In Tengen trägt der Bürgermeister Sneaker. Und während er über die Energiewende spricht, streicht er sich durchs Haar. „Es ist gut, dass wir uns selbst versorgen können“, sagt Marian Schreier. Obwohl der 32-Jährige in rund einem halben Jahr das Rathaus verlassen wird, ist das offenbar noch kein Grund, die Sneaker auf den Schreibtisch zu legen. „Wir wollen damit noch nicht aufhören, sondern noch weitermachen“, sagt er.

Strom für drei Mal Tengen

Schreier hat Tengen in seiner Amtsperiode zur ersten Selbstversorger-Kommune im Landkreis Konstanz gemacht. Der Windpark Verenafohren, zwei Biogas-Anlagen, ein kürzlich eröffneter Solarpark am Berghof und viele Solarpanels auf Tengener Dächern sind in dieser Zeit entstanden.

Der Windpark Verenafohren.
Der Windpark Verenafohren. | Bild: Südkurier

In der Gemeinde werden jährlich rund 35 Millionen Kilowattstunden produziert, während der Eigenbedarf bei rund 11 Millionen Kilowattstunden liegt. Damit nicht genug: Bald soll der Windpark Am Brand soll folgen. Dort sollen weitere rund 30 Millionen Kilowattstunden Strom produziert werden.

Was hat Schreier anders gemacht?

Schreier erklärt: „Wenn man die Energiewende wirklich vorantreiben will, kann man bei entsprechendem politischen Willen die Prozesse schnell organisieren.“ Eine Gemeinde müsse heutzutage nicht mehr Untersuchungen oder Machbarkeitsstudien in Auftrag geben. „Es gibt die Investoren, die solche Projekte machen wollten und die Möglichkeit, einfach loszulegen.“

Bild 2: Die Energiewende-Musterstadt: Marian Schreiers Tengen als Vorbild?
Bild: Cian Hartung

Was in Tengen im Gegensatz zu anderen Kommunen auch ausblieb, seien langwierige Streitigkeiten zwischen Bürgermeister, Gemeinderat und Bürgern. „Der Bau des ersten Windparks wurde von vielen Informationsveranstaltungen und Exkursionen begleitet“, erklärt Schreier. Vor dem Bau des zweiten Windparks ließ er die Bürger über dieses Vorhaben entscheiden. „Wir haben versucht, das aktiv zu gestalten und nicht auf Druck durch eine Bürgerinitiative gewartet.“

Wie profitieren die Bürger von der Energiewende?

Was sich nach lokalem Klimaschutz und Hemdsärmeligkeit anhört, hat für die Gemeinde durchaus wirtschaftliche Vorteile. Durch die Wind- und Solarparks erhalte man Gewerbesteuer, Pachteinnahmen sowie Einnahmen durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz, so Schreier.

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„Wie viel das in der Summe sein wird, lässt sich erst in den kommenden Jahren definitiv sagen. Garantiert sind bei drei Anlagen in den Anfangsjahren 60.000 Euro und später 90.000 Euro pro Jahr.“ Beim geplanten Windpark Am Brand kalkuliere man später mit zusätzlichen Pachteinnahmen von mindestens 100.000 Euro pro Jahr.

Tengen im Hegau: Am Horizont steht der Windpark Verenafohren, unterhalb der Feldes eine der beiden Biogas-Anlagen.
Tengen im Hegau: Am Horizont steht der Windpark Verenafohren, unterhalb der Feldes eine der beiden Biogas-Anlagen. | Bild: Cian Hartung

„Für Tengen sind das wichtige Einnahmen“, sagt Schreier, „wir sind nämlich kein großer Gewerbestandort.“ Einen Teil der Einnahmen werde man vor Ort in Watterdingen wieder investieren. „Zum Beispiel in den Unterhalt von Straßen, Wegen und Spielplätzen“, so der Bürgermeister.

Was können andere Kommunen von Tengen lernen?

Wer die Energiewende in Tengen mitgestaltet hat, ist Bene Müller, Vorstandsmitglieder der Firma Solarcomplex. Sein Unternehmen hat die Wind- und Solarkraftanlagen errichtet. Er hat zudem auf mehreren Bürgerveranstaltungen in der Gemeinde gesprochen. „Tengen ist vom Angebot für erneuerbare Energien her nicht von Gott geküsst“, sagt er. „Aber wir haben hier einen Bürgermeister, der Windpark- und Solarparkprojekte sehr aktiv unterstützt.“

Bene Müller, Vorstandsmitglied von Solarcomplex.
Bene Müller, Vorstandsmitglied von Solarcomplex. | Bild: Cian Hartung

Das Beispiel Tengen zeige, dass größere Energieprojekte politisch durchsetzbar seien, so Müller. „Für die Errichtung des Solarparks haben wir in Tengen ein Jahr gebraucht“, erklärt er. Wenn man in allen Gemeinden im Landkreis in einem Jahr Solarparks bauen wollte, könnte man das schaffen, so Müller. „Aber nur, wenn vor Ort die Zahnräder ineinandergreifen: Der Bürgermeister zieht mit, der Gemeinderat zieht mit, die Bürger haben nichts dagegen.“

BUND: „Bei 100 Prozent Selbstversorgung kann noch nicht Schluss sein“

„Dass Tengen zu einer Selbstversorger-Kommune geworden ist, finden wir natürlich gut“, sagt Sylvia Pilarsky-Grosch, Vorsitzende des BUND-Landesverbands Baden-Württemberg. Aber: Kommunen wie Tengen müssten bei der Energiewende Strom für die Ballungsräume liefern, erklärt Pilarsky-Grosch. Diese würden es nie schaffen, sich komplett selbst zu versorgen. „Bei 100 Prozent Selbstversorgung kann daher noch nicht Schluss sein.“

Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND in Baden-Württemberg.
Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND in Baden-Württemberg. | Bild: Jarausch, Gerald

Außerdem sei es mit der Produktion von Strom durch Solar- oder Windkraftanlagen nicht getan. „Wir haben eine ganze Menge an Bedarf, den wir für Mobilität und Wärme verbrauchen“, sagt Pilarsky-Grosch. Neben Biogasanlagen wäre ein Solarwärmenetz mit Solarthermie eine Möglichkeit zur Wärmeerzeugung. „Das ist der Schritt, den eine ländliche Kommune gehen kann, um 100 Prozent Selbstversorgung zu erreichen.“

Das sind die zwei großen Probleme der Energiewende auf dem Land

Generell sieht Pilarsky-Grosch das Problem bei der Energiewende in zwei Bereichen. Einerseits könnten viele Bürgermeister ihre Bürger nicht so wie in Tengen für erneuerbare Energien begeistern. Andererseits erschwere die Bürokratie die Veränderung des Energiesektors. „Die Behörden sind nicht sehr selbstbewusst bei der Genehmigung von Anlagen für erneuerbare Energie“, sagt die BUND-Landesvorsitzende. Bei Windenergie oder Solarflächen drohten oft Klagen und Mehrarbeit, die sie umgehen wollten, so Pilarsky-Grosch.

Auch Bene Müller und Marian Schreier können davon ein Lied singen. „Wir stellen fest, dass die zuständigen Sachbearbeiter ein großes Bedürfnis nach Absicherung haben“, sagt Unternehmer Bene Müller. „Sie verlangen immer die Oberkante an dem, was möglich ist.“ Auch Bürgermeister Schreier fordert: „Wir brauchen eine deutliche Verfahrensbeschleunigung. Das betrifft vor allen Dingen die Landes- und Bundesebene, beispielsweise die Regelungen im Arten- und Naturschutz. „

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