In Dinohausen möchte man nicht wohnen müssen. Die einfallslose Architektur, das Grau der Fassaden, statt Gärten nur Brachland: ein Geisterdorf.

Wo niemand freiwillig leben möchte: Das unwirtliche Dorf Dinohausen existiert nur als Attrappe – auf dem Standortübungsplatz in ...
Wo niemand freiwillig leben möchte: Das unwirtliche Dorf Dinohausen existiert nur als Attrappe – auf dem Standortübungsplatz in Pfullendorf. | Bild: Claudio Hils

Tatsächlich muss auch gar niemand in Dinohausen wohnen. Dienen doch die Straßen, Häuser und Mülleimer nur einem einzigen Zweck: der Übung für den Ernstfall. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Bundeswehrsoldaten Orte wie Dettingen, St. Georgen oder Lauchringen verteidigen – Haus um Haus, Mann gegen Mann –, dann haben sie in Dinohausen auf dem Standortübungsplatz Pfullendorf die dafür notwendige Erfahrung gesammelt. Werden diese Erfahrungen künftigen Bedrohungsszenarien überhaupt noch gerecht?

Der Fotokünstler Claudio Hils hat Übungsareale wie das Gelände der Staufer-Kaserne Pfullendorf oder den Truppenübungsplatz Heuberg besucht. Er fand Kulissen aus einer fernen Welt, als hätte das Produktionsteams eines Hollywood-Kriegsfilms nach den Dreharbeiten das Aufräumen vergessen. Seine verstörenden Aufnahmen sind jetzt im Kunstmuseum Thurgau bei Warth zu sehen.

Nach den Einschusslöchern zu urteilen, dürfte diese Tanksäule auf dem Heuberg kaum noch Sprit geben. Auch die Garage rechts hat schon ...
Nach den Einschusslöchern zu urteilen, dürfte diese Tanksäule auf dem Heuberg kaum noch Sprit geben. Auch die Garage rechts hat schon bessere Zeiten erlebt. | Bild: Claudio Hils

Verstörend sind sie, weil sich der Krieg hier gerade nicht in seinem ganzen Grauen zeigt, sondern von seiner Puppenhausseite mit sorgsam drapierten Requisiten, eifrigen Statisten und viel Theaterblut. Bei Manövern imitieren noch Puppen tote Soldaten und Kunststoff-Requisiten schlimme Wunden. Der Beobachter, sagt Kuratorin Stefanie Hoch ganz treffend, könne erahnen, dass dieses Stück schon „längst abgesetzt“ sei und „der Spielplan des 21. Jahrhunderts ganz anders aussehen wird“.

Offene Wunden gehören als künstliche Requisiten in jeden besseren Theaterfundus – und ins Sanitätsunterstützungszentrum von ...
Offene Wunden gehören als künstliche Requisiten in jeden besseren Theaterfundus – und ins Sanitätsunterstützungszentrum von Stetten am kalten Markt. | Bild: Claudio Hils

Natürlich weiß man das auch bei der Bundeswehr, die einen Großteil der Übungseinheiten längst in den digitalen Raum verlagert hat. Die hier gezeigte Ästhetik beunruhigt auf ganz andere Weise, lässt sie doch die Grenze zwischen von Ernst und Spiel verschwimmen.

Eine Explosion ohne reale Gefahr: In solchen Computeranimationen üben Bundeswehrsoldaten immer öfter für den Ernstfall. Bilder: Claudio Hils
Eine Explosion ohne reale Gefahr: In solchen Computeranimationen üben Bundeswehrsoldaten immer öfter für den Ernstfall. Bilder: Claudio Hils | Bild: Claudio Hils

In Dinohausen bleibt jeder Schuss potenziell tödlich, die Übungssoftware dagegen wiegt ihren Anwender in der Gewissheit, dass seinem Handeln ja nur fiktive Figuren zum Opfer fallen. Da schießt es sich natürlich leichter. Lässt diese Gewissheit nicht Hemmschwellen senken?

In seinem insgesamt lesenswerten Beitrag für den Begleitkatalog bestreitet das Oberstleutnant Tobias Daniek. Eine befriedigende Erklärung aber bleibt er schuldig.

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Frieden, schreibt Daniek, sei nicht der Naturzustand – auch wenn uns diese Einsicht nach so vielen Jahrzehnten ohne Krieg im eigenen Land schwerfällt. Er folge vielmehr dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: „Die Unordnung nimmt zu, wenn wir nichts dagegen tun.“

„Claudio Hils: heimatfront – bühnenbilder des krieges“: bis 18. April im Kunstmuseum Thurgau. Öffnungszeiten: Mo.-Fr. 14-17 Uhr, Sa. und So. 11-17 Uhr. Der Katalog aus dem Hatje-Cantz-Verlag kostet 44 Euro. Weitere Informationen: www.kunstmuseum.ch