Paukenschlag – das wohl meistverwendete Wort in den Livestreams am Dienstagvormittag aus dem Bundestag. Und es ist ja auch wirklich einer: Friedrich Merz fällt im ersten Wahlgang durch. Das hatte keiner auf dem Zettel. Und doch passt das Abstimmungsergebnis irgendwie in die Zeit: Nichts scheint mehr selbstverständlich, nicht einmal eine Kanzlerwahl bei der GroKo. Noch nie zuvor wurde ein Kanzler oder eine Kanzlerin in Deutschland schon vor der Wahl derart infrage gestellt. Am Ende geht es nach dem zweiten Wahlgang dann doch noch gut – sieben Stunden später als geplant.
Experten müssen nachschlagen
Und dennoch: Dass Merz dadurch beschädigt ist, steht außer Frage. Zum eigentlich geplanten Regierungsstart des Wirtschaftsverstehers rauscht erst mal der Dax in den Keller. Die verschärften Grenzkontrollen „von Tag eins an“ müssen wohl verschoben werden. Auf wann – das weiß man nach den ersten Schreckminuten im Bundestag noch gar nicht so genau. Selbst die Rechtsexperten müssen das nachschlagen – es ist ja noch nie da gewesen. Auch auf internationalem Parkett wartet man auf Merz. Eigentlich wollte der Kanzler in spe umgehend nach Paris und Warschau fliegen. Sein Standing in der Welt wird zumindest nicht gesteigert dadurch, dass ihn seine Koalition im ersten Wahlgang hat durchfallen lassen.
Man muss sich fragen, was die Abweichler geritten hat, ihren Regierungschef derart zu blamieren. Wer genau diese waren, werden wir wohl nie erfahren. Es darf also spekuliert werden, wer Merz die Stimme verwehrt hat. Es spricht einiges dafür, dass man sie in den Reihen der Genossen findet. Dort haben Lars Klingbeils Personalentscheidungen auch für Ärger gesorgt bei denen, die die alten SPD-Minister gern weiter im Amt gesehen hätten, oder sich mehr Anerkennung für Noch-Parteichefin Saskia Esken gewünscht hätten. Auch Klingbeil wurde mit diesem Votum also abgestraft. Aktiv verprellt hat Merz im Wahlkampf außerdem Parteilinke – durch Schimpfen auf Linke und Grüne, aber auch durch die gemeinsame Abstimmung mit der AfD.
Keinesfalls ausgeschlossen zudem, dass einige Abweichler auch aus den Reihen der Union kommen. Merz dürfte gerade seine größten Anhänger mit seiner Kehrtwende in Sachen Schuldenbremse am meisten verärgert haben.
Egal wie groß die Wut auf Merz und Klingbeil individuell aber sein mag: Diesen Abgeordneten fehlt es an Verantwortungsgefühl – gegenüber Partei und Land. Beide Parteien haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt, die SPD befragte sogar die Mitglieder. Dieses Ergebnis wurde von Teilen der Abgeordneten ignoriert. Vor allem aber riskierten sie mit diesem Abstimmungsverhalten wissentlich das Ansehen des Kanzlers, letztlich sogar die Stabilität der Demokratie. Im zweiten Wahlgang musste Merz befürchten, mit Hilfe einer erwiesenermaßen rechtsextremistischen Partei ins Amt zu gelangen. Es kam anders. Dennoch ist das ein schlechtes Omen für eine Legislatur, die Unios-Spitzen zum letzten Schuss gegen die AfD ausgerufen haben.
Deutschland sollte stark sein
Und das ist beileibe nicht die einzige Herausforderung für die kommende Regierung. Es ist ernst, so ist es allenthalben in Reden zu hören. Und tatsächlich: Die Wirtschaft steckt in der Rezession, Trumps Zoll-Chaos sorgt für weitere Aufregung, der Ukraine-Krieg droht vom US-Präsidenten auf eine Weise gelöst zu werden, die Europa nicht recht sein kann, und dazu muss man befürchten, dass sich der alte Kontinent in Sachen Sicherheit nicht mehr auf die USA verlassen kann. Deutschland soll eigentlich Stärke zeigen, lange genug schon hat Europa auf den wegen der vorgezogenen Bundestagswahl blockierten Partner warten müssen. Stattdessen nun führt die neue GroKo vor, dass man sich auch auf sie nicht wirklich verlassen kann.
Friedrich Merz hat ja schon so manchen Tiefschlag überwunden. Auch dieser wird ihn nicht aus dem Tritt bringen. Die Lektion in Demut währte am Dienstag sieben Stunden. Sie wird ihm noch mal klargemacht haben, dass diese Kanzlerschaft alles andere als ein Kinderspiel wird.