Der Krieg in der Ukraine hätte nach wenigen Wochen vorbei sein können. Mit diesem Eindruck mussten am Mittwochabend die rund 150 Besucher in die Engener Nacht hinausgehen, nachdem sie zuvor knapp zwei Stunden lang Gabriele Krone-Schmalz zugehört hatten.
Dorthin, ins alte Kornhaus der Stadt, hatte Bürgermeister Frank Harsch (CDU) die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD geladen, um über das Thema der Stunde zu diskutieren: Wie geht es weiter mit der Ukraine?
Es war ein gewagtes Vorhaben, denn Krone-Schmalz ist nicht eben als scharfe Kritikerin von Russlands Präsident Waldimir Putin bekannt. Das will sie auch gar nicht sein, wie sich zeigen sollte.
„Ich rechtfertige nicht, was er macht. Aber den Putin von heute hat der Westen mit erschaffen“, sagt die 75-Jährige. Es ist eine sehr typische Aussage für Krone-Schmalz. Sie erzählt ein wenig von sich selbst, demonstriert Distanz zum Kremlherrscher und macht neugierig mit einer These, die sie schon seit vielen Jahren immer wieder vorträgt. Aber wer wollte da nicht zuhören?
Krone-Schmalz ist eine gekonnte Erzählerin, selbstironisch, witzig, abgeklärt. Und sie korrigiert sich auch mal, etwa wenn sie zugibt, wie sehr sie der Großangriff Putins auf die Ukraine am 24. Februar 2022 doch überrascht hat. „Ich muss gestehen, ich habe bis zum Ende noch an eine Drohkulisse von Putin geglaubt, damit er auf Augenhöhe mit dem Westen verhandeln kann.“
Sie hat ihre eigene Version der Geschichte
Dann aber schlägt das Pendel immer wieder in die andere Richtung aus. Sie lässt entscheidende Details weg und stellt Behauptungen auf, die so nicht stimmen. Die Autonomiebestrebungen der beiden ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk, so sagt Krone-Schmalz, hätten innenpolitisch von der Regierung in Kiew gelöst und damit der Angriff Russlands verhindert werden können.
Tatsächlich waren schon kurz nach der Annexion der Krim 2014 reguläre russische Truppen in die beiden Donbass-Regionen einmarschiert, um dort angebliche Separatisten zu unterstützen und die neue pro-europäische Regierung in Kiew zu destabilisieren. Erst als das selbst nach acht Jahren nicht gelang und sich die Ukraine und die Nato annäherten, griff Putin schließlich das ganze Land an.
Von diesen Umständen erfahren die Zuhörer an diesem Abend aber nichts. Stattdessen sieht Krone-Schmalz die Nato und deren Osterweiterung als weitere Ursache für die Invasion. Eine klare Absage an die Ukraine, jemals Mitglied des Verteidigungsbündnisses zu werden, so sagt sie, hätte diesen Krieg verhindert.
Ohnehin ist für sie klar: „Die Ukraine wird ja nie in die Nato kommen, das ist lächerlich.“ Dass die Ukraine erst nach der Krim-Annexion und dem russischen Einmarsch in den Donbass Ende 2014 ihre neutrale Position aufgab und sich per Parlamentsbeschluss der Nato zuwandte, sagt Krone-Schmalz nicht.
Putin geht es um mehr
Überhaupt sei die Befürchtung unbegründet, dass Putin die ganze Ukraine „überrollen“ würde, meint sie. „Was soll er auch damit?“ Schließlich brächte die Besetzung eines so großen Landes immense Kosten und den Einsatz Hunderttausender Soldaten mit sich.
Das ist einerseits eine realistische Einschätzung, aber andererseits ist es schwer vorstellbar, dass eine Frau mit solch profunden Russlandkenntnissen nicht sieht, dass es Putin um mehr geht als nur die Vergrößerung von Staatsgebiet.
Seit dem ersten Tag der Invasion in die Ukraine spricht er davon, das „Brudervolk“ von den „nazistischen Herrschern“ in Kiew befreien zu wollen. In den besetzen Gebieten werden im Eiltempo russische Pässe verteilt, die ukrainische Sprache geächtet, Zehntausende Kinder nach Russland verschleppt und propagandistische Lehrinhalte an Schulen diktiert.
Putin mag es auch um Grenzverschiebungen und Einfluss gehen, aber in erster Linie will er die ukrainische Nation von der Landkarte tilgen, mit all ihren kulturellen Errungenschaften. Das ist nach drei Jahren Krieg mehr als deutlich geworden.
Der entscheidende Punkt
Und dann ist da noch die Sache mit Istanbul. Schon wenige Wochen nach dem 24. Februar 2022 begannen dort Verhandlungen zwischen ukrainischen und russischen Kontaktgruppen unter der Vermittlung der Türkei.
Dort, so erzählt es Krone-Schmalz, hätte es die Chance für einen Frieden gegeben mit einem Vertragsentwurf, dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj „jubelnd gerne zugestimmt“ hätte. Dann aber habe die Nato eingegriffen in Person des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson und der Ukraine geraten, nicht zu unterschreiben und weiterzukämpfen.
Diese Behauptung zieht schon lange Zeit ihre Kreise und wurde zuletzt von BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht im Wahlkampf und von US-Präsident Donald Trump beim Eklat mit Selenskyj im Weißen Haus aufgegriffen. Auch Putin selbst hat sie 2024 im Interview mit dem ehemaligen Fox-News-Moderator Tucker Carlson wiederholt – doch sie ist schlicht falsch.
Ein unterschriftfertiges Abkommen kam damals nie zustande und beim späteren Besuch von Johnson in Kiew riet dieser zwar der Ukraine tatsächlich dazu, nicht zu unterschreiben. Die Entscheidung dazu aber fällte die Führung in Kiew selbst, wie der Leiter der ukrainischen Verhandlungsgruppe, David Arachamija, später in einem Interview sagte.
Auf dessen Aussagen bezieht sich auch Krone-Schmalz, aber auch hier lässt sie entscheidende Details aus. Denn zu diesem Zeitpunkt im April 2022 hatten die ukrainischen Truppen die Oberhand und drängten Putins Armee in hohem Tempo zurück. In Kiew stand man vor der Wahl, die östlichen Regionen aufzugeben und faktisch zu kapitulieren, oder weiterzukämpfen und noch weitere Gebiete zurückzuerobern, wofür ihr westliche Waffen in Aussicht gestellt wurden.
Solche Ausführungen ließ Gabriele Krone-Schmalz in Engen immer wieder vermissen. Sie gehören jedoch unbedingt für das Verständnis dieses Konflikts dazu und man könnte sie erwarten von einer Frau, die für sich in Anspruch nimmt, „chronologisch und analytisch“ an die Dinge heranzugehen, wie sie betont.
Fast zwanghaft bemüht sie sich stattdessen, den ukrainischen Regierungen ab 2014, der Nato und den westlichen Unterstützerländer eine Mitschuld an der Aggression und letztlich den Kriegsverbrechen von Wladimir Putin zu geben.
Wo Krone-Schmalz Recht hat
Dabei hat sie in einigen Punkten vermutlich sogar recht. Etwa, dass man sich trotz aller Gräueltaten wahrscheinlich mit dem Mann im Kreml wird zusammensetzen und verhandeln müssen.
Und vielleicht stimmt es auch, wenn Krone-Schmalz sagt, dass es zu diesen tiefen Gräben zwischen der Nato und Russland nie gekommen wäre, wenn man während seiner ersten Amtszeit vor über 20 Jahren mehr auf Putin zugegangen wäre, als sogar eine Aufnahme Russlands in das Bündnis zur Debatte stand.
So aber bleiben viele Fragen offen, auch an Krone-Schmalz selbst. Auf dem Rathausplatz und vor dem Kornhaus in Engen protestierten an diesem Abend einige Dutzend Menschen gegen ihren Auftritt, und Bürgermeister Harsch berichtete im Vorfeld der Veranstaltung von einem „Shitstorm, wie ich ihn noch nie erlebt habe“.
Auch das gehört zum 1106. Tag dieses Krieges: Die Debatten sind scharf, die Worte oft giftig. Ob sie nicht ebenso manchmal das Gefühl habe, Putin zu wenig deutlich zu kritisieren, wird Krone-Schmalz noch gefragt. „Das“, antwortet sie, „machen die anderen schon.“