Sehr geehrter Professor Mertens,
dafür dass in der Ständigen Impfkommission, kurz Stiko, nur Ehrenamtler sitzen, kriegen sie ganz schön viel Druck. Der Stiko-Chef, also Sie selbst, natürlich am meisten: Reihum verlangen Ministerpräsidenten, Gesundheitsminister und andere Gesundheitspolitiker, dass Sie endlich ihrem Drängen nachgeben und die Impfung für Kinder und Jugendliche ab Zwölf generell absegnen. Tun Sie aber nicht!
Sie bleiben bei Ihren Standpunkt, erst gründlich zu prüfen. Und werden noch nicht einmal zornig dabei – kein böses Wort verlässt Ihren im Bartgestrüpp tief verborgenen Mund. Was manchen der oben Erwähnten freilich noch mehr zur Weißglut treiben dürfte!

Astrazenecas Ruf war schnell ruiniert
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie mit Langsamkeit und penibler Wissenschaftlichkeit provozieren. Dabei sind Sie nichts anderes als gründlich, arbeiten – auch so ein schönes Wort, das die Mehrheit von uns erst durch Corona kennengelernt hat – evidenzbasiert. Was im Grunde bedeutet, dass Sie sich nicht von Stimmungen, Umfragen oder politischen und wirtschaftlichen Zwängen leiten lassen, sondern davon, was sich wissenschaftlich belegen lässt im Sinne der Medizin.
Das führt manchmal zu unschönen Nebenwirkungen – zum Beispiel, wenn Sie und Ihr Gremium Astrazeneca erst für junge Menschen, dann nur für Ältere und schließlich nur noch in Kombination mit einem anderen Impfstoff empfehlen. So schnell und gründlich ramponiert war der Ruf eines Impfstoffs selten.
Aber – und das ist entscheidend – Sie tun das nicht etwa aus bösem Willen, oder weil Ihnen das gerade opportun erscheint, sondern weil sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterentwickelt haben. Auch etwas, das viele von uns die Coronakrise gelehrt hat: Eine wissenschaftliche Wahrheit gibt es so nicht, es gibt immer nur den neuesten Stand der Erkenntnis. Da ist nichts in Stein gemeißelt, auch wenn wir das manchmal gerne hätten.
Es geht um das Kostbarste, das wir haben
Zuletzt scheint der Erkenntnisgewinn in Sachen wissenschaftliches Arbeiten allerdings wieder zu bröckeln. In Sachen Kinderimpfungen hat die Politik es eilig, schließlich haben in den ersten Bundesländern die Schulen bereits wieder geöffnet. Und wenn die Inzidenz weiter so ansteigt, könnte uns ein heißer Herbst bevorstehen. Eine verständliche Sorge – und dennoch: Politiker sind keine Impfexperten. Gleich aus mehreren Gründen täten sie eigentlich gut daran, auf Ihr Urteil zu warten. Es geht um Kinder, das Kostbarste, das wir haben. Junge Menschen, die noch nicht für sich selbst entscheiden können. Und die vor allem in aller Regel nicht schwer erkranken an Covid-19.
Wo, wenn nicht bei den Kindern muss die Frage, ob die Krankheit Impfungen rechtfertigt, gründlich abgewogen werden? Insofern: Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen! Und bleiben Sie so gelassen wie bisher!