Ein Feld voller Sonnenblumen. Dazwischen wachsen Hirse, Lupinen und andere Pflanzen. „Das ist mein Kartoffelacker“, sagt Florian Reyer, lacht und fängt an, mit bloßen Händen zwischen den Blumen zu graben. Wenig später hält er gleich mehrere große, erdige Knollen in den Händen.
Was ist uns nachhaltige Landwirtschaft wert?
Wenn Kartoffeln am Ende des Sommers geerntet werden, ist ihr Laub braun und abgestorben, die Erde auf dem Acker wird von der Sonne und vom Wind ausgetrocknet, es wachsen keine Pflanzen mehr darauf, die Nährstoffe binden. Damit das nicht passiert, hat Florian Reyer, Betriebsleiter Landwirtschaft der Hofgemeinschaft Heggelbach in Herdwangen-Schönach, die blühende Untersaat ausgebracht.
Sie hält den Boden gesund, lockt Insekten an – kostet aber pro Hektar etwa 70 Euro für das Saatgut plus zusätzliche Arbeitszeit. Teurer verkaufen kann Florian Reyer seine Kartoffeln deswegen nicht. Wie so viele Landwirte macht er seinen Job mit sehr viel Idealismus und mit einer großen Portion Selbstausbeutung, wie er sagt.

Erneuerbare Energien und geschlossene Kreisläufe
In der Hofgemeinschaft Heggelbach arbeiten sechs Familien nach den strengen Demeter-Richtlinien. Immer wieder beteiligen sie sich an Forschungsprojekten wie beispielsweise an einer Photovoltaik-Anlage über dem Kartoffelacker. Es wird sehr viel Wert gelegt auf geschlossene Kreisläufe und kurze Wege. Die Milch der Kühe wird in der hofeigenen Käserei verarbeitet, die Molke fressen die Schweine. Das Kühlhaus wird über die eigene Photovoltaikanlage betrieben.

Alles Projekte, die gut und wichtig sind für eine nachhaltige, regionale Landwirtschaft. Weil sie beispielsweise dazu beitragen, einen guten Boden zu schaffen, auf dem die Pflanzen auch extreme Wetterlagen überstehen. Aber von denen Florian Reyer auch ehrlich sagt: „Finanziell rechnen tut sich das für uns nicht unbedingt.“ Wie viel Geld ihm aber dadurch entgeht, dass er an die Umwelt und an nachfolgende Generationen denkt? Das konnte er bislang nur mit einem Schulterzucken beantworten.
Wissenschaftliche Arbeit am Bodensee
Seit zwei Jahren beteiligt Reyer sich deswegen mal wieder an einem Forschungsprojekt. Es nennt sich Regionalwert-Leistungsrechnung. Und es geht darum, Nachhaltigkeitsleistungen, die landwirtschaftliche Betriebe erbringen mit konkreten Zahlen sichtbar zu machen. Neben der Hofgemeinschaft Heggelbach machen auch sieben weitere Höfe aus dem Netzwerk „Wir. Bio Power Bodensee“ mit. Auch konventionell arbeitende Landwirte nutzen diese erweiterte Form der Buchhaltung.
Für die Regionalwert-Leistungsrechnung erfassen die Bauern ihre sozial-ökologischen Leistungen anhand von rund 300 Kennzahlen. Die Bewertung der Leistungen erfolgt dabei auf Basis des tatsächlichen Aufwandes: beispielsweise für Blühstreifen, für den Erhalt von Streuobstwiesen, für eine regionale Vermarktung, für den Einsatz von eigenem Saatgut oder für einen hohen Autarkiegrad bei der Energieversorgung. Diese werden gewichtet und am Ende mit einem Euro-Betrag für die Nachhaltigkeitsleistung ausgedrückt.
Allein die acht beteiligten Bio-Betriebe vom Bodensee kommen im Geschäftsjahr 2021/2022 in Summe auf eine Nachhaltigkeitsleistung von über 1,8 Millionen Euro.
Was ist Regionalwert-Rechnung?
„Es macht auf jeden Fall etwas mit einem, wenn man sieht, welche Nachhaltigkeitsleistungen wir erbringen, welche Werte wir damit schaffen und wie wenig wir das über die Preise für unsere Lebensmittel bislang zurückbekommen“, sagt Florian Reyer. Was aber fängt der Landwirt jetzt mit diesen Zahlen an? „Ich habe etwas in der Hand, das ich auf den Tisch legen kann, etwa wenn ich mit den Händlern in Preisverhandlungen sitze oder wenn es um die Verlängerung eines Pachtvertrages geht.“
Die ersten Erfahrungen bei der Präsentation der Regionalwert-Leistungsrechnung bezeichnet er als gemischt. „Manche sagen: Ihr spinnt. Bei anderen kam es zu guten Gesprächen.“

Öko-Großhändler Bodan unterstützt das Projekt
Der Öko-Großhändler Bodan aus Überlingen beispielsweise hat 100 Lizenzen für die Regionalwert-Leistungsrechnung erworben, um sie Anbaupartnern wie der Hofgemeinschaft Heggelbach zur Verfügung zu stellen.
Nun überlegt Bodan, wie zusätzliche Nachhaltigkeits- und Gemeinwohlleistungen der Bauern künftig besser honoriert werden könnten. „Im Gespräch mit Höfen, Herstellern und Bioläden überlegen wir, wie sich die Ergebnisse in Vertragsgestaltung, Preisfindung oder bei der Präsentation im Ladenregal niederschlagen könnten“ sagt Sascha Damaschun, Geschäftsführer bei Bodan.
Auch Konsument muss höhere Preise akzeptieren
Nur im Handel und über die Lebensmittelpreise ließen sich die Kosten für die Zusatzleistungen seiner Einschätzung nach allerdings nicht abdecken: „Hier müssen alle Agierenden Verantwortung übernehmen – Konsumierende, Verarbeitende, Handel und Politik“, sagt Sascha Damaschun. Es gehe auch um Themen wie Steuern und Subventionen oder Dinge wie bessere Konditionen bei der Kreditvergabe.
Und letztlich um die große gesellschaftliche Frage, ob man eine möglichst vielfältige Landwirtschaft mit regionalen Kreisläufen erhalten will. Oder ob große Monokulturen weiter an Bedeutung gewinnen, die den Bauern mehr Geld einbringen, sich auf Landschaft, Umwelt und Nachhaltigkeit aber oft negativ auswirken. Florian Reyer hat diese Frage für sich schon längst beantwortet. Er wird seine Kartoffeln auch weiterhin inmitten von Sonnenblumen ernten. Blanker Boden in immer heißer werdenden Sommern und dann gegebenenfalls Starkregen? „Das ist einfach nicht sinnvoll.“