Einst muss sie eine Schönheit gewesen sein. Doch heute fällt die alte, heruntergekommene Villa in einem Außenbezirk von Solothurn kaum auf. Die Gegend lädt wenig zum Verweilen ein. Züge rattern vorbei, die Aussicht auf die Berge wird von wenig hübschen Industriegebäuden getrübt. Doch von hier versucht eine Graswurzelbewegung derzeit massiv Einfluss auf die Schweizer Politik zu nehmen. Die „Verfassungsfreunde“ wollen nicht, dass ihr Kampagnenbüro exponiert wird. Sie passen nicht jedem Schweizer, immer wieder bekommt der Verein Drohbriefe.

Die Verfassungsfreunde geben den genauen Standort ihres Kampagnenbüros nicht öffentlich bekannt. Sie haben sich dafür einen abgelegenen ...
Die Verfassungsfreunde geben den genauen Standort ihres Kampagnenbüros nicht öffentlich bekannt. Sie haben sich dafür einen abgelegenen Ort gesucht in der Umgebung von Solothurn. | Bild: Moll, Mirjam

Die Gesichter des Vereins sind Michael Bubendorf und Sandro Meier. Beide sind Unternehmer, Meier hat seinen Job für den Verein aufgegeben, der 37-Jährige widmet sich ganz der Sache, der sich die Verfassungsfreunde verschrieben haben.

Sie verstehen sich als Verteidiger der direkten Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Beides sehen sie durch das Covid-19-Gesetz und das geplante Antiterrorgesetz für präventive polizeiliche Maßnahmen untergraben, über die am 13. Juni abgestimmt wird. Für das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz haben sie selbst eine Unterschriftenaktion gestartet, die Aktion linkere Protestbewegungen gegen das Polizeigesetz haben sie maßgeblich unterstützt und damit zum Referendum verholfen. Mindestens 50.000 Unterschriften müssen dazu in 100 Tagen zusammenkommen.

Der Parkettboden in der alten Wohnung knarzt, die Büros sind mit verwohnten Möbeln bestückt. In dem kleinen Bad steht eine alte Badewanne, die als Waschbecken herhalten muss. Es hat einen gewissen Charme, spartanisch-rustikal. An den Wänden hängen Poster der Kampagnen, stapeln sich Kisten mit Flugblättern und Kampagnenschriften, die per Post in der ganzen Schweiz verbreitet werden. 2,5 Millionen Exemplare hat der Verein drucken lassen. Zweieinhalb LKW-Ladungen voller Europaletten mit Papier. Der Effekt war unübersehbar.

Michael Bubendorfer sitzt in einem Büro der Verfassungsfreunde vor einer Karte mit den Ortsvereinen.
Michael Bubendorfer sitzt in einem Büro der Verfassungsfreunde vor einer Karte mit den Ortsvereinen. | Bild: Moll, Mirjam

Schnell wachsende Bewegung

Die Schweiz ist aufmerksam geworden auf jene, die sich der freiheitlichen Verfassung verschrieben haben. Der Verein ist aus den Protesten des vergangenen Jahres gegen die Covid-Maßnahmen entstanden, wurden zu einer schnell wachsenden Graswurzelbewegung, die innerhalb von zehn Monaten auf 10.000 Mitglieder anwuchs. Die „Neue Zürcher Zeitung“ war zu Besuch bei der Bewegung, die „nicht so einfach“ politisch einzuordnen sei. Einige Schweizer Medien ordneten die Verfassungsfreunde dagegen in die Riege der „Verschwörungstheoretiker“ ein, stellen sie gar als Rechtsnationale dar.

Doch den „Verfassungsfreunden“ geht es nach eigener Darstellung um etwas anderes. Sie negieren weder die Existenz des Virus, noch, dass eine Infektion schlimme folgen haben kann. Wohl aber die deshalb eingeleiteten Maßnahmen und deren Wirkung.

Covid-19-Gesetz als Machtinstrument?

Nun werden die Schweizer zum ersten Volk weltweit, das über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie abstimmen darf. Doch das Covid-19-Gesetz ist befristet, die meisten Regelungen laufen bald aus. Es schuf vor allem die rechtliche Grundlage, damit der Bundesrat die notverordnungsrechtlich beschlossenen Maßnahmen aufrechterhalten konnte, so lange dies aus epidemiologischer Sicht notwendig war. „Das ist doch die totale Macht“, findet Bubendorf.

Sandro Meier arbeitet für den Verein – er leitet die Kampagnen und das Sekretariat.
Sandro Meier arbeitet für den Verein – er leitet die Kampagnen und das Sekretariat. | Bild: Moll, Mirjam

Im Flur des Kampagnenbüros hängen Plakate, darauf ist zu lesen: „Das Covid-Gesetz beendet die freie Schweiz“, begleitet von einer Zeichnung mit einem an ein Covid-Virus angekettetes Bein. Andere zeigen Parolen zum Antiterrorgesetz: „Friedliche Bürger auf Terrorlisten? Neun Monate Hausarrest auf bloßen Verdacht hin?“ und „Menschenrechte missachten? Zwangsmaßnahmen für Kinder ab 12 Jahren“. Sind die Kampagnenbotschaften nicht verkürzt? Ja schon, gesteht Meier, gerät ins Stocken, bis Bubendorf einspringt, wieder auf die Kritikpunkte eingeht des Gesetzes.

2,5 Millionen Exemplare haben sie drucken lassen von ihrer Kampagnenzeitung, wie sie sie nennen. Sie wollen seriös wirken, trotz ihrer teils tendenziösen Darstellung. Ein paar Helfer sind in dem kleinen Büro aktiv, packen und sortieren. Niemand hier trägt eine Maske. In der Schweiz gibt es zwar eine Maskenpflicht, aber keinerlei Vorschrift dazu, wie diese aussehen soll. „Es ist nicht nachgewiesen, dass die Maske einen Nutzen hat“, sagt Meier.

Covid nicht gefährlicher als die Grippe?

Meier und Bubendorf sind keine, die man als einfältig bezeichnen kann. Sie bilden sich ihre Meinung, lesen viel. Die passende Quelle zur Nicht-Wirksamkeit von Masken haben sie auch gleich parat. Dass diese Untersuchung die Ergebnisse zum Teil verfälscht, in dem sie wichtige Schlussfolgerungen auslässt, ist für den Laien nicht erkennbar. Bei der Maske „geht es nur darum, die Menschen zu disziplinieren, die Corona-Politik sichtbar zu machen und zu zeigen, dass das Virus noch da ist“, glaubt Bubendorf.

Auch die übrigen Maßnahmen hätten „wenig beigetragen“ zur Eindämmung der Pandemie, sind die beiden überzeugt. Tatsächlich seien nur geringe Vorsichtsmaßnahmen nötig. Und die schweren Fälle auf den Covid-Stationen, die vielen älteren Menschen, die starben? Früher, sagt Bubendorf, hätte man über 80-Jährige, die krank sind, in Würde sterben lassen. Die Grippe sei der Freund der Alten, der ihnen einen würdevollen Tod ermögliche.

Den Vergleich mit der Grippe findet Bubendorf wichtig und richtig. „Denn die ist alles andere als harmlos“, erklärt er. Aber Masken habe deshalb noch nie jemand getragen.

„Das Leben ist nicht risikofrei“, findet Meier. Covid sei in der gleichen Größenordnung wie die Grippe, was die Sterblichkeit angehe. Wer die Todeszahlen der zweiten Welle kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Allein 2020 starben in der Schweiz doppelt so viele Menschen an den Folgen von Corona als im Grippejahr 2015. Legt man die Zahl der 2021 an Covid verstorbenen zugrunde, ist die Übersterblichkeit noch höher.

Wirksamkeit der Maßnahmen

„Es ist eigentlich verkehrt, dass wir beweisen müssen, dass die Maßnahmen nichts bringen“, findet Bubendorf. Die Schweizer Regierung habe überstürzt gehandelt, die Maßnahmen seien nicht verhältnismäßig gewesen, beraubten Unternehmen ihrer Existenz. Die Entschädigungen, die der Staat dafür zahlt, gingen mit einer „Entrechtung der Menschen“ einher, sagt der 39-Jährige.

Der Unternehmer und Mitinhaber einer Reederei ist ein Liberaler, war schon immer staatskritisch, sagt er über sich selbst. Trotz der Kritik am Covid-19-Gesetz hat er aber selbst die Kurzarbeiterentschädigung für sein Unternehmen in Anspruch genommen. Einen Widerspruch sieht er darin nicht. Er habe schließlich eine Verantwortung für seine Mitarbeiter, erklärt er.

Michael Bubendorf und Sandro Meier im Kampagnenbüro der Verfassungsfreunde. Im Hintergrund eines der Kampagnenplakate.
Michael Bubendorf und Sandro Meier im Kampagnenbüro der Verfassungsfreunde. Im Hintergrund eines der Kampagnenplakate. | Bild: Moll, Mirjam

Die Finanzhilfen könnten auch ohne Covid-Gesetz fließen, sagt Meier. Er kommt aus der Wirtschaft, war zuvor lange in der Finanzverwaltung tätig. Inzwischen widmet er sich ganz den Verfassungsfreunden. Er will die Schweiz der Zukunft mitprägen – auch für seine Kinder, sagt er. Und die wird für seinen Geschmack zu restriktiv.

„Jeder soll leben, wie er es für richtig hält“, ist Bubendorfs Motto. Wie er die Verfassungsfreunde einordnen würde? „Was uns eint, ist die kritische Haltung gegenüber dem politischen System“, sagt er. Er sehe sich gezwungen, nun aktiv zu werden, sagt er. Nicht nur gegen die Corona-Politik, in der er eine verkappte Impfpflicht sieht. Schon hat der Verein eine Volksinitiative „Stopp-Impfpflicht“ angeleiert.

Unterstützt von Menschenrechtsorganisationen

Auch das Gesetz für präventive Maßnahmen der Bundespolizei gegen potenzielle terroristische Gefährder ist den Verfassungsfreunden ein Dorn im Auge. Es erlaubt präventive Maßnahmen von der Gesprächs- und Meldepflicht bis hin zu Kontaktverboten und Hausarrest, selbst wenn es „keine ausreichenden Beweise für die Einleitung eines Strafverfahrens vorliegen“.

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Hier haben die Verfassungsfreunde prominente Verbündete – Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, aber auch der Europarat und mehrere UNO-Sonderberichterstatter, darunter Nils Melzer. Er sagt: „Für die Bekämpfung von Terrorismus, also von politisch motivierten Gewaltverbrechen, reichen die bestehenden Gesetze vollkommen aus.“ Bubendorf sagt, mit dem Gesetz würde sich die Schweiz auf eine Stufe mit Saudi-Arabien stellt. Tatsächlich bekäme die Schweiz mit dem Gesetz eines der strengsten in Europa.

Weg in den Nationalrat?

Bislang sind die Verfassungsfreunde auf den 13. Juni fixiert. Doch es gibt schon Pläne für danach. Das Thema Klima werde auch irgendwann kommen, sagen sie.

Wie ist das alles möglich? Hinter den Verfassungsfreunden stehen zahlungskräftige Unternehmer. Jedes Mitglied zahlt mindestens 50 Franken Beitrag. Mal 10.000 macht eine halbe Million. Hinzu kommen Spenden. Einer der größten Finanziers der Kampagnenzeitung: Zug Capital, ein Kryptowährungsunternehmen. An Geld mangelt es also nicht.

Die Bühne der Politik aber wollen sie nicht betreten – vorerst. „Wir haben mehr Einfluss, wenn wir außerhalb stehen“, glaubt Bubendorf.

Worum geht es eigentlich beim Covid-19-Gesetz?

  • Bündel von Maßnahmen: Das Covid-19-Gesetz wurde bereits im September 2020 vom Nationalrat, dem Schweizer Parlament, verabschiedet und schuf die rechtliche Grundlage, damit der Bundesrat, die Schweizer Regierung, die notverordnungsrechtlich beschlossenen Maßnahmen aufrechterhalten konnte. Ursprünglich ging es dabei um Kurzarbeit, das Verbot planbarer Eingriffe in Spitälern, um Kapazitäten frei zu halten für Covid-Patienten, oder die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln, um schnell Behandlungsmethoden gegen die Krankheit zu entwickeln.
  • Mehrfach neu gefasst: Inzwischen wurde das Gesetz mehrmals aktualisiert und angepasst. Darunter fallen Maßnahmen wie die Erhöhung der Härtefallhilfen und die Aufstockung der Kurzarbeit, ebenso wie Finanzhilfen für Kultur und Sport.
  • Weitere Maßnahmen: Das Gesetz beinhaltet aber auch Regelungen wie jene, dass Geimpfte von der Quarantänepflicht ausgenommen werden und die Ausweitungen der Tests sowie jüngst die Schaffung der Grundlagen für das sogenannte Covid-Zertifikat, das Genesenen, Geimpften und Getesteten den Zugang zu bestimmten Veranstaltungen oder Auslandsreisen ermöglichen soll. Die meisten Bestimmungen des Gesetzes sind ohnehin zeitlich befristet und laufen zum Jahresende ohnehin aus.
  • Darüber gibt es Streit: Die besonders umstrittenen Corona-Maßnahmen wie die Schließung von Läden und Restaurants, die Maskenpflicht oder die Verbote von Veranstaltungen und Versammlungen sind inzwischen größtenteils wieder aufgehoben. Zudem waren sie nie Teil des Covid-Gesetzes, sondern stützen sich auf das Epidemiengesetz. Auch das immer wieder propagierte Impfobligatorium ist nicht in dem Gesetz enthalten.
  • Was bei einer Ablehnung droht: Bei einem Nein wird das ganze Gesetz null und nichtig, auch die vielen Änderungen sind dann hinfällig.