Während Bundeskanzler Olaf Scholz diese Woche Israel besuchte, um Regierung und Gesellschaft des Landes nach dem mörderischen Terrorfeldzug der islamistischen Hamas der Solidarität Deutschlands zu versichern, kochte in der Bundeshauptstadt die Wut jener hoch, die Dschihadisten bejubeln und Polizisten mit Steinwürfen attackieren.
Zweifellos ist ein robustes Vorgehen gegen die fanatisierten propalästinensischen Gruppen gerechtfertigt. Wenn sich nun aber wieder die politischen Stimmen erheben, die reflexhaft die „ganze Härte des Gesetzes“ gegen die Täter verlangen, wirkt das hilflos. Denn das Gift des importierten Antisemitismus ist in Deutschland schon zu tief in migrantischen Gruppen eingesickert, als dass die Forderung juristischer Strenge dort noch irgendeinen Eindruck hinterlassen würde.
Passiert ist jahrelang … nichts
Das ist eine Folge jahrelanger Untätigkeit. Zwar war die Empörung groß, wenn sich wieder einmal ein Angriff auf einen jüdischen Bürger ereignete, der den vermeintlichen Fehler machte, mit einer Kippa in der falschen Straße zu laufen. Wenn jüdische Schüler gemobbt wurden, wenn sich ein Brandanschlag gegen eine Synagoge richtete.
Aber man hat den Eindruck, dass Behörden und Politik mit stillschweigender Erleichterung reagierten, wenn die Attackierten von sich aus die Konsequenzen zogen: keine Kippa, kein Davidstern am Hals, kein Hinweis an einer Fassade, dass es sich bei dem Gebäude um eine Synagoge handelt.

Fast 80 Jahre nach dem Holocaust muss sich das Judentum in Deutschland hinter schützende Mauern zurückziehen. Große Teile der Gesellschaft – religiösen Bekenntnissen entfremdet – nehmen das teilnahmslos hin. Es herrscht allenfalls freundliches Desinteresse an jüdischen Leben und Kultur in Deutschland, das sich nach 1945 wieder einen erfreulich lebendigen und produktiven Raum schaffen konnte.
Dass die jüdische Kultur unser Land bereichert, ist zwar in Gedenkreden zu hören. Aber jetzt, in diesen Tagen, in denen Hass-Tiraden gegen Israel und die jüdische Religion auch auf deutschen Straßen und Plätzen zu hören sind, bleibt das offizielle Deutschland merkwürdig passiv.
Bekenntnis zum Islam, aber nicht zum Judentum
Während der vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff geprägte Satz, wonach der Islam zu Deutschland gehört, mittlerweile Gemeingut geworden ist, fehlt das gleiche Bekenntnis zum Judentum. Während Moscheen mit Minaretten und Muezzin-Ruf auf sich aufmerksam machen, kurven vor Synagogen Polizeiwagen. Eine Situation, die Deutschland nicht länger kalt lassen kann.
Zum Antisemitismus der Rechten fügt sich der Antisemitismus von Muslimen, der nicht rassistisch, sondern nahostpolitisch aufgeladen ist und Israel als Hassobjekt adressiert. Das ist nicht erst seit dieser Woche bekannt, aber Hinweise wurden in falscher multikultureller Toleranz einfach weggelächelt.
Das auch deshalb, weil es im linken Spektrum zur politischen Kultur gehört, den Narrativen der Palästinenser mehr Glauben zu schenken als Stimmen aus Israel. Die Radikalisierung der rechten Parteien und Gruppen dort beförderte in Deutschland die Gewissheit, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, wenn man der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas die Hand reicht.
Unter dem Eindruck des Hamas-Terrors erweist sich das nun als fataler Irrtum. Die Jusos haben der Jugendorganisation von Abbas‘ Fatah die Freundschaft gekündigt, weil sich diese nicht klar vom Terror der Hamas distanziert. Plötzlich entdeckt die Linke das legitime Recht Israels auf Selbstverteidigung. Erst 1300 massakrierte Juden führten zu dieser Kehrtwende.

Auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne) wartet plötzlich mit Erkenntnissen auf, die so neu nicht sind. Der Antisemitismus werde in den Schulbüchern nur vor dem Hintergrund des Holocaust dargestellt, teilt sie nun mit.
Reichlich spät fällt der Politik ein, dass man diesen Fokus angesichts von 5,5 Millionen Muslimen in Deutschland überdenken sollte. Aufkeimenden Fanatismus bei Schülern zu bekämpfen, heißt, auch den Nahost-Konflikt zu einem Unterrichtsthema zu machen und Lehrern dazu das nötige Material zur Verfügung zu stellen.
Debatte war längst überfällig
Allerdings ist die Sache komplexer. Mangelndes Wissen über 75 Jahre Nahost-Konflikt findet sich nicht nur in muslimischen, sondern auch in ethnisch deutschen Familien. Aufklärung ist umso nötiger, da vermeintliche Israel-Kritik in vielen Fällen mit kruden antisemitischen Verschwörungstheorien verbunden ist.
Es ist tragisch, dass erst das schlimmste Verbrechen an Juden seit dem Holocaust eine Debatte in Deutschland ins Rollen gebracht hat, die überfällig war. Die Solidarität mit Israel ist nicht nur deutsche Staatsräson. Sie muss auch die Räson der Bürger werden.