Sehr geehrter Herr Schröder,
es ist noch gar nicht so lange her, da hatte ich vor allem diese Bilder im Kopf, wenn ich an Sie dachte: Wie Sie in Trainingshose und Filzpantoffeln mit Tiermotiv auf Ihrem Balkon Tomatenstauden streicheln. Oder mit einer wattierten, ärmellosen Jacke bekleidet Kartoffeln in einer Pfanne braten.
Durch Fotos und Videos wie diese, die Ihre fünfte Ehefrau Soyeon Schröder-Kim regelmäßig auf ihrem Instagram-Kanal teilt, strahlten Sie eine nicht unsympathische Knuffigkeit aus.
Klar, da war zwar noch etwas im Hinterkopf abgespeichert über Ihre freundschaftlich-verständnisvolle Nähe zu Russland und dessen Staatspräsidenten sowie Ihre Tätigkeit als Lobbyist und Aufsichtsratsvorsitzender für die Nord Stream AG und den russischen Staatskonzern Rosneft. Aber die drolligen Aufnahmen Ihres privaten Alltags vermochten dies alles beinahe gänzlich zu überdecken.Das Ende der Knuffigkeit
Und jetzt? Aus und vorbei ist es mit der harmlosen Knuffigkeit. Zuerst brüskieren Sie breite Teile der Öffentlichkeit und Politik, indem Sie die Hoffnung äußern, „dass man endlich auch das Säbelrasseln in der Ukraine wirklich einstellt“ – in einer Folge Ihres Podcasts Die Agenda.

Und das zu einem Zeitpunkt, als die Luftbilder russischer Kampftruppen an der Grenze zum Nachbarland bereits jedem deutlich vor Augen geführt hatten, wer hier über die längeren Säbel verfügt. Zu einem Zeitpunkt, als sich nicht nur die Ukraine, sondern auch die baltischen und osteuropäischen EU-Mitgliedsländer zu Recht durch das Rasseln russischer Säbel bedroht fühlten.
Als wäre dies alles noch nicht genug, wird inmitten dieser sich zuspitzenden Krise im Osten Europas bekannt, dass Sie einen weiteren hohen russischen Wirtschaftsposten anstreben und für den Aufsichtsrat des Staatskonzerns Gazprom nominiert wurden.
Zu Recht werden jetzt Forderungen laut, dass Sie auf Ihre nachamtliche Ausstattung als Altbundeskanzler wie Bundestagsbüro, Mitarbeiter und Dienstwagen verzichten. In Ihrer eigenen Partei distanzieren sich führende Genossen klar von Ihnen.
Lieber wieder die Filzpantoffeln überziehen
Tatsächlich lässt Ihr Verhalten kein wirkliches Bewusstsein erkennen für die gesellschaftliche Verantwortung, die Sie als Altkanzler gegenüber Deutschland nach wie vor tragen. Und die nicht zuletzt aus den Privilegien Ihres semi-offiziellen Amts erwächst.
Seien es nun primär wirtschaftliche Interessen oder echte Brudergefühle für Kreml-Chef Wladimir Putin, die Sie antreiben: Tun Sie sich – und auch mir – doch bitte den Gefallen und holen Sie sich Ihre Knuffigkeit zurück. Streifen Sie sich Ihre wattierte, ärmellose Jacke über, schlüpfen Sie in Ihre Filzpantoffeln – und dann nichts wie ab an den Herd!