Opa Klaus stänkert, weil der Weihnachtsbraten nach vier Stunden im Ofen einer Schuhsohle gleicht, Oma Helga giftet zurück, dass sie ohnehin viel lieber Kartoffelsalat mit Würstchen gegessen hätte. Onkel Manfred ist enttäuscht über das dritte Paar Weihnachtssocken in Folge und Tante Jutta heult, weil sie so viel Undankbarkeit einfach nicht ertragen kann. Während Papa und Mama gerade über den Kauf der nächsten Familienkutsche diskutieren, mischt sich Töchterchen Lisa entsetzt ein und berichtet von der letzten Klimademo – das bringt das Fass zum Überlaufen und die Festtagskatastrophe ist perfekt.

Solche oder ähnliche Szenen spielen sich Jahr für Jahr in den weihnachtlich geschmückten Wohnzimmern Deutschlands ab, wenn die ganze Familie zusammenkommt, um das „Fest der Liebe“ zu feiern. In einer Umfrage der Online-Partnervermittlung Parship gaben im Jahr 2022 knapp zwei Drittel der Befragten an, vor und an den Festtagen mit ihrem Partner zu streiten.

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Die Gründe für den Weihnachtszoff sind laut den Ergebnissen der Umfrage vielfältig: Vom Verhalten der Verwandten über die Arbeitsteilung bei den Festvorbereitungen bis hin zu falschen Geschenken können schon Kleinigkeiten dafür sorgen, dass plötzlich der Haussegen schief hängt.

Stress und Perfektionismus sind eine schlechte Kombination

Doch woran liegt es, dass es ausgerechnet in der besinnlichsten Zeit des Jahres so oft zum Streit kommt? „Weihnachten hat sich zu einem enormen Stressfaktor entwickelt“, sagt Beatrix Heizmann. Viele Menschen seien zum Jahresende besonders reizbar und sensibel, weil schon die Vorweihnachtszeit den Stresspegel in die Höhe schießen lässt, erklärt die Familien- und Paartherapeutin aus Radolfzell.

„Zu dieser Jahreszeit ist beruflich oft noch jede Menge zu tun und gepaart mit den Weihnachtsvorbereitungen kann das schnell dazu führen, dass die Nerven blank liegen.“
Beatrix Heizmann, Familien- und Paartherapeutin

Doch der Stress kommt nicht immer nur von außen – vielmehr setzen sich die Menschen selbst unter Druck, indem sie ein makelloses und bis ins kleinste Detail durchgeplantes Weihnachtsfest anstreben. „Wir unterliegen dem Mythos, dass an den Festtagen alles perfekt sein muss“, sagt Beatrix Heizmann, „um so größer ist natürlich der Frust, wenn dann doch etwas nicht so läuft wie geplant.“

Die Radolfzeller Familien- und Paartherapeutin Beatrix Heizmann
Die Radolfzeller Familien- und Paartherapeutin Beatrix Heizmann | Bild: Heizmann

Ein idealisiertes Bild ist das Problem – sowohl von Weihnachten als auch von Familie

Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo geht noch einen Schritt weiter: „Das Problem beginnt schon dabei, dass Weihnachten als ‚Familienfest‘ verstanden wird“, sagt er. „Doch was ist Familie? Ich, der Partner, unser Kind – gehören meine Eltern auch dazu? Die Schwiegereltern, die Verwandten, der Ex-Partner, dessen Eltern, die einsamen Nachbarn?“ Das ist meist gar nicht so einfach.

Der Freiburger Soziologe Dr. Sacha Szabo
Der Freiburger Soziologe Dr. Sacha Szabo | Bild: Conny Ehm

Dass es an Weihnachten so oft zum Streit kommt, liegt laut Szabo an einem idealisierten Familienbild, das in einer ebenso idealisierten Erwartung davon, wie Weihnachten sein soll, eingebettet ist. „Es ist letztlich eine Art biedermeierlicher Vorstellung, bei der die ganze Familie versammelt in der ‚guten Stube‘ sitzt, in der Kinder nachts durch das Haus schleichen, um den Weihnachtsmann zu suchen und die Mutter mit einer gestärkten Küchenschürze fein duftende Kekse backt.“ Die Realität sehe jedoch meist anders aus. „Es sind im Kern zu hoch gesteckte Erwartungen, die enttäuscht werden“, erklärt der Soziologe.

Wie lässt sich Streit an Weihnachten vermeiden?

Um Streit an den Feiertagen zu vermeiden, hat Sacha Szabo einen einfachen Tipp: „Nicht hingehen.“ Aus einem Pflichtgefühl heraus an Weihnachten die Familie zu besuchen, obwohl man eigentlich lieber zu Hause bleiben würde, sei nicht der richtige Weg. „Man hat das Recht, eine freie Entscheidung zu treffen – das kann man sich ruhig bewusst machen“, rät der Soziologe.

„Oft sieht man es als seine Pflicht an, bestimmten Vorstellungen zu genügen. Aber eine Pflicht setzt immer eine bewusste Entscheidung voraus, sonst ist es ein Zwang.“
Sacha Szabo, Soziologe

Doch selbst in den eigenen vier Wänden und im engsten Familienkreis kann es an Weihnachten zu Reibereien kommen. Um das zu verhindern, sollten alle Beteiligten frühzeitig und offen miteinander reden, erklärt Beatrix Heizmann: „Die Familie sollte sich fragen: Wie wollen wir Weihnachten feiern, was gefällt uns und was nicht?“ So werde jedes Familienmitglied in die Planung einbezogen, jeder komme auf seine Kosten und am Ende werde niemand enttäuscht.

Wenn es sich nicht verhindern lässt: Wie streitet man richtig?

Manchmal helfen aber alle guten Vorsätze nichts, ein Wort gibt das andere und es kommt zum Streit. Damit auf den hitzigen Weihnachtskrach keine familiäre Eiszeit folgt, rät Beatrix Heizmann zur Deeskalation: „Man kann sich bereits vorab auf kritische Situationen vorbereiten – immerhin weiß man in der Regel, wie die Menschen ticken, die an der Feier teilnehmen.“ So könne man zum Beispiel darauf achten, dass Familienmitglieder, die nicht so gut miteinander können, nicht unbedingt nebeneinander am Tisch sitzen.

Falscher Baumschmuck, falsches Essen oder falscher Ablauf: An den Feiertagen gibt es viele Streitgründe für Paare. Wichtig ist, ...
Falscher Baumschmuck, falsches Essen oder falscher Ablauf: An den Feiertagen gibt es viele Streitgründe für Paare. Wichtig ist, frühzeitig und offen miteinander zu reden. | Bild: Christin Klose/dpa

Sacha Szabo sieht einen Streit an der Weihnachtstafel dagegen als echte Chance: „Weihnachten als Fest der Liebe bietet die Gelegenheit, sich einmal richtig auseinanderzusetzen, sich eben ‚richtig‘ – das heißt kultiviert – zu streiten“, erklärt der Soziologe. Die Offenheit, seine Sorgen, seinen Ärger und seine Ängste den anderen zu offenbaren, sei vielleicht das wertvollste Geschenk, das man an diesem Tag machen könnte.

Man sollte vorher Regeln festlegen

Damit das Wortgefecht tatsächlich kultiviert abläuft und nicht eskaliert, rät Sacha Szabo, vorher bestimmte Regeln abzusprechen. So könne man vereinbaren, dass jeder Bereitschaft zeigt, zuzuhören, sich nicht zu rechtfertigen, aber sich vielleicht zu erklären. „Das wäre dann eine ganz gute Voraussetzung dafür, dass sich jemand traut, sein Herz zu öffnen und die anderen an seinen Gefühlen teilhaben zu lassen“, so Szabo.

Auch ein festgelegter zeitlicher Rahmen ist sinnvoll, rät der Soziologe – zum Beispiel das Weihnachtsmenü. „Und nach dem Nachtisch könnte man miteinander anstoßen und so das Gespräch abschließen, sich vielleicht sogar versöhnen.“

Dieser Artikel erschien bei SÜDKURIER Online erstmals im Dezember 2019 und wurde überarbeitet.