Wenn man zehn Ereignisse aus der deutschen Geschichte benennen müsste, steht der Dreißigjährige Krieg sicherlich auf der Liste. Auch wer nicht alle Schlachten parat hat, verfügt über eine Vorstellung vom Ausmaß dieser Katastrophe. Sie hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Es bleibt die düstere Ahnung davon, was diese Zeit über Land und Leute gebracht hat. Dieser mitteleuropäische Großkrieg bündelt alles, was Menschen bis heute wie die Pest fürchten: Gewalt, Missbrauch, Hunger, Verwüstung. Vor 400 Jahren begann er.

Die Jahre von 1618 bis 1648 ragen aus dem 17. Jahrhundert heraus. Es ist eine seltsame Epoche, die in vielen Lehrplänen ein bescheidenes Dasein fristet. Neben dem großen Sterben verblassen alle anderen Nachrichten, die die Nachgeborenen interessieren könnten.

Dabei wimmelt diese Epoche von spannenden Persönlichkeiten. Der mysteriöse Kaiser Matthias sammelt in der Prager Burg Stoßzähne von Einhörnern und astronomische Geräte. Die ersten Pilgerväter verlassen die britischen Inseln und setzen nach Amerika über; sie sind die Ahnen der späteren USA – lange vor dem Ausrufen der Unabhängigkeit. Das 17. Jahrhundert steckt im Sandwich der Epochen: Zwischen dem Reformations-Jahrhundert (dem 16.) und dem Revolutions-Jahrhundert (18.) wirkt es verloren und unnütz. Ein Fall für Experten also, doch kaum von öffentlichem Interesse. Die breite Wahrnehmung hat es fast verdrängt.

Wären da nicht jene 30 Jahre, die mit dem Wort Krieg nur mangelhaft beschrieben sind. Zeitgenössische Chroniken vergleichen das Geschehen mit den vier Reitern der Apokalypse und deren Schrecken. Was als Glaubenskrieg auf überschaubarem Gelände beginnt, entwickelt sich über die Jahre zur gefräßigen Mordmaschine, die sich über deutsche und böhmische Lande wälzt. Während Kriege bisher ein definiertes Ziel verfolgten und mit dessen Erreichen eingestellt wurden, machen sich die Söldnerheere samt Kommandeuren selbstständig.

Die Glaubensfrage wird zweitrangig, da die riesigen bewaffneten Haufen auf Schlagkraft und Wachstum ausgerichtet sind. Sie führen Marketenderinnen im Tross mit, Musiker, Pfarrer, Handwerker. Kinder werden innerhalb der Zeltlager geboren, außerhalb aller Schranken der Epoche. Was in dieser Zeit als unschicklich galt, wird zur Norm. Ganze Landstriche versinken in Anarchie, Dörfer verrotten, die Menschen fallen in die Muster einer primitiven Gesellschaft zurück.

Verlierer bauen keine Denkmäler

Auch deshalb steht der Dreißigjährige Krieg als Mahnmal der eigenen Art in der deutschen Landschaft. Er ist eher mental eingegraben als nach außen sichtbar. Es gibt nur wenige Denkmäler, die daran erinnern, weil die deutschen Territorien die klaren Verlierer waren. Dass die Unterlegenen ihre Geschichte öffentlich darstellen, war damals nicht an der Tagesordnung. Sie schämten sich und schwiegen. Erst das 20. Jahrhundert hat sich zum öffentlichen Verarbeiten von Niederlagen durchgerungen. Damals, 1648, waren die Zeitgenossen gierig nach Frieden und Ruhe.

Dafür bahnt sich eine ermutigende Entwicklung an. Der Aufbau nach dem Krieg traf auf einen Baustil, der aus Italien importiert wurde: das Barock mit seinen verschwenderischen Formen. Süddeutschland sog den neuen Stil auf. Besonders in Oberschwaben führte er zu einer Blüte. Bürgerhäuser in den Städten, Spitäler, kleine Wegkapellen – alles wurde eilig barock nachgerüstet oder neu errichtet.

Die Illusionstechnik dieses Stils war eine Antwort auf die Trostlosigkeit des Nachkriegs. Barock waren die falschen Fassaden und täuschenden Kuppeln. Eine brutale Wirklichkeit wurde effektvoll drapiert. Bis heute ist die Macht dieses Stils greifbar. Barockes genießt höchsten Anspruch auf Denkmalschutz – zum Leid manches modernen Bauherrn, der an den Auflagen verzweifelt – und über Papierkrieg klagt.