Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

BKA-Präsident Holger Münch nannte am Mittwochabend im ZDF-„heute journal“ die Zahl von mittlerweile 54 Beschuldigten und sprach von mehr als 150 Durchsuchungen. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus.

Bei der Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ sichern Polizisten ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt.
Bei der Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ sichern Polizisten ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt. | Bild: Boris Roessler, dpa

Acht der 25 festgenommenen Verdächtigen sind inzwischen in Untersuchungshaft. Das sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Mittwochnachmittag in Karlsruhe.

25 Festgenommene und 27 weitere Beschuldigte

Festgenommen wurden die Menschen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien – darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und amtierende Richterin. Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen.

Auch er ist nach den Angaben von Generalbundesanwalt Frank unter jenen, für die Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Untersuchungshaft angeordnet haben. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.

Generalbundesanwalt Peter Frank gibt in der Bundesanwaltschaft eine Erklärung zu Razzien und Verhaftungen in der ...
Generalbundesanwalt Peter Frank gibt in der Bundesanwaltschaft eine Erklärung zu Razzien und Verhaftungen in der „Reichsbürgerszene“ ab. | Bild: Uli Deck/dpa

22 der Festgenommenen wirft die Behörde vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, zwei davon als Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Mit Ausnahme einer Russin haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus gebe es 27 weitere Beschuldigte.

Festnahmen auch in Baden-Württemberg

Der Südwesten sei ein Schwerpunkt der Durchsuchungen. Nach Informationen von „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ werden in Baden-Württemberg mindestens 30 Wohnungen mutmaßlicher Corona-Leugner und sogenannter Reichsbürger durchsucht. Der Schwerpunkt liege in den Landkreisen Karlsruhe und Pforzheim.

In Pfinztal-Wöschbach (Landkreis Karlsruhe) drangen nach dem Bericht Einsatzkräfte des SEK in das Haus eines Beschuldigten ein, nachdem sie zur Ablenkung einen Knallkörper gezündet hatten. Die Beamten hatten sich demnach dem Mehrfamilienhaus in einem gepanzerten Einsatzfahrzeug genähert.

Auch Räumlichkeiten im Bodenseekreis und im Kreis Rottweil durchsucht

Durchsuchungen hat es offiziellen Behördenangaben zufolge in Pforzheim, im Enzkreis und in den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Freudenstadt und Rottweil gegeben. Die Generalbundesanwaltschaft will das zwar nicht bekräftigen, allerdings verdichten sich die Hinweise inzwischen darauf, dass die Durchsuchung im Kreis Rottweil in der Stadt Sulz am Neckar stattgefunden hat. Der hier Verdächtige gehört den Angaben nach nicht zu den 25 festgenommenen Personen, aber zu 27 Beschuldigten in deren Umfeld.

Auch im Bodenseekreis hat es Durchsuchungen gegeben, wie eine Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft auf SÜDKURIER-Anfrage bestätigt. Demnach wurden Räumlichkeiten einer unverdächtigen Person sowie einer beschuldigten Person durchsucht. Die genauen Orte seien geheim, können aus Gründen des Persönlichkeitsrechts nicht genannt werden. Das Polizeipräsidium Ravensburg bestätigt, an den Aktionen beteiligt gewesen zu sein.

Durchsuchungen in Kaserne in Calw

Die Ermittlungen richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes der Deutschen Presse-Agentur.

Bei der Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ sichert ein Polizist ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt.
Bei der Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ sichert ein Polizist ein durchsuchtes Objekt in Frankfurt. | Bild: Boris Roessler, dpa

Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw durchsucht. Er war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen und später aus der Truppe heraus gemeldet worden. Bei den Ermittlungen sind demnach bisher aber keine Bezüge zu früheren Extremismusvorfällen im KSK entdeckt worden.

Der aktive Soldat sei Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte, es handele sich aber nicht um einen Kommandosoldaten. Hintergrund ist, dass in der Kaserne auch Teile der Logistik, Unterstützungskräfte und die Führung des Verbandes stationiert sind.

Bundesanwaltschaft: Gruppe plante Umsturz

„Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung“, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde, hieß es in einer Mitteilung.

Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.

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Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein „Rat“. Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. „Die Mitglieder des „Rates“ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Polizisten und Soldaten sollten rekrutiert werden

Ein „militärischer Arm“ sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“, hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. „Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten „Systemwechsels auf allen Ebenen“ zumindest billigend in Kauf.“ Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben.

Polizisten an einem durchsuchten Objekt in Frankfurt.
Polizisten an einem durchsuchten Objekt in Frankfurt. | Bild: Boris Roessler, dpa

Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des „militärischen Arms“ hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, „um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren“.

Gruppe war offenbar fest entschlossen

Nach den Worten von Generalbundesanwalt Peter Frank hatte die Gruppe noch kein konkretes Datum für die Verwirklichung ihres Vorhabens gehabt. Innerhalb der Vereinigung habe es aber Diskussionen gegeben, ob bestimmte Anlässe von außen nicht Grund zum Losschlagen hätten sein können, sagte Frank am Mittwochabend in einem ARD-„Brennpunkt“. „Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch sicher waren, etwas zu tun“, betonte Frank.

Buschmann: Demokratie ist wehrhaft

Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die Razzia als „Anti-Terror-Einsatz“. „Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt“, schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter. Der Generalbundesanwalt ermittele gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus dem Reichsbürger-Milieu. „Es besteht der Verdacht, dass ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane geplant war.“

Eine Person (2.v.r.) wird nach den Razzien von Polizisten in Karlsruhe aus einem Hubschrauber gebracht.
Eine Person (2.v.r.) wird nach den Razzien von Polizisten in Karlsruhe aus einem Hubschrauber gebracht. | Bild: Uli Deck/dpa

Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen. (dpa/sk)