Kippenhausen ist ein ziemlich irdischer Weiler. Umrahmt von Apfelplantagen und Rebgärten locken im Sommer ein paar Ferienhöfe Radtouristen ins Hinterland des Bodensees. Und im Winter kredenzt eine Besenwirtschaft im Dorfkern Weine aus eigenem Anbau. Am Ortsrand, in einem grauen Funktionsgebäude, strebt man indes himmelwärts. „Im Orbit kreisen ungefähr 300 Satelliten, in denen unsere Präzisionsgeräte stecken“, sagt Kolja Nicklaus, Leiter der Geschäftsfeldentwicklung beim Raumfahrtunternehmen Space Tech (STI). „Und jedes Jahr kommen neue hinzu.“

Vom Startup zum Mittelständler

Das 2004 von Ex-Dornier-Ingenieuren gegründete Unternehmen wächst seit Jahren. Aus den fünf Mitarbeitern der Anfangsjahre sind 110 geworden. Aus einigen Kleinaufträgen zweistellige Millionenumsätze. Und direkt neben dem Stammsitz steht seit Kurzem ein nagelneues Satelliten-Produktionsgebäude. „Wir haben hier weniger mit den Folgen der Corona-Krise zu tun, als vielmehr damit, das Wachstum zu managen“, sagt Nicklaus.

Space-Tech-Manager Kolja Nicklaus zeigt auf ein Modell der ISS. Mit an Bord ist Technik von Space Tech.
Space-Tech-Manager Kolja Nicklaus zeigt auf ein Modell der ISS. Mit an Bord ist Technik von Space Tech. | Bild: Rosenberger, Walther

Tatsächlich schickt sich der Mittelständler aus dem Bodenseekreis an, in neue Dimensionen vorzustoßen. Um rund ein Viertel ist die Mitarbeiterzahl im Coronajahr 2020 gewachsen. Auch beim Umsatz legte man deutlich zu. Und im Sommer diesen Jahres ist es der Technologieschmiede gelungen, die Produktion von Satellitensystemen zur Stromversorgung im Orbit so zu verschlanken, dass sich die Entwicklungsszeit drastisch verkürzt. „Statt zwei Jahre brauchen wir jetzt nur noch sechs Monate“, sagt Laser-Physiker Nicklaus. Das neue Verfahren erlaube eine „Industrialisierung der Produktion“. „Außer uns, kann das in Europa kein anderer Betrieb“, sagt der 49-jährige Entwicklungsingenieur.

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Konkret geht es dabei um die riesigen Sonnensegel, die wie Flügel an den meisten Satelliten angebracht sind. STI stellt sie aus Carbonfasern her, belegt sie mit zugekauften Solarzellen, tüftelt Ein- und Ausklappmechanismen aus und versieht das ganze mit Leistungselektronik. Am Schluss steht eine Komplettsystem, das man auch als Herz oder Kraftwerk eines Satelliten bezeichnen könnte.

Space Tech hat es geschafft, Solarkraftwerke für den Orbit am Kippenhausener Stammsitz quasi industriell zu fertigen.
Space Tech hat es geschafft, Solarkraftwerke für den Orbit am Kippenhausener Stammsitz quasi industriell zu fertigen. | Bild: STI

Jeder Erdtrabant braucht entsprechende Systeme und spätestens seit sich kommerzielle Anbieter im Orbit breit machen, boomt die Nachfrage. Denn Konsortien wie Starlink von Tesla-Eigner Elon Musk oder der teilstaatliche britische Oneweb-Konzern schießen jedes Jahr Dutzende neue Kommunikationssatelliten ins All, um von dort aus ein lückenloses Internet auf der Erde bereit zu stellen. Andere Unternehmen wie die Amazon-Tochter Kuiper und diverse Startups stehen für ähnliche Vorhaben in den Startlöchern. Dazu kommen Raumfahrtagenturen wie die Esa oder die Nasa, die ebenfalls Satelliten in den Orbit feuern.

Wachstum um 25 Prozent im Coronajahr

Glaubt man Prognosen, wird der globale Raumfahrtmarkt in den kommenden 20 Jahren um bis zu Faktor zehn auf drei Billionen Euro im Jahr zunehmen. Befeuert wird der Trend von Risikokapitalgebern, die immer mehr Geld investieren, aber auch staatlichen Raumfahrtprogrammen. Im Rennen um den Zukunftsmarkt all, will sich jeder in eine möglichst günstige Ausgangsposition bringen.

Satellitenproduktion bei Space Tech: Die Fertigungskapazitäten werden derzeit stark erweitert.
Satellitenproduktion bei Space Tech: Die Fertigungskapazitäten werden derzeit stark erweitert. | Bild: STI

Auch bei STI ist das so. Bei der Kippenhausener Raumfahrschmiede hält man zehnprozentige Zuwächse über Jahre für möglich. Beim Bau der Satellitenkraftwerke, der sogenannten Solargeneratoren, bezeichnet man sich schon heute in Europa als Marktführer, zumindest was die Stückzahlen angeht. Systeme für 40 Satelliten verlassen schon heute monatlich die Hallen am Bodensee. 100 seien durch die neuen Produktionskapazitäten und -Methoden „durchaus drin“, sagt STI-Manager Nicklaus. Die Zuversicht gründet auch in der Tatsache, dass der Übergang von der reinen Manufakturarbeit zur quasi-Serienfertigung die Kosten massiv drückt.

Gratis-Kantine, Altersvorsorge und Grillen umsonst

Volle Auftragsbücher können indes nur von genügend und zufriedenen Mitarbeitern abgearbeitet werden. Denen winken bei STI daher einige Vorzüge. Bei den Gehältern orientiere man sich durchaus an Konzernen wie Airbus, der im benachbarten Immenstaad eines der größten Satellitenwerke Europas betreibt. Obendrauf gäbe es eine Tantieme genannte Gewinnbeteiligung von 15 Prozent, wenn es gut läuft, sagt Niklaus.

Die Betriebskantine, in der eine eigene Köchin die Suppen anrührt und die Steaks brät, ist gratis. Ebenso wie die komplette Telekommunikationsausstattung. Für alle, die lieber im Homeoffice als im Büro arbeiten wollen. Und auch eine betriebliche Altersvorsorge gönnt man den Werkern. Und wer einen Grill- oder Kinoabend veranstalten will, kann dafür die firmeneigne Wiese oder den Beamer-Raum nutzen. „So können wir unseren Fachkräftebedarf sichern“, sagt Nicklaus. Trotzdem sucht man Personal. Besonders Elektroingenieure, Physiker und Maschinenbauer.

In Feierlaune präsentiert das Team im Jahr 2017 die fertige Antenne fürs Icarus-Projekt. Sie wird an der Raumstation ISS montiert.
In Feierlaune präsentiert das Team im Jahr 2017 die fertige Antenne fürs Icarus-Projekt. Sie wird an der Raumstation ISS montiert. | Bild: STI

Die Mitarbeiter können sich übrigens weigern, die hin und wieder hereinkommenden Rüstungsaufträge zu bearbeiten. „Wir lehnen solche Aufträge nicht generell ab, aber wir nehmen es niemandem krumm, wenn er daran dann nicht mitarbeiten will“, sagt Nicklaus. Die Abgrenzung indes ist oft schwierig. Traditionell sind viele Aufträge im Luft- und Raumfahrbereich aus der Kategorie Dual use – also sowohl für militärische als auch für zivile Anwendungen geeignet.