Frau Auer, hinter dem Titel „Am Ende – Die Macht der Kränkung“ könnte sich schwere TV-Kost verbergen. Tatsächlich bekommt der Zuschauer zwar anspruchsvolle, aber auch außergewöhnlich spannende Unterhaltung serviert. Was hat Sie selber an diesem Filmstoff fasziniert?
Ich hatte schon die erste Staffel dieser Anthologie-Serie gesehen – „Am Anschlag – Die Macht der Kränkung“ – und fand diesen etwas kryptischen Titel zunächst auch etwas seltsam. Die erste Staffel hat zwar inhaltlich überhaupt nichts mit dieser zweiten zu tun, war aber auch sehr spannend. Ich wollte damals nur kurz in die Serie reinschauen und bin schließlich bis zum Ende hängengeblieben. Als dann dieses Filmangebot auf mich zukam, war ich sofort begeistert. Die Figur der Rosa ist interessant und zwiespältig.
Sie spielen die Mutter des todkranken David, der mit seinem Abschiedsbrief schwelende Konflikte entzündet und bei den Hinterbliebenen ein Lauffeuer an Kränkungen entfacht. Worin bestand für Sie als Schauspielerin die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Die Herausforderung steckt in den großen Alterssprüngen und filmischen Rückblenden, in denen man die Figuren zeigt. Mein Part erstreckt sich über 14 Jahre, ich habe Rosa sieben Jahre jünger und sieben Jahre älter gespielt, als ich selbst bin. Dieses Erzählen über einen längeren Zeitraum ist natürlich schauspielerisch eine Herausforderung. Vor allem aber hat mich das merkwürdige Rollenbild dieser Frau gereizt und ihre innere Zerrissenheit.
Rosas Rollenbild entspricht noch den Geschlechter-Stereotypen der Nachkriegsgeneration.
Stimmt. Rosa verkörpert das Rollenbild der Müttergeneration vor uns. Für diese Frauen war es noch normal, dass der Ehemann das Geld verdient und sich die Frau um die Kinder und den Haushalt kümmert. Rosa fürchtet, ihren gesellschaftlichen Status zu verlieren, wenn sie ihr abgesichertes Leben aufgeben würde.
Ist das auch heutiger Sicht nachzuvollziehen?
Nur schwer. Vor allem nicht, dass sich Rosa ihrem Mann derart unterordnet – in einer Zeit, wo es für die meisten Frauen selbstverständlich ist, für sich selbst zu sorgen und einen Beruf auszuüben. Doch Rosa hat dieses überholte Rollenmuster so verinnerlicht, dass sie es sogar an ihre Kinder weitergibt und die alten Parameter auch an ihrer erwachsenen Tochter anlegt. Um ihr eigenes Leben nicht in Frage zu stellen, macht Rosa Mirjam immer wieder klein, statt sie zu stärken.
Obwohl die meisten deutschen Frauen heute berufstätig sind, gibt es hinsichtlich der Geschlechterrollen und der Arbeitsverteilung immer noch Modernisierungsbedarf, oder nicht?
Leider ja. Wir Frauen sind immer noch viel stärker unter Druck als die meisten Männer. Selbst wenn beide voll berufstätig sind, bleibt zu Hause meist deutlich mehr an uns Frauen hängen. Wir leisten nach wie vor mehr unbezahlte Arbeit. Gleichzeitig verdienen Frauen im Schnitt immer noch weniger als Männer. Und als Mütter sind Frauen viel häufiger Kritik ausgesetzt.

Der Serie thematisiert auch die Wirkung von Kränkungen. Kannten Sie schon vor dem Film das Sprichwort „Wer kränkt, macht krank“?
Das hatte ich zwar schon mal gehört, ich habe aber erst durch die Arbeit an diesem Film mehr darüber nachgedacht: Kränkungen können tatsächlich eine große Kraft haben und lange nachwirken. Manchmal verschwinden sie für Jahre aus dem Bewusstsein, und dann tauchen sie plötzlich wieder auf.
Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?
Ich habe festgestellt: Je älter ich werde, desto häufiger kommen mir weit zurückliegende Ereignisse in den Sinn und Begegnungen mit Menschen, an die ich schon länger nicht mehr gedacht hatte. Und auch manchmal Situationen, die ich inzwischen hinterfrage. Die damals vielleicht verständlich oder sogar folgerichtig waren, sich aber nun merkwürdig und falsch anfühlen.
Meinen Sie Situationen, in denen Sie von anderen Menschen gekränkt wurden?
Eher umgekehrt: Ich merke, dass mich heute vor allem jene Situationen beschäftigen, in denen ich vielleicht eine andere Person gekränkt habe. Das belastet mich im Rückblick viel mehr als Situationen, in denen ich selbst etwas einstecken musste. Erinnerungen, die mit Schuldgefühlen einhergehen, haben eine besonders starke Kraft: Wenn man gekränkt wird, kann man verzeihen und die Kränkung dadurch auflösen. Kränkt man aber andere, kann man bestenfalls um Verzeihung bitten.
Zieht es Sie noch regelmäßig in Ihre alte Heimat an den Bodensee?
Nicht sehr oft, aber regelmäßig. Da liegen ja meine Wurzeln und ich habe noch Familie dort. Manchmal kann ich meine Familienbesuche mit Lesungen verbinden. Seit Jahren lese ich zum Beispiel regelmäßig in der Konstanzer Zimmerbühne. Das ist ein kleines Theater in der Niederburg. Oft bringe ich noch Schauspielkollegen mit, beim letzten Mal war das Walter Sittler. Unsere Lesung nach einem Roman von Kent Haruf hieß übrigens „Unsere Seelen bei Nacht“. Eine wunderbare Geschichte über Offenheit, Sehnsucht, Liebe und den Mut, auch im Alter nicht damit aufzuhören.