Darf man gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sein? Selbstverständlich! Muss jeder, der sich gegen solche ausspricht, öffentlich Gehör finden? Da wird die Sache kompliziert.

Der Soziologe Harald Welzer und der Publizist Richard David Precht klagen, ihre Meinung zum Ukraine-Krieg finde zu wenig Beachtung. Sie tun dies im ZDF, im Deutschlandfunk, in der „Zeit“ und in einem Buch, das der Fischer-Verlag in sämtliche Buchhandlungen liefert. Es hat schon Meinungen mit geringerem Resonanzraum gegeben.

Und doch, in Talkshows zumindest fühlt sich Precht ungerecht behandelt. Fair, so argumentiert er im „Zeit“-Interview, gehe es nämlich erst zu, wenn „Befürworter von Waffenlieferungen und Zweifler daran gleichmäßig besetzt“ sind. Ein kritischer Geist wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gelte nicht, der stehe Waffenlieferungen zwar zurückhaltend gegenüber, lehne sie aber nicht grundsätzlich ab.

Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2A6 fährt während einer Gefechtsvorführung über den Übungsplatz im niedersächsischen ...
Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2A6 fährt während einer Gefechtsvorführung über den Übungsplatz im niedersächsischen Munster: Auf der Wunschliste der ukrainischen Regierung steht dieses Fahrzeug ganz oben. | Bild: Philipp Schulze

Nun reichte das Meinungsspektrum in den ersten Monaten des Ukrainekriegs von Einrichtung einer Flugverbotszone mit Kriegseintritt der Nato (Deniz Yücel) bis zum Komplettverzicht auf Waffenlieferungen bei Aufhebung sämtlicher Wirtschaftssanktionen (Sahra Wagenknecht).

Diese Extreme bildeten die Klammer um einen breiten Fächer ganz unterschiedlich ausdifferenzierter Meinungsbilder. Dass speziell die Variante Welzer-Precht – „Sanktionen ja, Helme auch, aber bei Panzern hört‘s auf“ – in Talkshows zu 50 Prozent vertreten sein soll, ist nicht einzusehen.

Gute Argumente gegen Waffen

Im Meinungskorb all derer, die Waffenlieferungen eher kritisch gegenüberstehen, sind gute Argumente zu finden. Manche finden zu wenig Beachtung. Zum Beispiel mit Blick auf die überhastet zurückgelassenen russischen Panzer während der ukrainischen Gegenoffensive: Wer garantiert, dass nicht bei unglücklichem Kriegsverlauf auch westliche Waffen den Besitzer wechseln?

Solche Fragen in größtmöglicher Offenheit zu diskutieren, ist nicht nur ein lästiges Zugeständnis an demokratische Werte. Es markiert sogar den entscheidenden strategischen Vorteil gegenüber totalitären Systemen, in denen unbequeme Wahrheiten gar nicht erst zum Machthaber durchdringen.

Doch so ganz unbeschwert und sachorientiert streiten, frei von Vorbehalten gegenüber Personen und ihren möglichen Motiven: Was man sich in anderen Zusammenhängen deutlich öfter wünschen würde, ist mit Blick auf die Propagandamethoden des Kreml mit Vorsicht zu betrachten.

Die gezielte Einflussnahme auf kulturelle, soziale und mentale Strukturen westlicher Gesellschaften ist über Jahre hinweg vorrangiges Ziel russischer Wirtschafts- und Außenpolitik gewesen. Nur zu gerne haben sich deutsche Kulturmanager und Intendanten dabei in Dienst nehmen lassen. Wie tief der Sumpf reicht, zeigte sich im Vorfeld der diesjährigen Salzburger Festspiele, als bekannt wurde, dass der Kreml sogar über ganze Konzertreihen und Opernspielpläne mitbestimmte.

Das könnte Sie auch interessieren

Ein und dasselbe Argument kann ganz unterschiedlichen Motiven entspringen. Der eine warnt vor einer Eskalation durch Waffenlieferungen, weil er als Sozialwissenschaftler über Gewaltspiralen geforscht hat. Der andere tut es, weil er einst von Gazprom-Sponsorengeldern profitierte und noch immer gute Kontakte zu Oligarchen unterhält.

Diskurs ist nur möglich, wenn alle an die redlichen Absichten und vorhandene Einsichtsfähigkeit ihres Gegenübers glauben. Dieses Vertrauen kann nicht entstehen, wenn Menschen am Tisch sitzen, die sich Jahrzehnte lang dadurch hervortaten, jegliche Kritik am Putin-Regime als „Dämonisierung Russlands“ zu diskreditieren (wie die Buchautorin und vermeintliche Ost-Expertin Gabriele Krone-Schmalz) oder gar dem Autokraten gleich einen Orden an die Brust zu heften (wie Dresdens Opernballchef Hans-Joachim Frey).

Eine zentrale Forderung der identitätspolitischen Bewegung gewinnt deshalb in der Auseinandersetzung um die Ukraine-Politik an Bedeutung: Nicht allein darauf achten, was gesagt wird, sondern auch darauf, wer es sagt. Das gilt insbesondere für sogenannte sozialen Netzwerke.

Das könnte Sie auch interessieren

Dort entsteht immer öfter der Eindruck, moskaufreundliche Argumentationsmuster dominierten geradezu das öffentliche Meinungsbild in Deutschland. Bei näherer Betrachtung stellt man dann fest: Wer da so putinesk drauflos twittert, trägt selten seinen tatsächlichen Namen, ist meist erst seit kurzem angemeldet und hat verdächtig viel Zeit für das Verfassen von Propaganda-Tweets.

Der strategische Vorteil demokratischer Gesellschaften liegt im Korrektiv des Meinungspluralismus. Man muss dieses Korrektiv nur vor der Propaganda schützen.