Auf ihre Art und Weise könnte eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu wahren Jamaika-Koalition werden: Immerhin stehen alle drei Parteien der Legalisierung von Cannabis offen gegenüber – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Grüne und FDP sind für die Abgabe in kontrollierten Geschäften und nur an Volljährige. Die SPD will erst einmal nur Modellprojekte. Welche Argumente gibt es für die Freigabe und welche dagegen?
SÜDKURIER-Redakteur Dominik Dose ist für die Freigabe. Das sind seine Argumente:
1. Eine gesellschaftliche Realität wird anerkannt und in geordnete Bahnen gelenkt
Wenn es ein Verbot gibt, das massenhaft ungestraft nicht beachtet wird, dann läuft etwas schief. Entweder stimmt die Strafverfolgung nicht – oder das Verbot ist so lebensfremd, dass es schlichtweg nicht durchzusetzen ist. Letzterer Fall scheint bei Cannabis gegeben zu sein – dass man selbst kifft oder zumindest Freunde hat, die das tun, ist gerade für jüngere Menschen eine normale Sache. Diese Entwicklung zurückzudrehen ist kaum möglich – und in vielen Kreisen auch schlichtweg nicht gewünscht. Würde man dem rechtlich Rechnung tragen, könnte man dafür klarere Linien ziehen, was wirklich nicht geht, etwa der Konsum durch Minderjährige.
2. Die Strafverfolgung wird gestärkt
So kurios es erst einmal klingen mag, aber die Legalisierung könnte ausgerechnet die Strafverfolgung verbessern – und zwar die der tatsächlich schweren Drogendelikte. Also Cannabis-Konsum durch Minderjährige, oder der Verkauf an sie. Oder der Handel und Besitz härterer, synthetischer Drogen. Polizei und Staatsanwaltschaften hätten dafür Kapazitäten frei, wenn sie durch die Legalisierung nicht mehr jeden Cannabis-Kleinstkonsumenten zumindest noch pro Forma feststellen müssten (siehe Infokasten).
3. Der Schwarzmarkt wird geschwächt
Ja, es wäre sehr naiv zu glauben, dass man ihn austrocknet, Drogendealer wird es immer geben. Aber immerhin senkt man spürbar ihre Einnahmen – und erschließt nebenbei eine neue Geldquelle für den Staat, der durch Steuern und Abgaben am Cannabis-Konsum mitverdienen würde. Ist das unmoralisch? Nein – denn der Staat hätte dadurch die Möglichkeit, mehr Maßnahmen zu finanzieren, die Drogenmissbrauch entgegenwirken, also Prävention und Strafverfolgung.
4. Cannabis ist nicht gefährlicher als Alkohol
Es ist das Ur-Argument jedes Kiffers: „Das, was ich mache ist verboten und kaum gefährlich, aber sich zu Tode zu saufen, das ist erlaubt!“ So pauschal kann man das zwar nicht stehen lassen, es ist aber viel Wahres dran. Das Zellgift Alkohol hat eine Vielzahl kurzfristiger und langfristiger Folgen, senkt bei regelmäßigem Konsum die Lebenserwartung und extremes Trinken kann sofort tödlich wirken. Sich an einem Abend zu Tode zu kiffen ist derweil schon rein körperlich kaum möglich. Dennoch gibt es negative Auswirkungen, so besteht bei langfristigem Konsum etwa die Gefahr von Psychosen. Dass Cannabis in Summe gefährlicher als Alkohol wäre, ist wissenschaftlich aber tatsächlich kaum zu begründen. Wobei eine Sache natürlich nicht allein dadurch gut wird, dass sie nicht schlechter als eine andere schlechte Sache ist.
5. Die Sicherheit für Konsumenten wird erhöht
Gerade weil Cannabis eben nicht völlig harmlos ist, wäre die Abgabe in Fachgeschäften sinnvoll. Hier kann sichergestellt werden, dass die abgegebene Menge sauber ist und zudem nur einen begrenzten Anteil des Rauschwirkstoffs THC enthält. Denn derzeit sind auf dem Schwarzmarkt teilweise Produkte erhältlich, in denen THC so hoch dosiert vorkommt, dass das Gesundheitsrisiko massiv wächst. Diese Substanzen könnte man vom regulären Verkauf ausschließen und verträglichere Varianten anbieten.
SÜDKURIER-Redakteurin Angelika Wohlfrom ist gegen die Freigabe von Cannabis. Das sind ihre Argumente:
1. Cannabis ist alles andere als harmlos
Die Joints, die die Liberalen und Grünen, die sich nun für eine Liberalisierung starkmachen, vor 20 Jahren geraucht haben, haben wenig mit dem Stoff zu tun, der heute gekifft wird. Das liegt daran, dass der THC-Gehalt von genetisch veränderten Cannabis-Sorten und von synthetischem Cannabis in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Tetrahydrocannabinol (THC) ist die psychoaktive Substanz, die beim Kiffen für den Rausch sorgt. Dem zweiten Hauptwirkstoff, Cannabidiol (CBD), wird wiederum eine entspannende Wirkung nachgesagt. Während der THC-Wert in den letzten Jahren angestiegen ist, enthalten viele hochgezüchtete Cannabissorten, die für den Freizeitkonsum angeboten werden, nur wenig CBD.
2. Der Konsum kann schwerwiegende psychische Krankheiten auslösen
Erst vor wenigen Monaten hat in Hamburg ein 29-Jähriger seine Freundin erwürgt, ihre Leiche zerstückelt und dann seine Mutter mit 63 Messerstichen getötet. Der junge Deutsche hatte schlimme Wahnvorstellungen und ist psychisch krank. Ursache seiner paranoiden Schizophrenie ist einem Gutachter zufolge langjähriger Cannabis-Konsum. Ein Horrorbeispiel, das sicherlich sehr selten ist. Doch auch ohne Gewaltexzess ist paranoide Schizophrenie eine Diagnose, die man keinem wünscht und die ein Leben vollkommen umkrempelt. Dass dieses Risiko bei ansonsten völlig unauffälligen Menschen mit einer bestimmten genetischen Disposition besteht, ist in der Öffentlichkeit leider wenig bekannt. Dass es um reale Probleme geht, zeigt eine Studie des Universitätsklinikums Ulm vom November 2020. Dort hat sich die Zahl der Psychiatriepatienten mit Cannabis-Psychose seit 2011 verachtfacht.
3. Besonders für Kinder und Jugendliche sind die Risiken durch Cannabis-Konsum groß
Regelmäßiger Cannabis-Konsum sei gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden sehr gefährlich, darauf weist der Kinder- und Jugendpsychiater Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), hin. Eine kürzlich vorgelegte Studie habe mithilfe bildgebender Verfahren bei Menschen und Experimenten an Mäusen gezeigt, dass die Entwicklung des Gehirns unter dem Einfluss des Cannabis-Wirkstoffs THC Schaden nehme. Die Folge seien nicht nur verminderte Intelligenz, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Die Gefahr, an einer Psychose zu erkranken, erhöhe sich, und zwar um den Faktor 3,2, bei starkem Konsum von Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von über zehn Prozent sogar um den Faktor 4,8.
4. Kontrolle ist gut, verbieten ist besser
Weder FDP noch die Grünen planen eine Abgabe von Cannabis an Jugendliche. Das Problem ist: Ist das Zeug in Massen auf dem Markt, werden auch Minderjährige Wege finden, daran zu kommen. Es stimmt zwar, dass es trotz Verbots im Moment nicht gelingt, Jugendliche vom Kiffen komplett fernzuhalten. Bei einer Legalisierung wäre das allerdings noch viel schwerer zu verhindern. Mit potenziell schwerwiegenden Folgen – siehe Punkt zwei.
5. Gerechtigkeitsdenken ist hier fehl am Platz
Alkoholkonsum kann ebenfalls gravierende gesundheitliche Folgen haben, trotzdem verbietet einem der Staat nicht, sich in massive Abhängigkeit zu begeben oder eine Leberzirrhose zu riskieren. Unfair, findet mancher Fan des Joints. Ein fragwürdiges Argument. Dass eine Sache schlimme Folgen haben kann, legitimiert nicht die zweite üble Substanz. Ein Staat, der die Gesundheit seiner Bürger im Blick hat, darf nicht nach solch verquerer Gerechtigkeitslogik argumentieren.