Am Dienstag verlor ich einen Teil meines Ichs. Mal wieder. Ja, na gut, möglicherweise übertreibe ich etwas. Kann schon sein. Aber, hey, als mein Smartphone an besagtem Dienstag endgültig den Geist aufgab, war da schon ziemlich viel von mir drin. Die Einnahmen-Ausgaben-Tabelle, die ich seit Anfang des Jahres akribisch führe (Inflation lässt grüßen). Ein paar Ideen, Serien-, Buch- und Filmempfehlungen von Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen. Zigtausend Sprachnachrichten von und an meine Freundin aus Italien. Hochzeitsbilder. Die Lauf-App, die Corona-App, die Bahn-App.
Schon ein paar Tage zuvor war das Handy aufs Gesicht, also sein Display gefallen. Trotz Panzerglas viele, viele Risse. Und dann der Dienstag. Plötzlich weigert es sich anzuspringen. Einfach nichts, Leere. Statt dem freundlichen Startbildschirm-Smiley nur die traurigen Risse im Glas auf schwarzem, totem Hintergrund.
Nachdem sich die Panik gelegt hatte ...
Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, nachdem die Panik sich gelegt hatte: Wie soll ich ohne den Smartphone-Wecker morgens wach werden? Wie erkläre ich mein Zuspätkommen dann den Kolleginnen? Was ist mit den Bildern, den schönen Bildern von meinen Katzen? Na gut, kann ich ja neue machen.
Aber ob Muckel sich noch einmal so wunderbar in die Sonne legen und gähnen würde, ausgerechnet, wenn ich ihn fotografiere? Zugegeben, das Katzen-Foto-Problem ist eher klein, das sehe ich schon ein. Aber was ist mit den Einnahmen-Ausnahmen-Tabellen? All die Aufzeichnungen über meine bescheidenen Lauferfolge aus den vergangenen drei Jahren. Spielstände. Wichtige Nummern. Die QR-Codes für Paketscheine. Instagram, Amazon, mein liebster Blog.
Wann hat das eigentlich angefangen?
Dass dieses viereckige Ding so wichtig geworden ist.
Seitdem Steve Jobs das erste I-Phone vorstellte, 2007 war das, gab es nur noch eine Richtung für den Erfolg des hosentaschengroßen Dings: nach oben. Heute führt das in Form von Sprachnachrichten, Bestell-Apps, Schlaf-Timern und Laufstrecken nicht nur Buch über unser Leben – es bestimmt über unser Leben mit.
Die erste halbwegs wache Handlung am Morgen ist der Griff zum Handy. Wecker ausstellen, Nachrichten checken. Das Smartphone weiß, welche Musik ich mag, wonach ich mich gerade sehne, es kann glücklich machen und unglücklich. Aus der Forschung weiß man, dass durch Likes oder nette Kommentare Wohlfühlregionen im Gehirn angeregt werden.
Das Prinzip der zufälligen Belohnung
Das Prinzip der zufälligen Belohnung, das soziale Netzwerke erzeugen: Wir wissen nie, was uns erwartet. Deshalb wird ständig gecheckt.
Es gibt Freundschaften, die wären ohne dieses Ding und seine Funktionen nie zustande gekommen. Es gibt Bekanntschaften, die wären ohne es nie zu Ende gegangen. Stichwort phubben. Das ist ein Kunstwort aus den englischen Wörtern phone und snubbing (zu deutsch: brüskieren). Menschen, die phubben, greifen auch zum Handy, wenn es eigentlich ziemlich unhöflich ist oder sogar gefährlich, etwa beim Autofahren. Leute, mit denen kein Gespräch möglich ist, ohne dass sie auf ihr Handy schielen.
Auf andere zeigen – immer leicht, oder?
Ja, auf andere zeigen ist immer leicht, oder? Ich gebe es zu: Es mag sein, dass ich zuweilen auch in den Untiefen meiner digitalen Bildergalerie verschwand und meinen Gesprächspartner für einige Minuten vollkommen vergaß, obwohl er live und in Person vor mir stand. Wie ein kleiner Rausch.
Eigentlich mag ich das gar nicht. Und reden wir nicht alle immer davon, dass wir im Hier und Jetzt leben wollen, Achtsamkeit und dieser Kram? Die Fastenzeit ist zwar Samstagnacht vorbei, aber, denke ich, vielleicht ist es Zeit für einen Neubeginn. Weniger Handy, mehr Leben.
Meine Daten konnte ich nach zwei Tagen übrigens fast alle wieder auf einem neuen Gerät herstellen. Einige Katzenbilder und die Einnahmen-Ausgaben-Tabelle vermisse ich noch. Nur die Corona-App, die habe ich selbst gelöscht.