„Wir leben in einer Welt umgeben von Idioten und beherrscht von Banditen.“ So beginnt Walter seine Wutrede über Deutschland. Der 62-Jährige ist ein Reichsbürger. Glaubt man seinen skurrilen Thesen, ist das Deutsche Reich nie untergegangen, die Alliierten herrschen weiterhin und Angela Merkel wird von großen Wirtschaftsunternehmen gesteuert. Walter glaubt deshalb über dem Recht, Gesetz und der Verfassung zu stehen. Er erklärt sein Grundstück zur eigenen Nation, mit eigener Verfassung. All das macht Walter zum Staatsfeind – eine Gefahr für die Demokratie.
Warum wir die Namen einiger Reichsbürger nicht nennen
Laut aktuellem Jahresbericht des Verfassungsschutzes stieg die Zahl der registrierten Reichsbürger von 16 500 Mitgliedern in einem Jahr auf 19 000 Personen.

In den meisten Fällen sind sie harmlos. Doch vier bis fünf Prozent, also etwa 950 Personen, sind gefährlich, schätzt der Verfassungsschutz. Deshalb werden Reichsbürgern mit Waffenschein ihre Messer, Gewehre und Pistolen ausnahmslos abgenommen – egal ob sie einmal gewalttätig wurden oder nicht.
Walter besitzt keine Waffen – behauptet er in zahlreichen Telefongesprächen mit einem Redakteur des SÜDKURIER. Von Gewalt hält er dennoch viel: „Um etwas zu ändern, müssen wir ganz oben angreifen“, beschreibt Walter und lacht – lang, laut, diabolisch. Was er damit meint, verrät er nicht. Er ist vorsichtig und hält sich meistens bedeckt, wenn man genauer nachfragt. Zu groß ist seine Angst davor erwischt zu werden und der falschen Person die falschen Dinge zu erzählen.
So arbeitet der Verfassungsschutz, um Reichsbürger zu identifizieren
Wie etwa von Ermittlern des Landesamts für Verfassungsschutz. Sie nehmen zwielichtige Webseiten unter die digitale Lupe, um verdächtige Personen zu identifizieren. Eine wichtige Rolle spielen soziale Medien. Weil Reichsbürger in der realen Welt nur schlecht organisiert sind, vernetzen sie sich häufiger als andere rechtsextreme Gruppierungen auf Facebook, Twitter und Co.
Auch die Ämter in den Kommunen spielen einige wichtige Rolle. Wann immer eine Person mit Reichsbürger-Ideologien auffällig wird, melden die Beamten den Vorfall mit Namen dem Verfassungsschutz. Der leitet dann weitere Ermittlungen ein. Wie sie dann weiter verfahren, bleibt aus ermittlungstaktischen Gründen ein Geheimnis.
Reichsbürger werden auf Veranstaltungen rhetorisch geschult
Gut möglich, dass sie so auch schon auf Walter stießen. Er ist rhteorisch begabt, beherrscht staatsorganisatorische Fachbegriffe und weiß auf jede kritische Frage eine Antwort. Dafür werden sie bei Veranstaltungen von anderen Reichsbürgern geschult. „Bei solchen Treffen lernen wir alles, was wir wissen müssen. Das ist echte Bildung“, so Walther. Um seinen Standpunkt zu untermauern, zitiert er Gesetze, Verträge, Rechtsprechungen. Er verkürzt Zitate, erfindet sie sogar teilweise. Man merkt, dass Walter nicht zum ersten Mal einen Interessierten in seine abstruse Welt hinabziehen will.
Reichsbürger-Experte entkräftet typische Argumente
Staatsfeinde wie er müssen nicht unbedingt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sein. Waffenbesitz, Mitgliedschaft in einer Reichsbürger-Gruppierung oder Drohung gegenüber Kommunalbeamten sind Hinweise für eine radikalere Gesinnung. Letzteres kam bislang in den Landkreisen Waldshut-Tiengen, Konstanz und Schwarzwald-Baar auf Nachfrage nicht vor.
Reichsbürger gehen Beamte in Rathäusern an
Im Bodenseekreis ist das anders. Wie der Landratsamt-Pressesprecher Robert Schwarz dem SÜDKURIER berichtet, „hatten wir bisher zwei Fälle, in denen Reichsbürger laut und bedrängend geworden sind. In einem Fall haben wir die Polizei verständigt, woraufhin der Betreffende aber vor deren Eintreffen das Weite gesucht hat.“ Ein ähnliches Szenario hat sich auch in einem Rathaus abgespielt. Dort „musste die Person durch die Polizei entfernt werden“, berichtet Schwarz.
Joachim Widera will das Deutsche Reich zurückerobern
So weit kam es bei Joachim Widera noch nicht. Er bezeichnet sich als friedlichen Reichsdeutschen. Aber in der Geschichte hätten auch viele für ihre Rechte kämpfen müssen. Es könne sein, dass einer aus der Reihe tanzt. Das könne man nicht kontrollieren. Gewalttäter: Kollateralschäden, die man in Kauf nehmen muss, um großes zu erreichen.
Joachim Widera erzählt uns in einem persönlichen Gespräch in seiner Wohnung in Rheinfelden, dass er 1996 zum ersten Mal kritisch wurde. Bei ihm reichte ein vermeintlicher Rechtschreibfehler, eine grammatikalische Bagatelle aus, um zum Reichsbürger zu werden: Auf dem Personalausweis steht „Staatsangehörigkeit: deutsch“. Das sei nicht korrekt. Anstatt des Adjektivs müsse dort ein Substantiv stehen – Deutschland oder Deutsches Reich etwa. Für ihn der endgültige Beweis dafür, das Deutschland als Staat nicht existiere.
Heute ist er stolzer Parteivorsitzender von „Deutsche Zukunft“, die laut eigener Aussage 200 Mitglieder und viele andere hunderttausende Sympathisanten hat. Widera will mit seiner Partei zum Deutschen Reich von 1937 zurück. Wenn es nach ihm geht mit den Territorien Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Teilen des Elsass. Das stehe den Deutschen völkerrechtlich zu, ist er überzeugt.
Um das zu erreichen, müsse man sich erst einmal von den Alliierten befreien, die bis heute die deutsche Politik und Wirtschaft steuern. Die Deutschen seien immer noch Vasallen der USA und vom Vereinigten Königreich. Zur Not auch mit Gewalt? Der Reichsbürger wirkt unentschlossen.
Kollateralschäden nimmt er in Kauf
Eigentlich sei er nicht gewaltbereit, aber in der Geschichte der Menschheit hätten die Menschen immer wieder für ihre Rechte kämpfen müssen. Es könne immer sein, dass einer von vielen aus der Reihe tanzt. Das könne man eben nicht kontrollieren.
Im Alltag hält er sich an Recht und Gesetz. Nicht weil er es will, aber er muss sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik irgendwie bewegen und handlungsfähig bleiben, damit er das Deutsche Reich wieder errichten kann. Widera hat Wirtschaftsgeografie studiert. Er wirkt intelligent.
Wie rutscht so ein Mann in die Reichsbürger-Szene ab? Verfassungsschützer Illi nennt drei Gründe. Entweder habe man bereits rechtes Gedankengut in sich, oder Menschen geraten durch einen Schicksalsschlag auf die rechte Bahn. Und es gebe Personen, die sich über GEZ oder Steuern aufregen. Wenn man im Internet danach sucht, wie man diese Kosten einsparen kann, lande man sehr schnell auf Seiten von Reichsbügern.
Auch ein Ehepaar aus der Nähe von Pfullendorf. Blaue Flaggen der Vereinten Nationen wehen auf dem Dach.
„Sie betreten UNO Territorium“ steht auf einem Schild im Eingangsbereich. Gezeichnet: „The Office of International Treasury Control“, also das Büro des internationalen Finanzministeriums.

Leider ist an diesem Tag niemand zu Hause. Ein handgeschriebener Brief mit der Bitte um ein klärendes Gespräch samt Visitenkarte wird im Briefkasten hinterlassen. Keine Antwort.
Reichsbürger sind in ihrer Dorfgemeinde bestens vernetzt und integriert. Werden sie unterschätzt?
Nachbarn berichten ausnahmslos positiv über die Reichsbürger. Auf Dorffesten seien sie gern gesehene Gäste. Einsiedler also, die keiner Fliege etwas zuleide tun, in der Gesellschaft voll integriert sind. Warum sie ihren eigenen Staat errichten, das weiß in dem kleinen Dorf niemand so genau.
Und auch Journalisten tun sich schwer Licht in die tiefe Reichsbürger-Dunkelheit zu kriegen. Auf der Homepage der Reichsbürger-Splittergruppe „Gelber Schein“ sind Anfragen von Mitgliedern zu Stammtischen öffentlich einsehbar. Per Mail werden 13 Personen angeschrieben. Der Redakteur nennt Namen, Arbeitgeber, Funktion. Keine Antwort.
Nächster Versuch: Diesmal anonym. Und interessiert am rechten Gedankengut. Prompt gehen Mails bei einer erfundenen Adresse ein. Sieben von zehn Reichsbürgern melden sich. Darunter Matthias. Matthias ist redselig, immer auf der Suche nach Gleichgesinnten. Er will einen Stammtisch für Reichsbürger im Bodenseekreis gründen.
Nach zahlreichen Mails ist er für ein Treffen bereit – eigentlich.
Reichsbürger bekommt kalte Füße und flüchtet
Friedrichshafen. Bodensee-Center. Ein Mann mit Rauschebart, dunkler Kappe und schwarzem Shirt mit der Aufschrift „Deutschland„ sitzt vor einem Supermarkt und tippt wild auf sein Smartphone ein. „Hallo, ich bins, wir sind verabredet“, sagt der Redakteur undercover. Markus hebt den Kopf, mustert. „Lassen Sie mich“, schreit er plötzlich, springt auf und zieht mit raumgreifenden Schritten davon.
Heterogene Szene ist nur schwer zu Durchschauen
Joachim Widera, Walter, Matthias und das Einsiedler-Ehepaar sind nur Beispiele für eine extrem unterschiedliche, staatsfeindliche Klientel: Manche haben Waffen und schrecken vor nichts zurück. Andere sind freundlich, gehen auf Dorffeste und leben trotzdem ein zurückgezogenes Leben. Personen wie Joachim Widera gründen Parteien und versuchen Gleichgesinnte um sich zu scharen, um das Deutsche Reich neu zu errichten. Eins haben sie alle gemeinsam: Wer nicht auf ihrer Seite steht, ist ein Feind.