Herr von Hirschhausen, Sie haben erneut eine Reportage über Corona gedreht. Keine Angst, dass das Thema den Menschen zum Hals raushängt?

Kennen Sie niemanden mit Long Covid oder dem chronischen Erschöpfungssyndrom? Leider sind eine halbe Million Menschen betroffen, dazu kommen die Angehörigen, die Kolleginnen und Kollegen, die Pflegekräfte und, und, und. Wir haben eine neue Volkskrankheit in der Mitte der Gesellschaft.

Die Pandemie wurde offiziell für beendet erklärt. Ist sie das wirklich?

Für viele nicht. Junge, gesunde Menschen sind aus ihrem Leben gerissen, haben schwerste körperliche Beschwerden und werden in unserem Gesundheitswesen brutal alleine gelassen. Ihnen und allen, die sich um sie kümmern, möchte ich eine Stimme geben. Und ich hoffe sehr, dass sie gehört werden und endlich Hilfe bekommen.

Sie beschäftigen sich in der Dokumentation mit den Nachwirkungen von Corona. Was sollen Menschen tun, die Long Covid haben und denen bislang nicht geholfen werden konnte?

Sich nicht überanstrengen! Das Fiese an Long Covid und der schwersten Form, dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS, ist, dass der gesunde Menschenverstand einem sagt: Wenn du dich schlapp fühlst, reiß dich zusammen, streng dich an, trainiere hart und dann wirst du wieder fit. Das führt bei vielen aber nicht zur Kräftigung, sondern zum Zusammenbruch. Deshalb ist es so wichtig, dass sich mehr Ärztinnen und Ärzte und auch Reha-Einrichtungen damit auskennen. Es gibt Selbsthilfeverbände, die kompetente Anlaufstellen empfehlen, aber die Wartezeiten sind lang.

In einem anderen Fall geht es um schwerwiegende Impf-Nebenwirkungen. Was sagen Sie dazu als entschiedener Verfechter von Corona-Impfungen?

Die Impfung hat viele Menschenleben gerettet, schwere Verläufe verhindert und auch die Chance, nach einer Infektion Long Covid zu entwickeln, ist bei Geimpften nur halb so groß wie bei Ungeimpften. Dennoch benennen wir in dem Film sehr deutlich auch die Schattenseiten und Schwachstellen. So werden die Impf-Nebenwirkungen nicht vollständig erfasst, und der Datenschutz und technische Hürden verhindern bislang, dass das zuständige Paul-Ehrlich-Institut auch den Erfahrungsschatz der Krankenkassen auswertet.

Denn: Bei ungefähr zwei von 10.000 Impfungen gibt es eine Überreaktion des Immunsystems, das sich dann gegen den eigenen Körper richtet. Menschen mit diesem Post-Vac, also Nach-Impfungs-Syndrom, brauchen kompetente medizinische Hilfe. Leider werden viele nicht ernst genommen und als psychisch krank abgestempelt, auch der junge Mann, den ich für den Film kennenlernen durfte.

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Wie ist es Ihnen eigentlich persönlich in der Corona-Zeit ergangen?

Da ich als Bühnenkünstler von einem auf den anderen Tag im Lockdown nicht mehr auftreten durfte, habe ich die Zeit genutzt, über Corona aufzuklären. Viele Kulturschaffende hatten diese Chance nicht, und die Theater sind bis heute nicht wieder so voll wie vorher. Was mich bis heute sehr besorgt, ist die Zunahme von Falschinformationen und Hass in den sozialen Medien. Das finde ich schwer erträglich, wie sich da die Lauten für die Mehrheit halten. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten.

Hat Corona Ihre Sicht auf das Leben verändert?

Ja, mir ist wie vielen klar geworden, wie verletzlich wir sind als Menschen auf diesem Planeten. Und dass wir viele Dinge für selbstverständlich halten, die es nicht sind. Wir dachten ja in den reichen Ländern lange, Infektionskrankheiten für immer hinter uns gelassen zu haben. Heute ist klar: Globale Gesundheitskrisen betreffen uns auch in Deutschland. Ein Virus braucht kein Visum, um eine Grenze zu überschreiten.

Eckart von Hirschhausen im Gespräch mit Olivia, die sich nach langer Krankheit dank einer experimentellen Behandlung von Long Covid ...
Eckart von Hirschhausen im Gespräch mit Olivia, die sich nach langer Krankheit dank einer experimentellen Behandlung von Long Covid erholt hat. | Bild: WDR/Bilderfest GmbH

Welche Lehren müssen aus der Corona-Krise gezogen werden?

Dass es gesunde Menschen nur auf einer gesunden Erde gibt. Dieser Gedanke von one health oder planetarer Gesundheit ist für mich die entscheidende Lektion aus der Pandemie. Wenn wir die Natur und die Tiere krank machen, machen sie uns krank. Deshalb ist es wichtig, den Wildtierhandel international zu bekämpfen und zu verstehen: Artenschutz und Klimaschutz sind auch immer Gesundheitsschutz.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich eine solche Pandemie wiederholt?

Leider sehr wahrscheinlich. Im Tierreich gibt es Tausende von Viren, die nur darauf warten, auf den Menschen übertragen zu werden. Deshalb braucht es politische präventive Maßnahmen und ein Ende des übertriebenen Fleischkonsums und der Massentierhaltung als einer der zentralen Treiber für Pandemien und resistente Keime. Diese Krisen und Themen hängen viel enger zusammen, als die Nachrichten oft zeigen können. Deshalb freue ich mich auch, mit „Wissen vor Acht – Erde“ und in der ARD-Mediathek zum Verständnis beizutragen. Wir könnten es schöner haben als jetzt – und gesünder.