Herr Kretschmann, wie fanden Sie die Rede von Robert Habeck beim Parteitag?

Sie war im positiven Sinne nicht überraschend, weil es halt eine echte Habeck-Rede war, wie man ihn kennt, wo auch der Philosoph durchscheint, der dialektisch denkt. Die Grünen als geschlossen und offen gleichzeitig zu beschreiben – das fand ich stark, da muss man erstmal drauf kommen.

Er hat die Partei emotional gekriegt, oder?

Ohne sie bauchzupinseln.

Streicheleinheiten waren schon dabei.

Das ist aber was anders. Er hat kein Beruhigungsmittel verabreicht.

Musste er um Zustimmung kämpfen?

Ich denke, dass die Partei ganz geschlossen hinter ihm steht. Da passt kein Blatt Papier dazwischen. Die große Mehrheit verehrt ihn und ist so froh, dass wir ihn in dieser Krise an der Spitze haben, in diesem entscheidenden Ressort. Dass er mit Annalena Baerbock dafür sorgt, dass die Grünen die Partei sind, die in der Ampel-Koalition die Verantwortung wahrnehmen. Und zwar ohne Wenn und Aber. Dafür steht für mich Robert Habeck wie kein anderer. Er geht in die Konflikte rein, er macht Deals mit irgendwelchen halbseidenen Scheichs. Weil das die Alternativen sind, die er hat, und weil das besser ist, als Gas von Putin zu kaufen. Lieber zeitweise von Scheichs abhängig sein als von einem Kriegsverbrecher. Dafür steht er, das merkt die Mehrheit der Partei.

Dass er bei Gasumlage und Gaspreisbremse Fehler gemacht hat, verzeiht ihm die Partei?

Man kann Politik machen mit dem Ziel der Fehlervermeidung. Aber in der Krise Politik zu machen, bei der man ausprobiert, das verdient schon Respekt. Das muss man ja gerade dann machen, wenn‘s hart auf hart kommt. Gerade in Krisenzeiten muss man Fehler riskieren. Und Habeck gibt Fehler zu und korrigiert sie – wie oft gibt es das? Ich finde, Habeck ist da ein Unikat.

Wie stehen Sie zum Atomkompromiss? Können Sie da mitgehen?

Ich kann auf jeden Fall mitgehen. Es ist ja nicht das Wichtigste, dass wir als Grüne unsere Prinzipien unangetastet lassen, sondern dass wir Putin gegenüber eine starke Haltung zeigen und dass wir irgendwie durch den Winter kommen. Das ist das Ziel. Da sehe ich mich völlig deckungsgleich mit Robert Habeck. Es gibt zur Zeit ziemlich viele graue Lösungen, die provisorisch sind und nur zu 51 Prozent gut.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht beim Grünen-Bundesparteitag zu den Delegierten.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht beim Grünen-Bundesparteitag zu den Delegierten. | Bild: Kay Nietfeld, dpa

Was ist eigentlich, wenn uns im kommenden Herbst auffällt, dass wir wieder Energiemangel haben? Welchen Spielraum hat Habeck mit dem grünen Beschluss?

Das kann Habeck auch nicht vorhersehen, nicht im Detail. Man weiß ja nicht, wie die Entwicklung in der Ukraine ist. Wir haben auch keine Blaupause für diesen Winter. Habeck hat so viel Spielraum, wie ihm die Realität lässt. Das Wichtigste ist dann halt, dass er klug und vernünftig entscheidet. Das hat er meiner Ansicht nach bislang gemacht. Er ist entscheidungsfreudig, er macht nicht nur das Nötigste, sondern geht einen Schritt voraus.

Wäre es nicht notwendig, heute schon an den nächsten Winter zu denken? Sprich: Die Akw warten lassen, damit man sie zur Not nutzen kann.

Das Problem ist: Ja länger man die Leine der Atomindustrie lässt, desto mehr nimmt man den Druck aus der Entwicklung von Erneuerbaren. Dass wir aus der Atomkraft rausgehen, ist Konsens in Deutschland. Wenn wir den zurückdrehen, sind die Schäden größer als der Nutzen für die Energieversorgung. Wir muten unserer Klientel schon viel zu, aber ich vermisse bei der FDP, dass sie aus staatspolitischer Verantwortung auch mal über ihren Schatten springt.

Dass sie die Schuldenbremse im Prinzip durch Schattenhaushalte aufweicht, dürfte der FDP schon schwerfallen.

Ich bin selbst finanzpolitisch eher konservativ geprägt, also, dass man nur das Geld ausgibt, das man hat. Aber eine Lehre aus der Coronakrise ist: Es ist manchmal hilfreich, eine Krise zu strecken. Man hat in Deutschland schlimmste Verwerfungen abgewendet, in dem man Geld in die Wirtschaft gepumpt hat wie kein anderes europäisches Land. Ich finde, dass wir damit gut gefahren sind. Aber das hat einen Anfang und ein Ende. Was halt nicht geht: Der Staat ist nicht dafür zuständig, Wohlstandsminderung zu verhindern und Besitzstände zu wahren. Dass es nicht nur darum geht, dass man keine Not leidet, sondern dass es einem auf keinen Fall schlechter gehen darf – diese Erwartungshaltung ist in Deutschland schon sehr stark vorhanden. Wer hat diese 300 Euro Energiegeld wirklich dringend gebraucht? Sicher einige, aber nicht die Mehrheit in Deutschland. Für die meisten war das eher ein Stimmungsmacher.

Da haben die Grünen auch mitgemacht.

Klar, wir sind nicht dagegen gefeit. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man Prioritäten setzen muss, wo man sich solche Dinge nicht mehr leisten kann.

Wie will man unter solchen Voraussetzungen eigentlich die Klimaneutralität schaffen? Die geht doch nicht ohne Verzicht.

Das Umdenken kommt durch Leidensdruck, nicht durch Flugscham. Weil wir merken: Es geht halt nicht mehr. Aber was nicht funktioniert, ist eine asketische, radikale Lebensreform zu predigen. Wir sind ja eine politische Partei, die für Gesetze Mehrheiten sucht. Man schafft für wesentliche Veränderungen nur Mehrheiten, indem man den Mensch so mitnimmt wie er ist. Wir können uns jetzt radikalisieren, aber dafür landen wir dann wieder bei sechs bis acht Prozent. Klar, jeder, der bei Verstand ist, weiß, dass wir zu wenig machen für die Klimawende. Mit dem Zeigefinger zu kommen, klappt nicht.