Wenn man die junge Frau fragt, was ihr Leben verändert hat, sagt sie, es sei der letzte Schuss gewesen. Eine Spritze mit Biontech, die dritte Impfung. Pandemie-Routine – eigentlich. Doch seitdem ist vieles für Silke Vogt nicht mehr so, wie es vorher war.

Post-Vac ist nur schwer nachzuweisen

Schon kurz nachdem sie das Vakzin verabreicht bekam, setzten laut Vogt erste Symptome ein. Müde und ausgelaugt habe sie sich gefühlt, ihr Blutdruck stieg, fiel schlagartig ab, die 25-Jährige verlor immer wieder das Bewusstsein. Das ist bis heute so geblieben, sagt die junge Frau aus dem Schwarzwald.

An diesem Märztag sitzt sie in der Küche ihrer Wohnung, ein Mehrparteienhaus in St. Georgen. Vor ihr liegen die vielen Arztbriefe, Untersuchungsberichte und Laborergebnisse, die sie seit eineinhalb Jahren von Medizinern sammelt. Die 25-Jährige leidet an sogenannten Post-Vac-Erscheinungen. Das nachzuweisen ist mühsam und vor allem: kompliziert.

Fläschchen mit dem Biontech-Impfstoff Comirnaty: Symptome entwickelte Silke Vogt aus Sankt Georgen erst nach der dritten Impfung.
Fläschchen mit dem Biontech-Impfstoff Comirnaty: Symptome entwickelte Silke Vogt aus Sankt Georgen erst nach der dritten Impfung. | Bild: Sebastian Gollnow

Das Syndrom ist nicht nur kaum erforscht, es gilt bis heute nicht als eigenständiges Krankheitsbild. Was man weiß: Menschen, die daran erkranken, haben Probleme, sich zu konzentrieren, ihr Blutdruck schwankt stark, oft kommt plötzliches Herzrasen, kommen Sehstörungen dazu. Viele Patienten sind chronisch müde und haben lang anhaltend mit Kopfschmerzen zu kämpfen. Symptome, die auch zu den Beschwerden von Silke Vogt passen.

Die Politik allerdings hadert damit, diese möglichen Langzeitfolgen einer Corona-Impfung anzuerkennen. Post-Vac, ein Begriff, den SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erst seit Kurzem nutzt. Nachdem er Mitte 2021 auf Twitter von einer „nebenwirkungsfreien Impfung“ gesprochen hatte, legte er in diesem Jahr in einem Interview eine Kehrtwende hin. Betroffene litten unter schweren Einschränkungen, erklärte er, und sicherte rasche Hilfe zu.

Impfschäden

Ihr Herz schlägt heute schneller als damals. Manchmal rast es richtig, sagt Silke Vogt. Dieser hohe Puls, der auf 190 klettert und dann in den Keller sackt, ist nur ein Anzeichen von vielen, die es für die junge Frau aus dem Schwarzwald unmöglich machen, einen halbwegs normalen Alltag zu führen.

Alltag der 25-Jährigen stark eingeschränkt

Silke Vogt kann nicht mehr ins Auto steigen, ohne Angst zu haben, andere zu gefährden. Einzukaufen, sagt sie, sei herausfordernd geworden. Vor der Impfung sang sie, machte Musik, schrieb eigene Songs. „Dazu fehlt mir heute die Motivation.“ Und auch arbeiten kann die junge Frau nicht mehr, momentan jedenfalls. Als Physiotherapeutin muss sie stundenlang stehen, muss sie die Kraft ihres Körpers einsetzen, die ihr seit Monaten fehlt.

Ein Job, den sie vermisst. Der sie überhaupt erst darin bestärkt hat, sich wieder und wieder gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Der Gesundheitsberuf setzte die Immunisierung des Personals voraus. Fragt man Silke Vogt heute danach, sagt sie, sie würde es wahrscheinlich wieder tun, sich pieksen lassen. Dem Beruf zuliebe.

Die beiden ersten Stiche vertrug sie auch gut. Probleme kamen nach der dritten Dosis Biontech. Schon einen Tag danach sei es ihr schlechter gegangen, erinnert sich Silke Vogt. Die Symptome nahmen zu. Die 25-Jährige war müde, schlapp, abgeschlagen. „Ich hatte Kreislaufprobleme, so etwas kannte ich bis dahin nicht.“ Sie meldete sich krank, dachte, sie brüte etwas aus. Es wurde nicht besser. Also ging Silke Vogt wieder arbeiten. „Ich wusste aber, dass irgendetwas war.“

Arztberichte, Untersuchungsberichte, Laborergebnisse: Silke Vogt hat einen Ärztemarathon hinter sich.
Arztberichte, Untersuchungsberichte, Laborergebnisse: Silke Vogt hat einen Ärztemarathon hinter sich. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Das erste Mal kippte sie Ende Januar 2022 um, etwa vier Wochen nach der dritten Impfung. Seither ist es nach ihren Angaben mindestens 15 Mal passiert, dass sie bewusstlos wird, bei der Arbeit, zuhause oder bei ihren Schwestern. Das erzählt die junge Frau mit den schwarzen Haaren fast abgeklärt. „Man gewöhnt sich daran.“ Dass sie dabei oft hart auf den Boden knallt, sich blaue Flecken an Rippen und Beinen und eine Gehirnerschütterung zuzieht, schildert sie fast nebenbei.

Um herauszufinden, was ihr fehlt, pendelte Silke Vogt vom Herzspezialisten zum Neurologen, vom Hausarzt zum Schwarzwald-Baar-Klinikum, bis in die Uniklinik Freiburg: Jeder Mediziner schloss körperliche Defekte für seinen Bereich aus. Blutwerte? Unauffällig. Der Kopf? Ohne Befund. Hormonwerte? Normal.

„Es ist ein schwerer Weg, jedes Mal wieder von vorne anzufangen. Bei jedem Arzt wieder zu erklären, welche Probleme man hat. Und jedes Mal bleibt es ohne Ergebnis.“

„Ich wünsche mir, dass es einfacher wird für Betroffene.“
Silke Vogt

Die junge Frau war frustriert. Holte sich sogar therapeutische Hilfe, um auch psychische Krankheiten auszuklammern. Irgendwann, erzählt sie, habe sie dann jemand im persönlichen Gespräch auf Post-Vac hingewiesen. Und je länger Silke Vogt darüber nachdachte, desto klarer schien es: „Fakt ist, die zeitliche Verbindung ist da.“

Das Post-Vac-Syndrom lässt sich aber nicht einfach beweisen. Behandelnde Ärzte müssen häufig nach dem Ausschlussverfahren vorgehen, wodurch sich der regelrechte Arztmarathon Betroffener erklärt. Einige Patienten schlagen dann bei Bernd Hohenstein in Villingen-Schwenningen auf, der auch Silke Vogt betreut. Der Nephrologie bietet hier die Therapie der Blutwäsche, die sogenannte Immunadsorption an.

Bernd Hohenstein bestätigt gegenüber dem SÜDKURIER, dass das Krankheitsbild der jungen Physiotherapeutin grundsätzlich zu Post-Vac-Erscheinungen passt. Auch wenn die Kausalität nicht eindeutig nachgewiesen werden könne, es zudem schwer sei, auseinanderzuhalten, ob die Leiden der Patienten auf eine Covid-Erkrankung oder primär auf die Folgen einer Corona-Impfung zurückgehen. „Möglicherweise haben wir es hier auch mit ähnlichen Symptomen zu tun“, erläutert der Arzt. Die medizinischen Schwerpunkte variierten aber von Patient zu Patient.

Nebulös bleibt auch, wie oft das Syndrom in der geimpften Bevölkerung tatsächlich vorkommt. Professor Bernhard Schieffer leitet die Spezialambulanz am Universitätsklinikum Marburg. Er kümmert sich dort um Menschen, die an Post-Vac erkrankt sind. Die Zahl der Fälle könne derzeit nur geschätzt werden, sagt er. Sie dürfte bei „0,02 Prozent oder ein bisschen höher“ liegen.

Seit Januar 2022 bietet der Kardiologe eine Sprechstunde für Patienten an, die nach einer Corona-Impfung ähnliche Symptome wie Long-Covid-Patienten entwickeln. „Wir haben jeden Tag Hunderte Anfragen zum Post-Vac-Syndrom“, sagt Schieffer. „Wie viele Verdachtsfälle sich am Ende bewahrheiten, kann man bei der ersten Kontaktaufnahme nicht sagen.“

Silke Vogt will sich Erkrankung bescheinigen lassen

Nimmt sich die Ambulanz eines Post-Vac-Verdachts an, muss nicht nur geprüft werden, ob es tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang gibt. Wichtig ist auch zu unterscheiden, ob der Patient nur geimpft ist oder auch infiziert war. Dafür wird laut Schieffer ein Test eingesetzt, der die Antikörper gegen das Virus und die Antikörper gegen das Spike-Protein des Impfstoffs unterscheiden kann.

Auch Silke Vogt hat sich in Marburg um einen Termin beworben, um endlich Klarheit zu bekommen – und einen Beweis für ihre Krankheit. Denn kaum ein anderer Arzt stellt entsprechende Bescheinigungen aus.

Sei es, weil sich die Symptome mit vielen anderen Krankheiten überlappen. Sei es aus Vorsicht oder Unwissen. Dabei ist ein solches Attest für Betroffenen wichtig, um anerkannt zu werden. Gesellschaftlich, gesundheitlich, aber auch, was die Behörden betrifft.

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In Baden-Württemberg zum Beispiel liegen Mitte April 581 Anträge von Menschen vor, die Impfschäden anerkennen lassen möchten. Bei 8,4 Millionen mindestens einmal geimpften Menschen in Baden-Württemberg ist das ein Anteil von 0,007 Prozent, etwa jeder 15.000. Geimpfte meldete sich also.

In 24 Fällen wurde bislang positiv entschieden, wie das Landes-Gesundheitsamt berichtet: Zwölf Mal wurden laufende Versorgungen genehmigt, in zwölf weiteren Fällen Schädigungen „mit geringeren gesundheitlichen Auswirkungen und damit ohne laufende Versorgungsleistungen“.

Für diese Leistungen sind die Versorgungsämter der Bundesländer zuständig. Wenn sie den Antrag ablehnen, können Betroffene beim Sozialgericht gegen die Entscheidung klagen.

Mutmaßlich Impfgeschädigte ziehen vor Gericht

Anderswo ziehen mutmaßlich Impfgeschädigte bereits für Schmerzensgeld und Schadenersatz vor Gericht: Im Juli soll in Frankfurt der wohl erste Zivilprozess gegen den Mainzer Hersteller Biontech starten.

Ein Termin, der ursprünglich im April hätte stattfinden sollen, auf den viele Betroffene gespannt blicken – auch wenn Biontech seinerseits betont, „dass bisher in keinem der von Biontech geprüften Fälle ein kausaler Zusammenhang zwischen den dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Impfung mit Comirnaty nachgewiesen werden konnte“.

Das Biontech-Logo: Der Impfstoffhersteller aus Mainz muss sich im Juli vor Gericht wegen möglicher Nebenwirkungen seines Corona-Vakzins ...
Das Biontech-Logo: Der Impfstoffhersteller aus Mainz muss sich im Juli vor Gericht wegen möglicher Nebenwirkungen seines Corona-Vakzins verantworten. | Bild: Sebastian Gollnow

All das ist für Silke Vogt noch sehr weit weg. Die junge Frau aus St. Georgen hat Kopfschmerzen, jeden Tag, sie schläft nicht mehr gut. Nebenwirkungen des immer hohen Blutdrucks, wie sie erklärt. Weil ihr bisher kaum etwas geholfen hat – keine Ärzte, keine Medikamente, keine alternative Medizin – geht sie zur Blutwäsche nach Villingen-Schwenningen, zu Bernd Hohenstein.

Wie wirksam ist die Theorie?

Die Therapie ist nicht ganz unumstritten. Auch, weil die wissenschaftliche Basis für die Behandlung fehlt. „Wir sind noch nicht in einer Situation, in der wir nachweisen können, ob die Therapie ausreichend wirksam ist“, sagt der Mediziner mit Blick auf Post-Covid- und Post-Vac-Patienten.

Es müssten systematisch Daten erhoben werden, um sich mit den Chancen der Therapie auseinanderzusetzen, es müssten fundierte Studien vorangebracht werden, sagt er. Das System aber ist träge – auch weil einige Ärzte, darunter Haus- und Zahnärzte, von der teuren Prozedur profitieren.

Die Kosten in fünfstelliger Höhe zahlt keine Krankenkasse. Auch Silke Vogt musste dafür selbst aufkommen. Weil sie das allein nicht stemmen kann, hat sie online einen Aufruf gestartet – und Glück: Das Geld kommt zusammen.

Keine Wunderheilung, keine biblische Lazarus-Geschichte erwartet die Physiotherapeutin von der Prozedur. Aber einen Zustand, der wieder irgendwie an ihr altes Leben erinnert, das vor der dritten Corona-Impfung.

Und tatsächlich: Es scheint zu helfen, wenn man Silke Vogt zuhört. „Es ist deutlich besser geworden“, erzählt sie. Ihr Blutdruck sei niedriger, in Ohnmacht sei sie zuletzt nicht mehr gefallen. „Ich bin leistungsfähiger.“ Das macht Hoffnung nach der Lethargie. Auch wenn der Weg zu früheren Zeiten noch lang ist.