Herr Söder, Sie besuchen in diesem Wahlkampf mehr als 110 Bierzelte. Verraten Sie uns: Was macht eine gute Bierzeltrede aus?
Die Bierzeltrede ist wahrscheinlich die schwierigste Form der politischen Kommunikation. Es geht schon damit los, dass viele Leute eigentlich nicht zum Redner, sondern zum Gegenüber und auf ihr Bier und Hendl schauen. Das heißt, Sie müssen eine würzige Mischung haben aus guten Inhalten, persönlicher Ansprache und Humor darf natürlich auch nicht fehlen.
Schreiben Sie die Reden selbst?
Ja, jede Rede. Auch die vom Parteitag ist komplett von mir handgeschrieben. Das Problem ist nur, dass ich meine Schrift manchmal nicht mehr entziffern kann.
Was darf man denn im Bierzelt auf keinen Fall sagen?
Bierzeltrede bedeutet nicht, einfach nur platte Sprüche und Schenkelklopfer rauszuhauen. Als Ministerpräsident will ich auch einen klaren Inhalt vermitteln. Mir ist es beispielsweise wichtig, zu zeigen, dass ich für das ganze Land da bin, ein Ministerpräsident ist ein Schutzpatron, eine Mischung aus Manager und Landesvater. Das muss in so einer Rede auch rüberkommen.
Und es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, zu zeigen, dass wir die Krise überstehen werden. Ein Leben in Hoffnung und Mut ist besser als ein Leben in Frust und Wut. Es gibt Bierzeltredner, die nur schreien und schimpfen. Das ist nicht mein Sound.

Was unterscheidet denn die Söder-Bierzeltrede von einer Aiwanger-Rede?
Ich kenne seine Reden nicht.
Wirklich? Sie hören da auch nicht nachträglich mal rein?
Nein, warum sollte ich?
Weil es manchmal Ärger gibt um die Reden Ihres Stellvertreters …
Jeder hat da seinen eigenen Stil.
Wer Markus Söder wählt, kriegt auf jeden Fall auch Hubert Aiwanger – das ist die Konsequenz Ihrer Koalitionsaussage für die Freien Wähler. Stört Sie da nicht der krawallige Stil, den Ihr Vize manchmal wählt, vor allem in den sozialen Medien?
Wir haben fünf Jahre lang gut zusammengearbeitet. Bayern liegt überall vorn in Deutschland. Deswegen wollen wir diese bürgerliche Koalition fortsetzen. Wir wollen kein Schwarz-Grün in Bayern. Die Koalition besteht übrigens mit den Freien Wählern und nicht nur mit einer Person.
Sie ketten sich also auf Gedeih und Verderb an die Freien Wähler.
CSU und Freie Wähler sind unterschiedlich. Im Stil und im Inhalt. Aber die Freien Wähler sind eine gute Ergänzung. Die CSU ist als größerer Partner natürlich der Taktgeber in der Koalition und am Ende kommt es auf den Ministerpräsidenten an. Das ist ganz normal. Und die Stimme Bayerns in Berlin ist die CSU. Die Freien Wähler haben da keinerlei Einfluss. Wer die Ampel ärgern will, kann nur CSU wählen.
Als Ministerpräsident, so sagen Sie, wollen Sie für das ganze Land da sein. Hubert Aiwanger hingegen zeigt keine Hemmungen, wenn es darum geht, die Bevölkerung auseinanderzudividieren, er schürt Ressentiments zwischen Stadt und Land. Wie wollen Sie so zusammen regieren?
Ich will die Klammer sein, die das Land zusammenhält. Die Grünen konzentrieren sich nur auf urbane Milieus. Und die Freien Wähler haben den umgekehrten Ansatz. Ich halte es für falsch, Menschen und Regionen gegeneinander auszuspielen. Man merkt, dass dem einen oder anderen die Umfragewerte zu Kopf steigen und nur noch über Posten und Ämter spekuliert wird. Ich rate zu mehr Respekt vor den Wählerinnen und Wählern.
Wie ist heute Ihr persönliches Verhältnis zu Aiwanger? Was hat sich verändert?
In schweren Zeiten muss man zusammenarbeiten können, bei Corona gab es zum Beispiel immer eine gemeinsame Linie. Eine Koalition ist nie eine Liebesbeziehung, und das kann man auch in diesem Fall nicht sagen. Wichtig ist Stabilität. Und das garantiere ich.
Neben den wirtschaftlichen Aussichten treibt die Menschen derzeit vor allem ein Thema um – die Migration. Fast scheint es, als kehrten die Jahre 2015 und 2016 zurück. Warum ist seitdem in der Flüchtlingspolitik so wenig geschehen?
Die Kommunen sind seit Langem an der Überforderungsgrenze. Wir haben als Länder seit fast einem Jahr den Bund gebeten, etwas zu ändern. Seit einem Jahr passiert nichts. Diese Regierung ignoriert die Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung. Jetzt in den letzten zehn Tagen spürt die Ampel, spürt auch die Innenministerin auf einmal, dass es eng wird und dass Deutschland an seine Belastungsgrenze kommt. Wir brauchen eine Wende in der Migrationspolitik.
Sie schlagen eine sogenannte Integrationsgrenze vor. Das klingt wie die CSU-Obergrenze von einst, und schon die hat doch nichts gebracht.
Das Gegenteil ist richtig. Die Zahl von 200.000 ist von Horst Seehofer in der großen Koalition fixiert worden. Das hat in den letzten Jahren gut funktioniert. Dann hat die Ampel das geändert. Wir brauchen dringend einen Deutschland-Pakt gegen eine unkontrollierte Zuwanderung. Wir brauchen einen effektiven Grenzschutz wie unsere bayerische Grenzpolizei in ganz Deutschland. Statt Sonderaufnahmeprogramme braucht es eine Rückführung von kriminellen Straftätern.
Um schnellere Abschiebungen zu ermöglichen, sollten zentrale Bundesausreisezentren an den großen deutschen Flughäfen eingerichtet werden. Wir müssen aus der Kleinteiligkeit der Länder bei der Abschiebung ein organisiertes, national strukturierteres Verfahren machen. Mithilfe von Verträgen mit Staaten in Nordafrika oder vor allem der Türkei und mehr sicheren Herkunftsstaaten könnten Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, dann zurückgeführt werden.
Sie wollen damit verhindern, dass jemand, der kein Recht auf Asyl hat, lange bleibt, sich währenddessen integriert, dann doch noch weg muss …
Wenn jemand einen Anspruch auf Asyl, einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz hat, dann soll er natürlich hier sein Glück finden. Aber ein großer Teil hat keine solche Perspektive und da wären Bundesausreisezentren eine faire Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Zusätzlich brauchen wir deutlich mehr Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, denn die Dauer der Verfahren hat sich zuletzt wieder deutlich erhöht. Passiert ist bislang nichts.

Was 2015 und 2016 geholfen hat, war der Vertrag mit der Türkei. Das Konzept ist simpel: Die Türkei behält die Flüchtlinge im Land und die EU zahlt für Unterbringung, Verpflegung und Schulen. Brauchen wir so einen Deal mit anderen Ländern, zum Beispiel Tunesien?
Der Vertrag mit der Türkei war schon sehr wichtig. Und genauso sollten wir heute wieder agieren. Wir brauchen die Kontrolle über die Steuerung der Zuwanderung. Wir sagen Ja zu Humanität, aber Nein zu einer unkontrollierten Zuwanderung.
Zu Beginn des Wahlkampfes wirkte es so, als habe auch die CSU das heikle Thema Migration gar nicht anfassen wollen. Hat sich das nun geändert, weil die Lage außer Kontrolle zu geraten droht – oder weil Ihre Umfragen in den Keller fallen?
Die Lage hat sich zuletzt zugespitzt. Sogar der Bundespräsident warnt vor einer Überforderung. Wir steuern auf 400.000 Asylanträge in Deutschland zu, schätzt unser Innenministerium. Das gefährdet auch die demokratische Stabilität. Wir Länder haben über Monate versucht, gemeinsam beim Bund etwas zu erreichen – null Reaktion der Ampel.
Wir in Bayern haben selbst gehandelt: Wir entwickeln verpflichtende Sprachtests und -kurse in den Schulen, um die Integration zu fördern. Und wir stellen auf Sachleistungen um, vor allem bei jenen, die ein rechtsstaatliches Verfahren durchlaufen haben und abgelehnt wurden. Es müssen auch die finanziellen Anreize reduziert werden, nach Deutschland zu kommen. So machen es auch Dänemark und Österreich.
Franz Josef Strauß predigte einst, es dürfe rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben. Könnte er das heute noch immer sagen?
Die Zeiten haben sich geändert. Die Demokratie ist eine andere. Heute kämpfen Rechtspopulisten und Rechtsextreme in den meisten europäischen Ländern sogar um Platz eins. Auch bei uns ist die Lage ernst. Daher arbeite ich heraus, was die AfD wirklich bedeutet: Sie würde das Leben der Normalverdiener und Arbeitnehmer massiv verschlechtern.
Das AfD-Ziel ist raus aus der EU und der Nato: Raus aus der EU hieße raus aus dem Wohlstand. Wir können unsere Autos nicht nur in Deutschland verkaufen. Und ein Nato-Austritt ist ebenfalls völlig indiskutabel, denn raus aus der Nato wäre die Machtübernahme Putins in Deutschland. Die AfD-Ultras sind reine Kreml-Vasallen und wollen Deutschland dem Einfluss Moskaus ausliefern. Das geht gar nicht.
Neben der Migration beschäftigt jüngere Wählerinnen und Wähler vor allem der Klimaschutz. Unter Ihrem Vorgänger Horst Seehofer kam der Ausbau der Windkraft beinahe zum Erliegen. Warum haben Sie diesen Fehler nie korrigiert?
Nun mal langsam. Wir sind die Nummer eins bei erneuerbaren Energien in Deutschland. Das musste sogar Herr Habeck bestätigen. Wir sind bei Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie einsamer Spitzenreiter und beim Wind im deutschen Mittelfeld, aber klar die Nummer eins im Süden. Und wir starten durch: Der größte Windpark in Süddeutschland entsteht nun beim Chemiedreieck Burghausen und ein anderer für die Glasindustrie in Oberfranken. Wir liegen klar vor dem grün-regierten Baden-Württemberg.
Merz oder Wüst – wen hätten Sie lieber als Unions-Kanzlerkandidaten?
Oha, das ist ja mal eine völlig neue Variante der Fragestellung … (lacht)
Wir hoffen, Sie wissen unseren Versuch zu schätzen.
Immer. (lacht) Aber das entscheiden wir im nächsten Jahr.