Christiane Grathwohl

In einer Zeit, in der kulturelles Erleben digital stattfindet, ist ein elementares und uraltes Kulturgut der Menschheit wieder aktuell geworden: die Kochkunst. Wenn einem nicht viel anderes übrig bleibt, besinnt man sich aufs Selbertun. Es wird wieder gekocht und in Kochbüchern geschmökert. Kochen ist kreativ, gesund und macht Spaß: vor allem wenn‘s gelingt.

Kochen gehört zur Menschheitsgeschichte wie die Felsenmalereien von Lascaux. Der älteste Topf ist immerhin zehntausend Jahre alt. Aber auch Kochbücher wurden früh verfasst. Die ersten Rezepte stammen aus Mesopotamien, sind in Keilschrift auf kleinen Tafeln notiert und lassen uns erfahren, dass besonders Eintopf- und Schmorgerichte geschätzt wurden.

Menschen machen sich in allen Epochen Gedanken über ihr Essen und ihre Essgewohnheiten. Vor allem seit es nicht mehr nur um das tägliche Überleben geht, sondern Essen zum Genuss und Luxus wurde, ließ die Menschheit sich einiges zur Nahrungsverfeinerung einfallen. Der Appetit wurde zur Triebkraft unserer Zivilisation.

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Ägyptische und römische Wandmalereien von Festmählern und Speisefolgen sind erhalten. Die Griechen verewigten ihre Gelage auf Vasen und kostbaren Trinkbechern. Kunstvolle Mosaike mit Früchten und Tieren sind überliefert, selbst Speisereste waren den Römern ein Mosaik wert. Parallel zu al fresco gemaltem Essen sind aus der Antike Beschreibungen erhalten von Mahlzeiten und Feierlichkeiten.

Von großem Einfluss war das erste vollständig erhaltene Kochbuch. Es stammt aus der Römerzeit und heißt: De Arte Coquinaria (Über die Kochkunst). Verfasst wurde es von dem berühmten und reichen Feinschmecker Marcus Gavius Apicius, der eine eigene Kochschule hatte und in der Gegend des heutigen Köln lebte. Über Jahrhunderte orientierte sich die Küche der wohlhabenden Oberschicht in Europa an diesem Buch.

Kochkultur in der Kunst: hier bei Daniel Spoerri (“Hahns Abendmahl“), gezeigt in einer Ausstellung des Kölner Museums ...
Kochkultur in der Kunst: hier bei Daniel Spoerri (“Hahns Abendmahl“), gezeigt in einer Ausstellung des Kölner Museums Ludwig, 2017. | Bild: Oliver Berg

Heutzutage verlocken die Rezepte nicht mehr zum Nachkochen, zumal sie ohne Mengenangaben auskommen und merkwürdige Zutaten benötigen. Wenn es um die Zubereitung von Schweineeuter, gemästetem Siebenschläfer und den Genuss von Veilchenwein geht, wird es kompliziert.

Hinzu kommt: Nicht nur die speziellen Zutaten sind heute schwer zu beschaffen, auch die Küchen sehen anders aus. Ging man früher in einem großen Haushalt von mehreren Köchen und vielen helfenden Händen aus, von Mägden und Küchenjungen, von stundenlangem Garen und Vorbereiten, hat sich die Lage inzwischen gravierend geändert. Dennoch lassen sich wohl bis heute, gerade bei den deftigeren Gerichten, Reste der Apicius-Rezepte in spanischen, italienischen und südfranzösischen Speisen finden. Die Spurensuche nach den historischen Ursprüngen ist auch in der Küche ein spannendes Unterfangen.

Breites Spektrum

Wenn wir uns aktuell verstärkt wieder selbst der Kochkunst zuwenden, schöpfen wir aus einem breiten Spektrum der internationalen Küche. Ein umfangreicher Schatz an Kochbüchern und Rezepten aus dem Internet stehen zur Verfügung. Lebensmittelläden und Bauernmärkte sind geöffnet, auch Restaurants kochen auf Bestellung zum Mitnehmen.

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Es herrscht kein Mangel und doch fielen in Zeiten des Lockdowns leere Regale auf. Klopapier und Nudeln waren der Renner, zeitweise konnte kein Mehl mehr nachgeliefert werden. Was war da los? Die Leute haben wieder selbst ihr Brot gebacken. Ein archaischer Vorgang, der tief in die Anfänge der Menschheit zurückreicht.

Brot war lange das wichtigste Nahrungsmittel. Bis weit ins 19. Jahrhundert bestand die tägliche Nahrung für neunzig Prozent der Bevölkerung in Europa aus Brot und Getreidebrei. In Deutschland gibt es bis heute an die dreihundert Brotsorten. Es gibt Brotmuseen und Künstlerinnen und Künstler, die Brot auf der Leinwand malen oder als Skulptur modellieren.

Auf langen Atem kommt es an

Der Eat-Art-Künstler Spoerri postulierte ironisch: „Wenn alle Künste untergehen, die edle Kochkunst bleibt bestehen“. Dann machen wir es wie die Künstlerschaft, lassen uns nicht entmutigen, backen wieder Brot und werden als Köchinnen und Köche am heimischen Herd aktiv und kreativ. Auf den langen Atem kommt es an, in der Kunst wie auch im Leben.

Künstler und Essen – eine enge Verbindung

Künstler und das Kochen, diese Verbindung hat eine lange Geschichte.

  • Kunst aus Lebensmitteln: Eat Art ist eine Kunstrichtung aus den 60er und 70er Jahren. Eng verbunden mit bekannten Namen wie Daniel Spoerri oder Dieter Roth, die Essen ins Zentrum ihrer Kunst stellen, nicht gemalt oder aus Gips, sondern direkt aus Lebensmitteln gefertigt. Umfangreiche Ausstellungen – wie im vergangenen Jahr Amuse-bouche. Der Geschmack der Kunst, im Museum Tinguely in Basel gezeigt – widmet sich speziell diesem Thema.
  • Kochbücher: Die Nähe von Kulturgeschichte und Kunstgeschichte, von Kunst und Essen, fasziniert die Künstlerschaft und lässt nicht los. Auffällig viele Kochbücher von Künstlerinnen und Künstlern erschienen in den letzten Jahren. Quer durch die Jahrhunderte und Kontinente: von Claude Monet und Paul Cezanne, von Frida Kahlo und Georgia o‘Keeffe. Auch das Artist‘s Cookbook des New Yorker Museum of Modern Art mit 155 Rezepten von Louise Bourgois bis Jackson Pollock. Und im letzten Herbst das Kochbuch des dänisch-isländischen Lichtkünstlers Olafur Eliasson, der jeden Tag seine Mitarbeiter und Gäste zum Mittagessen im Atelier einlädt. Essen als sinnstiftendes Element, Kochen als kreatives Ereignis.
  • Brot: Auch das Backen hat Künstler immer wieder interessiert. So verzierte Salvador Dalí die Außenfassade seines Museums in Figueras mit unzähligen Nachbildungen katalanischer Brote, auch auf dem Dach ist ein überdimensionales Brot montiert. Und ganz aktuell könnte – wenn sie nicht geschlossen wäre – im Ulmer Museum Brot und Kunst die Ausstellung der Berliner Künstlerin Sonja Alhäuser besucht werden. Ihr Thema: mit Brot verbundene Rituale und das Spiel mit traditionellen Bedeutungen.