Das Windrad ist ein Gigant. Mit 280 Metern ist es fast so hoch wie der Eiffelturm. Jedes der drei Rotorblätter misst 115 Meter. Die 15-Megawatt-Anlage ist nach Angaben des weltweit führenden Herstellers Vestas das derzeit leistungsstärkste Windkraftrad der Welt.

Seit wenigen Wochen liefert der Prototyp, der im nationalen Testzentrum in Østerild (Dänemark) aufgebaut wurde, Energie. Richtig viel Energie: 80 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, verspricht Vestas. Mit diesem einen Windrad könnte man dann mehr als 20.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Das Turbinengehäuse des 15-MW-Windrades. Im Innern steckt der Prototyp des ZF-Getriebes der neuen Generation.
Das Turbinengehäuse des 15-MW-Windrades. Im Innern steckt der Prototyp des ZF-Getriebes der neuen Generation. | Bild: Vestas

Der entscheidende Superlativ steckt im Innern des riesigen Gehäuses. Die Turbine hat ZF gebaut, und zwar in seinem Werk im belgischen Lommel. 220 Tonnen, so viel wie drei Lokomotiven, wiegt das gigantische Getriebe samt Generator und Hauptachse. Am Stammsitz des Automobilzulieferers in Friedrichshafen sehen dagegen selbst die größten Getriebe, die hier vom Band laufen, wie Zwerge aus.

„Mit sechs Windrädern dieser Größe könnte man Friedrichshafen komplett mit Energie versorgen“, erklärte Felix Henseler, Leiter von ZF Wind Power, bei einem Werksbesuch. Nur dass am Bodensee der Wind längst nicht so ergiebig bläst wie an der Waterkant. Die Anlage soll beim Offshore-Projekt des baden-württembergischen Energiekonzerns EnBW in der Nordsee eingesetzt werden. „He Dreiht“ ist mit einer Leistung von 900 MW geplant.

So soll er aussehen, der Test- und Prüfstand für den Powertrain. Das ZF-Getriebe ist Herzstück einer neuen Generation von Windrädern mit ...
So soll er aussehen, der Test- und Prüfstand für den Powertrain. Das ZF-Getriebe ist Herzstück einer neuen Generation von Windrädern mit einer Leistung von 30 Megawatt. | Bild: Cuko, Katy

Parallel zur Testphase dieses Prototyps plant ZF Wind Power an seinem belgischen Hauptstandort schon längst den nächsten Giganten: eine Turbine mit einer Leistung von 30 Megawatt. Das wäre ein Quantensprung in der Windkrafttechnik; bis zum Jahr 2020 dominierten Anlagen bis maximal 5,5 Megawatt den Markt. In Lommel wird dafür gerade eine Werkshalle zum weltgrößten Testzentrum für Prototypen umgebaut, das 2024 in Betrieb gehen soll.

Die Dimensionen dürften selbst die Ingenieure in Friedrichshafen beeindrucken: 60 Meter lang und 15 Meter hoch ist der Prüfstand, auf dem die Windkraft-Turbine der nächsten Generation einmal getestet werden soll. Ein Projekt, das 54 Millionen Euro kostet und von der Landesregierung von Flandern mit zwei Millionen Euro gefördert wird.

Eine Werkshalle bei ZF in Lommel wird für den Aufbau eines neuen Prüf- und Teststandes vorbereitet. Felix Henseler von ZF Wind Power ...
Eine Werkshalle bei ZF in Lommel wird für den Aufbau eines neuen Prüf- und Teststandes vorbereitet. Felix Henseler von ZF Wind Power erklärt Stadträten aus Friedrichshafen, was geplant ist. | Bild: MEDIALIFE.BE

ZF Wind Power investiert kräftig, obwohl in der Branche gerade Flaute herrscht. Nur wenige Hersteller teilen sich den Weltmarkt auf, und die Geschäfte liefen im vergangenen Jahr alles andere als rund. Siemens Gamesa musste einen Rekordverlust von 940 Millionen Euro verbuchen und kündigte bereits Ende September an, 2900 Stellen zu streichen, davon 300 in Deutschland.

Nicht viel besser sieht es bei der deutschen Wind-Tochter des US-Branchenriesen General Electric (GE) aus, die angekündigt hatte, über 1000 Mitarbeiter in Deutschland abzubauen. Der Branche geht es wie anderen. Preise, die vor zwei Jahren vereinbart wurden, lassen sich weder halten noch ordentlich nachverhandeln.

Die Gründe: Krieg, Energiekrise und explodierende Kosten, unter anderem für Stahl oder Fracht. Und es kämen durch politische Fehler bei Ausschreibungen kaum neue Aufträge rein, beklagen die deutschen Hersteller.

Stellenabbau ist kontraproduktiv

Dabei sind Stellenabbau und Sparprogramme in der Windenergie-Branche gerade kontraproduktiv. „Schon 2024 rechnen wir mit einem Boom“, so Felix Henseler. Allein 2023 will Deutschland nach Angaben des Bundesverbands Windenergie (BEW) eine Rekordmenge von Projekten mit fast 13 Gigawatt ausschreiben. Bis 2030 werde sich der Markt nahezu verdoppeln.

Nicht nur die EU und Amerika planen mit großen Investitionsprogrammen einen riesigen Zubau von Anlagen, die sauberen Strom produzieren. „In den nächsten zehn Jahren sollen über 1000 Gigawatt Leistung installiert werden, mehr als bisher weltweit verfügbar ist“, verdeutlicht Kris Adriaenssen, Marketingleiter bei ZF Wind Power, die Dimensionen. Dabei sei China der mit Abstand größte Markt, wobei der Kuchen für die wenigen nicht-chinesischen Hersteller dort aber am kleinsten sei.

Felix Henseler (Mitte), Leiter von ZF Wind Power, erläutert dem damaligen ZF-Vorstandsvorsitzenden Wolf-Henning Scheider und Stadträten ...
Felix Henseler (Mitte), Leiter von ZF Wind Power, erläutert dem damaligen ZF-Vorstandsvorsitzenden Wolf-Henning Scheider und Stadträten aus Friedrichshafen die Produktion im ZF-Werk in Lommel. | Bild: zf

ZF sieht sich für diesen globalen Wettlauf gut gerüstet, erklärte Felix Henseler. Allein in Lommel soll die Produktionskapazität auf 400 bis 450 Turbinen pro Jahr ausgebaut, also fast verdreifacht werden. Der Umsatz soll sich von rund einer Milliarde Euro bis 2030 mindestens verdoppeln.

Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Nachfrage größer als das Angebot ist. Weltweit gebe es nur zehn große Hersteller von Turbinen-Getrieben. ZF und zwei Mitbewerber liefern rund 85 Prozent des Bedarfs auf dem Weltmarkt. Und der steigt vermutlich noch schneller, als Kapazitäten aufzubauen sind. Wenn das CO2-Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, ernsthaft gelte, reiche das derzeitige Tempo beim Zubau lange nicht. „Dann brauchen wir 300 Gigawatt jedes Jahr zusätzlich.“