Vor der breiten Fensterfront stapeln sich Terrassenstühle, abgesperrt durch ein rot-weiß-gestreiftes Flatterband. Die Terrasse davor ist großzügig, hier haben rund 70 Gäste Platz. In kontaktreicheren Zeiten trinken sie bei der Landbäckerei Geiger Kaffee und bestellen mit Käse belegte Brötchen oder ein Stück Torte. Doch jetzt ist die Terrasse am Hauptsitz in Villingendorf leer, trotz des warmen Wetters. Deutschland ist im Lockdown – auch die Außengastronomie. Für Inhaber Ralf Geiger eine wirtschaftliche Katastrophe.

Kein Cappuccino im Sonnenschein: Bäckermeister Ralf Geiger sitzt auf der Terrasse seines Cafés in Villingendorf. Gäste darf er hier ...
Kein Cappuccino im Sonnenschein: Bäckermeister Ralf Geiger sitzt auf der Terrasse seines Cafés in Villingendorf. Gäste darf er hier derzeit nicht bewirten, Brot wird in der Bäckerei gebacken und verkauft. Im Lockdown hat die Gastronomie weiterhin geschlossen. Eine lange Durststrecke. | Bild: Kipping, Julia

Denn obwohl Bäckereien geöffnet haben, da sie Teil der Grundversorgung sind, ist der Umsatz stark eingebrochen. „Mir entgehen jede Woche bis zu 15.000 Euro“, beschreibt Bäckermeister Geiger seine Situation. Er betreibt zwölf Filialen, davon drei mit angeschlossenem Café. Jetzt gefährden Pandemie und Corona-Maßnahmen seine Zukunftspläne. Die Cafés sind geschlossen, ein Verzehr an Stehtischen nicht möglich, Lieferungen für Feste, Hotels und Jugendherbergen fallen weg.

Schüler fehlen als Kunden

Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens ändern auch die Gewohnheiten seiner Kunden. Sie arbeiten, lernen und essen zuhause und kaufen sich morgens keine Brezel mehr für die Schule und kein Schnitzelbrötchen für die Mittagspause. „Die Strukturen auf dem Markt sind komplett andere“, sagt Geiger zum Einfluss der Pandemie auf sein Geschäft.

Die Osterlämmer warten in der Backstube auf ihren Einsatz. Ostern naht, der Lockdown bleibt und dem Bäckermeister fehlt es an Perspektive.
Die Osterlämmer warten in der Backstube auf ihren Einsatz. Ostern naht, der Lockdown bleibt und dem Bäckermeister fehlt es an Perspektive. | Bild: Kipping, Julia

Schuldenfreier Renteneintritt rückt weiter in die Ferne

In der Zeitrechnung vor Corona wäre Ralf Geiger in sechs Jahren in Rente gegangen, mit 60. Ein gut durchgeplanter Einstieg in den Ruhestand, ohne Schulden und die Kinder als Nachfolger in der dritten Generation. Doch nach dem vergangenen Jahr müsste der 54-Jährige länger bleiben, um den Betrieb schuldenfrei übergeben zu können. „Die Pandemie kostet uns zwei Jahre.“

Denn statt Schulden abzubauen, müssen die entstandenen Umsatzeinbußen ausgeglichen werden. Im vergangenen Jahr betrugen die entgangenen Umsätze rund 440.000 Euro, rechnet Geiger in einem Brandbrief an die Politik vor. Unter dem Strich steht ein Verlust von etwa 300.000 Euro. Für das Jahr 2021 schätzt er die Einbußen bereits auf über 180.000 Euro. Außerdem musste er zwei neue Kredite in Höhe von 265.000 Euro aufnehmen, um seine Liquidität zu sichern. Doch dabei wird es nicht bleiben, fürchtet er: „Wir brauchen bald wieder frisches Geld.“

Der Bäckermeister empfindet die gängige Politik als ungerecht. „Ich bin unverschuldet in diese Situation geraten“, erläutert Geiger im Gespräch. Er fordert, dass die Politik die Bedingungen an die Situation anpasst und für Entlastungen bei den Betrieben sorgt. „Die sollen wenigstens den Schaden zahlen, den sie angerichtet haben“, macht er seinem Ärger Luft.

Keine Perspektiven für das Frühjahr

Der Bäckermeister prangert an, dass es keine Öffnungsstrategie gibt, keine Perspektive für ihn und andere Betroffene in der Gastronomie und Hotellerie. Die milde Luft würde es an diesem Tag schon erlauben, ohne Jacke draußen zu sitzen. Doch die Außengastronomie muss weiter geschlossen bleiben, auch mit gut ausgearbeiteten Hygienekonzepten. In die Hoffnung auf eine baldige Öffnung zu Ostern grätschen die aktuellen Nachrichten von steigenden Infektionszahlen und der dritten Welle.

Ein gutes Brot braucht Ruhe und Zeit. Das fängt schon beim Sauerteig an, den Ralf Geiger zeigt.
Ein gutes Brot braucht Ruhe und Zeit. Das fängt schon beim Sauerteig an, den Ralf Geiger zeigt. | Bild: Kipping, Julia

Dabei wäre es für Geiger wichtig die Cafés zu öffnen, um wieder Cappuccino und Apfelschorle zu verkaufen. „Jeder weiß, dass die Margen auf Getränke am höchsten sind.“ Die nun geschlossenen Cafés tragen sonst einen großen Teil zum Gewinn bei. Jetzt wird der Kuchen zum Mitnehmen gekauft. Dabei könnte er für ausreichende Abstände sorgen, ist Geiger überzeugt. „Wir sind nicht die Superspreader.“

Gesamter Umsatzverlust reicht nicht aus für weitere staatliche Hilfen

Für 2020 erhielt die Bäckerei Geiger rund 75.000 Euro staatliche Hilfen. „Eine probate Hilfsleistung“, wie Geiger in seinem Brandbrief schreibt. Doch für die Überbrückungshilfe III, die seit Januar Verluste abfangen soll, fällt sein gesamter Betrieb mit 95 Mitarbeitern durchs Raster, was an den Kriterien liegt.

Keine Einnahmen in den Cafés bedeutet zwar einen Umsatzrückgang von bis zu 60 Prozent in den betroffenen Filialen. Aber da nicht jeder Standort einzeln betrachtet wird, sondern alle gemeinsam veranlagt sind, gibt es keine Unterstützung. In der Summe liegt der Umsatzrückgang nicht über 30 Prozent. Damit besteht derzeit auch kein Anspruch auf zusätzliche staatliche Hilfen.

Antje Schleicher arbeitet in der Bäckerei ihres Vaters Ralf Geiger mit und möchte den Betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder übernehmen.
Antje Schleicher arbeitet in der Bäckerei ihres Vaters Ralf Geiger mit und möchte den Betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder übernehmen. | Bild: Kipping, Julia

Unsichere Zeiten: Die dritte Generation steht für die Übergabe in den Startlöchern

Geigers Tochter, Antje Schleicher, arbeitet bereits seit zehn Jahren im Betrieb mit und möchte gemeinsam mit ihrem Bruder Steven in naher Zukunft die Bäckerei übernehmen. Die kleine Schwester Kim-Michelle denkt noch über einen Einstieg ins Unternehmen nach. Trotz der wirtschaftlich schwierigen Situation sagt Antje Schleicher als Älteste: „Wir sind immer optimistisch.“ Dennoch fühlt sie sich von einigen Kunden und der Politik im Stich gelassen. Kunden blieben aus Angst vor einer Ansteckung fern. Und in Richtung Politik sagt sie: „Wir können die Abstände einhalten, aber wir dürfen immer noch nicht im Café verkaufen.“

„Ich bin es leid zu hören, dass wir ja noch geöffnet haben“, regt sich die 33-Jährige über die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit auf. Ja, die Bäckereien hätten zwar geöffnet, trotzdem hätten sie auch zu kämpfen, da der Umsatz fehle. Die Fixkosten liefen auf dem selben Niveau weiter und verteilten sich auf weniger verkaufte Brötchen und andere Backwaren, was die Gewinne sinken ließe.

Ein Blick in die Backstube: Das Mehl wird in großen Plastikkisten aufbewahrt.
Ein Blick in die Backstube: Das Mehl wird in großen Plastikkisten aufbewahrt. | Bild: Kipping, Julia

„Ich habe einen wichtigen Job.“

Seit 27 Jahren arbeitet Geiger als selbständiger Bäcker. Er hat eine Sieben-Tage-Woche und schätzt seine monatlichen Arbeitsstunden auf eine Zahl zwischen 400 und 600. „Wochenende oder Freizeit gibt es für mich nicht“, sagt Geiger. Er habe gut gewirtschaftet, sagt er. Und er sieht seinen Job als wichtig an. Als in Deutschland produzierender Betrieb sichere er die Versorgung der Bevölkerung.

Immer mehr Bäckereien seien in den vergangenen Jahren verschwunden. „Die kleinen werden nicht überleben“, vermutet Geiger, vor allem nicht nach dieser Krise. Er sagt auch, dass er vielleicht Läden schließen muss, weil sich die Struktur so verändert habe, dass er auch ohne Lockdown zu wenig verkaufe. Wenn die Kunden ihr Brot jetzt im Discounter holen und es ihnen schmeckt, werden sie auch später vielleicht gar nicht wieder zum Bäcker kommen.

Bank stoppt vereinbarte Kredite für Großprojekt

Um auf dem Markt mitzuhalten und sich zukunftsfähig aufzustellen, hatte Bäckermeister Geiger ein Großprojekt geplant. Eines der größten Cafés in Süddeutschland, sagt er. 150 Sitzplätze im Innenbereich, 180 Sitzplätze draußen. Doch vor dem geplanten Spatenstich im vergangenen November wurde der Bau in Oberndorf gestoppt.

In der Bäckerei ist alles regional und ohne Zusatzstoffe. Der Teig für die Brote braucht Zeit, sagt Ralf Geiger und hofft, dass die ...
In der Bäckerei ist alles regional und ohne Zusatzstoffe. Der Teig für die Brote braucht Zeit, sagt Ralf Geiger und hofft, dass die Kunden dem Handwerk treu bleiben. | Bild: Kipping, Julia

Die Bank habe ihn als Hoch-Risikounternehmen eingestuft – wegen der Kreditaufnahme und den Verlusten. Sie wollten das Großprojekt im siebenstelligen Euro Bereich nicht mehr unterstützen. Ralf Geiger fühlt sich durch den Staat „fremdgesteuert“. Er hat ja keinen Einfluss auf die Entscheidungen, sagt er. Er fürchtet „für die Zukunft gravierend negative Auswirkungen auf unsere Firma“.

Am Ende wird die Brezel teurer

Am Ende wird es auch den Kunden treffen. „Eine Preiserhöhung wird nicht ausbleiben“, sagt er. Die Kosten etwa durch steigende Löhne oder Energieabgaben wird er zumindest in Teilen an die Kunden weitergeben müssen. Dann werde im kommenden Jahr eine Brezel vielleicht einen Euro kosten. Corona habe diesen Trend zwar nicht ausgelöst aber beschleunigt.

Geiger fürchtet, dass die preissensiblen Deutschen, sich dann vom Bäckerhandwerk abwenden und ihr Brot beim Discounter kaufen. Dabei war der Trend vor Corona für ihn erfreulich: „Die Kunden haben bewusst regional eingekauft und auf die Zutaten geschaut.“ Jetzt müssten viele wieder aufs Geld schauen.