Jede Reise ist auch eine Reise zu sich selbst. Ganz besonders, wenn das Ziel das Meer ist. Es gilt seit jeher als Spiegel der Seele. Die einen verbinden mit ihm Sommer, Sonne, Sonnenschein. Die anderen Tod und Vergänglichkeit. Da machen Schriftsteller keine Ausnahme. Immer schon zog es dieses ohnehin nachdenkliche Völkchen ans Meer. Nicht jeder von ihnen wurde dort glücklich.
Charles Dickens, Autor des „Oliver Twist“, machte sich 1842 auf den Weg zu einer Lesereise in USA und begab sich an Bord eines Postdampfers. Er fühlte sich darauf wie in einem „gigantischen Leichenwagen“, geradezu wie eine „Giraffe im Blumentopf“, schreibt er in seinen „American Notes“. Seine Kabine schildert er als „eine schrecklich unpraktische, ganz und gar hoffnungslose und zutiefst lächerliche Schachtel“. Der Ärger schlägt ihm sogar auf den Magen. Oder ist es der Seegang?
Nur mit Rotwein und Brandy weiß er sich während der vierzehntägigen Überfahrt zu trösten. Zu allem Überfluss läuft das Schiff bei Mondschein auch noch auf eine Sandbank auf und kommt erst wieder frei, nachdem Fässer und Ladung über Bord geworfen wurden.
Der Magen verweigert den Dienst
Auch Ernst Jünger kuriert mehr als 150 Jahre später auf der Überfahrt nach Asien seine Seekrankheit mit Whisky aus. In den ersten Kapiteln seiner Tagebücher „Siebzig Verweht“ (1978) berichtet er davon. In Hamburg schwärmt er noch vom „Titanenreich“ des Hafens. Auf dem Mittelmeer dann, nachdem er von Deck aus den Ausbruch des Stromboli bewundert hat, nimmt der Wind zu und der Magen verweigert den Dienst.
Die Tage bis zur Ankunft in Singapur – wo er sich über Bridge-spielende und fortwährend auf Shopping-Tour gehende Britinnen echauffiert, die sich für die Sehenswürdigkeiten der Stadt gar nicht interessieren – vertreibt er sich mit der Lektüre von Lichtenbergs „Aphorismen“. Auf der Rückreise schenkt ihm der Kapitän dann eine Riesenschwimmwanze, was Jünger auf die Idee bringt, an Bord auf Insektenjagd zu gehen, um seine Käfersammlung zu vervollständigen.
Auch Nobelpreisträger Thomas Mann nutzte die Zeit auf See zur Lektüre, weil er den Rundgang auf dem Promenadendeck als „verdummend“ empfand und man nicht den ganzen Tag „Deck-Golf“ spielen kann. Er schmökert 1934 auf der Überfahrt mit dem Luxusliner „Volendam“ nach Amerika im „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes.
Eigentlich mag er ja das Meer. In Nida auf der Kurischen Nehrung hat er sich extra ein Haus bauen lassen, in dem er von 1930 bis 1932 den Sommer verbringt. Er schreibt dort seine Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“. Als der Nationalsozialismus ihn selbst an diesem vergessenen Fleckchen Erde einholt und ihn mit der Post ein verkohltes Exemplar seines „Buddenbrooks“-Romanes erreicht, kehrt er nie wieder nach Nida zurück. Er geht ins amerikanische Exil und lässt sich in Pacific Palisades nieder. Auch das liegt, wie der Name schon sagt, am Meer.
Nicht auf einem Luxusliner, sondern auf einem gewöhnlichen Segelschiff reiste der Russe Iwan Gontscharow. Von 1852 bis 1855 war der Literat, dem man nachsagt, ihn hätte ein gewisser Hang zur Faulheit mit der Hauptfigur aus seinem berühmten Roman „Oblomow“ verbunden, auf der Fregatte „Pallas“ auf den Weltmeeren unterwegs.
Selbst auf Reisen konnte er nicht aus seiner Haut. „In Petersburg hielt ich immer für die Ursache meiner Langeweile, dass ich nichts gesehen hatte, nirgendwo gewesen war, die Natur nur aus Büchern kannte“, schreibt Gontscharow in seiner Bilanz. Was aber sagt er nach seiner 28-monatigen Weltumsegelung, die er vornehmend unter Deck verbrachte? „Aus Mangel an Bewegung haben sich meine Hämorrhoiden vermehrt, und ich habe einen solchen Bauch gekriegt, dass ich allein deswegen zur bemerkenswerten Persönlichkeit einer Gouvernementsstadt würde.“
Selbst Schriftsteller also, die an und für sich nicht als Bewegungstalente bekannt und durch ihre Schreibtischarbeit zum Stillsitzen verdammt sind, fühlen sich auf See in ihrer Freiheit beschnitten. Besser also am Strand bleiben, oder auf der Promenade flanieren und die Badegäste beobachten, wie Heinrich Heine das in den 1820er Jahren auf Helgoland tat.
Er entdeckte nicht nur die Ähnlichkeit der weiblichen Badegäste mit „schöngebackenen Torten“, was ihn heute zur Zielscheibe einer hitzigen MeToo-Debatte machen würde. Der ausgebuffte Dichter stellte auch so manch gewagte These auf. Etwa die, dass einheimische Insulanerinnen sich weniger durch ihre Tugend als vielmehr durch ihren „Fischgeruch“ vor allzu aufdringlichen Feriengästen zu schützen pflegten. Umso erstaunter gab sich Heine, wenn die Insulanerinnen trotzdem „Kinder mit badegästlichen Gesichtern“ zur Welt brachten …