten. Woher nehmen Sie die Energie?
Das haben Sie etwas überspitzt dargestellt. Meinen Kindern fiel auf, dass ich müde bin – daraufhin habe ich am nächsten Tag einen Corona-Test gemacht, der positiv war. Aber es stimmt: Ich habe viel Energie. Das war schon als Kind so. Und wenn ich einmal nicht schlafen kann, wird gearbeitet. Frau Faltin fiel diese Facette meiner Persönlichkeit auf – deshalb wählte sie „Vivace“ als Titel. Ich hätte eher „Presto“ genommen (lacht). Aber auch ich bin mal müde, keine Sorge.
Der Tennisspieler Roger Federer, dessen Fan Sie sind, erzählt im Film, dass er sich bei einem Konzertbesuch gewundert habe, dass zwischen den Konzertsätzen nicht geklatscht werde. Auch sei er von seinem Nachbarn gerügt worden, weil er Sie kurz mit dem Handy filmte. Sie antworteten Federer, dass diese Strenge ein Fehler der klassischen Musik sei. Was würden Sie gerne anders haben im Klassikbetrieb?
Das Abfilmen von Konzerten finde ich grundsätzlich störend und überflüssig, da die Aufnahmen in der Tonqualität grauenvoll sind. Es ist natürlich auch urheberrechtlich verboten. Darüber hinaus empfinde ich den Konzertbesuch allerdings häufig besonders im Vergleich zur Oper oder zum Ballett als befremdlich zurückhaltend seitens des Publikums.
Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn zwischen den Sätzen geklatscht wird. Es geht im Konzertsaal nicht um das Befolgen eines Benimmknigge. Wenn man etwas großartig findet, kann man auch mal nach einem Konzert laut schreien vor Begeisterung. Das mache auch ich – und werde dafür manchmal schräg angeschaut.
In der Corona-Pandemie beklagten Sie in der politischen Debatte die fehlende Wertschätzung der Musik und der Musikausübenden. Hat sich daran inzwischen etwas verändert?
Besonders bitter ist es für uns Musiker, dass wir inzwischen wissen, dass das gesundheitlich begründete Wegsperren eine völlig falsche Entscheidung war – diesbezüglich ist auch Gesundheitsminister Lauterbach inzwischen sehr viel einsichtiger. Natürlich verfügten wir damals auch nicht über das Wissen, das wir heute haben. In der Vergangenheit hat man Musiker in der Politik gerne als Kulturbotschafter eingesetzt, um ein gutes Klima für Wirtschaftsverhandlungen mit China oder Russland zu schaffen. Aber wenn die Musik den Politikern keinen direkten Nutzen bringt, wird sie als verzichtbar angesehen.
Was bedeutet Musik für Sie ganz persönlich?
Musik macht das Leben um so vieles reicher und emotional tiefer. Musik führt in wunderbarer Weise Menschen zueinander, weil im Moment des Konzerterlebnisses alle gleich sind und alle die gleichen Emotionen haben. Das hat schon etwas Befriedendes.
In der letzten Szene im Film verlassen Sie mit Ihrem Dackel Bonnie ein Restaurant, in dem Sie sich nach einer langen Wanderung in den Kitzbüheler Alpen mit dem Filmteam gestärkt haben. Und verabschieden sich mit den Worten: „Auf zu neuen Ufern.“ Wohin geht es für Sie?
Das ist mein Leitspruch. Außerdem sage ich noch gerne zu meinen Kindern: Follow me – und alle lachen, weil mein Orientierungssinn leider nur auf der Bühne existiert. Die Hinwendung zu neuen Dingen, neuen Kompositionen, neuen Erfahrungen ist aber wirklich eine Konstante in meinem Leben. Das galt vor dreißig Jahren genauso wie heute.