Deutschland schmiert ab. Aber wer ist schuld? Naturgemäß zeigt einer auf den anderen. Die Politik verweist auf die Verwerfungen der Corona-Krise und des Ukrainekriegs. Die Unternehmen deuten auf die Politik und deren widersprüchliche wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen.

Und alle zusammen zeigen auf die Arbeitnehmer. Unterschwellig zumindest, denn ganz verscherzen will man es sich mit seinen Wählern und Beschäftigten dann ja doch nicht. Dennoch: Zu satt, zu unmotiviert, zu veränderungsresistent, lautet der Vorwurf, der den Beschäftigten hierzulande häufig entgegengebracht wird.

Es wird Zeit, einiges klarzustellen. Denn die Arbeitnehmer sind es sicher nicht, die für die Misere der Republik verantwortlich sind. Deutschlands Beschäftigte sind nicht faul und unbeweglich, wie gerne kolportiert. Jenseits aller Polemik ist ihr Anteil an der immer noch erstaunlichen Stabilität des Landes überragend.

Ein Land unter Volldampf

Denn der arbeitende Teil Deutschlands steht unter Volldampf. Wer es nicht glaubt, sollte einen Blick auf die Zahlen werfen. Das Arbeitsvolumen in der Bundesrepublik hat im laufenden Jahr ein Allzeithoch erreicht.

Gegenüber 2005 ist es um satte 16 Prozent angestiegen. Und das ist bei weitem nicht nur auf die Zunahme der Bevölkerung zurückzuführen. Vielmehr roboten heute viel breitere Teile der Gesellschaft als noch zur Jahrtausendwende.

Vor allem weibliche Arbeitnehmer, Ältere und ausländische Fachkräfte sind es, die seit damals millionenfach in den Arbeitsmarkt eingetreten sind beziehungsweise dort deutlich länger ausharren.

In Deutschland arbeiten heute beispielsweise rund drei Viertel aller Frauen im erwerbsfähigen Alter. Nimmt man jene zwei, drei skandinavischen Staaten aus, die immer und überall alles besser zu machen scheinen, ist das ein weltweiter Spitzenwert.

Der lässt sich übrigens auch bei einer weiteren, oft als Randgruppe im Arbeitsmarkt abgewerteten, Bevölkerungsschicht nachweisen – den Älteren. Der Anteil der bis zu 64-Jährigen, der hierzulande noch an der Werkbank schraubt oder im Büro Akten bearbeitet, steigt kontinuierlich und hat ebenfalls internationales Top-Niveau erreicht – trotz der Rente mit 63.

Kurz zusammengefasst könnte man sagen: In fast keiner anderen Industrienation sind Frauen und ältere Menschen so emsig am Malochen wie in Deutschland.

Eingewanderte helfen

Ausländische Fachkräfte wiederum kommen immer zügiger in Arbeit. Sie sind es, die den demografiebedingten Schwund beim Arbeitskräfteangebot derzeit maßgeblich ausgleichen und Dienstleistungen überhaupt noch verfügbar halten. Etwa indem sie Pakete ausfahren, Alte pflegen oder im Supermarkt Regale einräumen.

Aber arbeiten viele Beschäftigte nicht einfach zu wenig, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen? Fühlen sich nicht gerade die jungen Jobeinsteiger nur bei einer Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich dazu bemüßigt, den Griffel in die Hand zu nehmen? Immerhin liegt doch die durchschnittliche Arbeitszeit pro Jahr und Kopf in der Bundesrepublik signifikant unter derjenigen etwa in den USA, Japan, Frankreich oder Italien.

Auch hier wird eine Scheindiskussion geführt. Klar ist, dass Teilzeitbeschäftigung in der Arbeitswirklichkeit einen immer größeren Raum einnimmt. Das aber als mangelndes Engagement des Einzelnen zu deuten, ist unredlich. Vielmehr ist es Ausdruck der oben beschriebenen und sich stetig verbreiternden Basis am Arbeitsmarkt und eines modernen Familienbilds.

Wo früher nur die Väter ins Büro gingen, arbeiten heute auch die Mütter mit. Beide teilen sich die Arbeit, beide tragen zum Familieneinkommen bei. Vielleicht arbeiten tatsächlich beide in Teilzeit. Unterm Strich kommt aber trotzdem deutlich mehr heraus als in den 1990ern. Was ist das Problem?

Die Unternehmen selbst bremsen

Kurioserweise sind es in der aktuellen Krise die Unternehmen selbst, die ihre Mitarbeiter dazu drängen, weniger zu arbeiten. Um Kosten zu sparen und Auftragsrückgänge auszugleichen, reizt etwa der kriselnde Automobilzulieferer Bosch alle tariflichen Möglichkeiten aus und stuft Arbeitsverträge mit 40 oder 38 Stunden auf breiter Front auf 35-Stunden zurück.

Konkurrent ZF geht im bayrischen Schweinfurt sogar noch einen Schritt weiter und führt de facto die Vier-Tage-Woche ein. Knapp 10.000 ZFler am Standort werden ab Dezember wöchentlich nur noch 32,5 Stunden arbeiten.

Beide Firmen leiden neben der Schwäche der Automärkte übrigens auch unter strategischen Fehlentscheidungen, die in den letzten Jahren viel Geld gekostet haben. Gepatzt haben hier die Manager, nicht die Arbeitnehmer. Auch das wäre ein Punkt, an dem eine Spurensuche nach der Malaise in Deutschland einmal ansetzen könnte.