Kollektiv ächzt die Bundesrepublik in den vergangenen Monaten unter den Streiks bei der Deutschen Bahn (DB). Wer aber im Raum Südbaden öfters auf die Bahn angewiesen ist, der weiß: Es braucht keine Streiks, um über den Schienenverkehr zu schimpfen. Zu oft und auf zu vielen Strecken fühlt es sich hier, auch bei regulärem Bahnbetrieb, so an, als ob man eigentlich nach Notfallfahrplan fährt. Oft sind die drei bei Bahnfahrern so unbeliebten Buchstaben zu lesen: SEV – Schienenersatzverkehr.

Immer wieder Streckensperrungen in Südbaden – es liegt am Geld

Die Liste der Missstände und Gründe für Streckensperrungen ist lang, von Modernisierungsarbeiten über umgestürzte Bäume bis zur Glätte. Dazu kommen noch die üblichen Verspätungen und Ausfälle durch Signalstörungen oder Warten auf einen entgegenkommenden Zug. Immer wieder sind deswegen die Strecken von unter anderem Seehas, Bodenseegürtelbahn, Schwarzwaldbahn und Hochrheinbahn eingeschränkt oder gar nicht nutzbar. Und beim größten Sorgenkind, der Gäubahn, ist der Ausnahmezustand wegen Bauarbeiten schon längst zum Normalzustand geworden.

Besonders ärgerlich ist, dass viele dieser Strecken in die Grenzregionen zur Schweiz fahren, wo scheinbar der Bahnbetrieb ohne Beeinträchtigungen verkehrt. Nicht nur für Grenzgänger stellt sich also die Frage: Warum ist die Deutsche Bahn so unzuverlässig in Südbaden – während bei den nicht weit entfernten Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) alles nach Plan verläuft?

„Die Gründe dafür sind vielschichtig“, sagt Joachim Barth. Er ist Vorsitzender beim Fahrgastverband Pro Bahn in Baden-Württemberg, der Verein vertritt die Interessen von Fahrgästen im öffentlichen Verkehr. Barth meint, viel lasse sich, wie so oft, auf die finanzielle und damit auch politische Rückendeckung zurückführen. „In der Schweiz wird mehr Geld in die Bundesbahnen gesteckt, das sind ganz andere Rahmenbedingungen“, sagt Barth.

Das zeige sich an der Infrastruktur, die sei in Deutschland „kaputtgespart“ worden. Da nie klar sei, wie viel Geld zur Verfügung stehe, werde immer nur da gebaut, wo es gerade am nötigsten sei, ohne aber die grundlegenden Mängel zu beseitigen.

„Trauerspiel Gäubahn“

Das beste Beispiel dafür? Die mittlerweile fast berüchtigte Gäubahn, die von Singen nach Stuttgart fährt und eigentlich die Bodenseeregion mit der Landeshauptstadt verbinden sollte. „Das ist schon ein Musterbeispiel, wie man das nicht machen sollte“, stellt Joachim Barth klar, „da wurde immer nur klein klein gearbeitet, wenn mal etwas akut kaputt war, anstatt sich einmal intensiv um die ganze Strecke zu kümmern“.

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Das liege natürlich auch an den finanziellen Rahmenbedingungen, an der Gäubahn sei immer nur gearbeitet worden, wenn es irgendwo anders gerade Kapazitäten gegeben habe. „Kapazitäten gibt es aber selten, da leidet die Gäubahn natürlich, wie so vieles bei der Bahn, unter dem Umbau des Knotenpunkts Stuttgart. Aber unabhängig davon, die Gäubahn bleibt ein Trauerspiel“, klagt Barth.

So ein Debakel wie bei der Gäubahn – die im vergangenen halben Jahr nur rund einen Monat nicht gesperrt war – sei in der Schweiz kaum vorstellbar. „Da werden solche Baustellen Jahre im Voraus geplant, die haben einen festgelegten Fond, aus dem sie Bauarbeiten finanzieren“, sagt Barth. Außerdem müsse man bedenken, dass die Baufirmen ebenfalls Planungszeit benötigen, „wenn die kurzfristig bestellt werden, dauert es dementsprechend, bis es losgeht“, erklärt er.

„In der Schweiz fährt jeder mit den Bundesbahnen“

Diese, aus deutscher Sicht frustrierende Ansicht, wird auch von Schweizer Seite aus bestätigt. Edwin Dutler ist bei Pro Bahn Schweiz zuständig für den internationalen Verkehr, arbeitet eng mit seinen deutschen Kollegen zusammen und ist dementsprechend bestens über die Sorgen und Nöte der Deutschen Bahn informiert. „So unkoordiniert zu arbeiten wie bei der Gäubahn, das wäre in der Schweiz unmöglich“, sagt Dutler.

Generell sei in der Schweiz der gesellschaftliche Rückhalt für die Bahn ein ganz anderer. Oder wie Dutler es beschreibt: „In der Schweiz fährt jeder mit den Bundesbahnen, auch Politiker. Deshalb ist das Interesse in der Schweiz in der gesamten Bevölkerung hoch, dass die Schienen in dauerhaft gutem Zustand blieben. In Deutschland hingegen kommen die Politiker mit dem Dienstwagen zur Einweihung von neuen Zugstrecken, ihre Zugeständnisse zur Schiene sind reine Lippenbekenntnisse.“

Für die Vorbereitung auf den Winter fehlt das Personal

Die Infrastruktur offenbare aber nicht nur die Auswirkungen der finanziellen Probleme der Deutschen Bahn, auch der Personalmangel sorge für ständige Probleme bei der Infrastruktur, wie Pro Bahn-Landesvorsitzender Barth anmerkt. „Es fehlen die Leute, die Baustellen planen. Es könnte viel öfter auf zweigleisigen Strecken so gebaut werden, dass zumindest ein Gleis befahrbar ist“, erklärt Barth.

Wo man den Personalmangel ebenfalls deutlich sehe, sei beim jährlichen Wintereinbruch. Das alte, doch zum Leidwesen der Bahnfahrer immer noch zutreffende Klischee, dass die Bahn jedes Jahr aufs Neue überrascht ist, wenn es tatsächlich Winter wird, bekamen im vergangenen Dezember besonders die Menschen in der Bodenseeregion zu spüren.

Nach dem ersten großen Schneefall ging nichts mehr auf den Schienen. Schwarzwaldbahn, Bodenseegürtelbahn und Seehas mussten ihren Betrieb tagelang ganz einstellen. „Da hat sich wieder gezeigt, dass an allen Ecken und Enden gespart wurde“, kommentiert Barth das Geschehene. Dass es im Winter schneie, sei kein Geheimnis, sagt er und lacht: „Darauf kann man aber sich vorbereiten, die Strecke winterfest machen und von Bäumen befreien. Für den Ernstfall sollte man Personal abrufbereit haben, das die Strecke wieder befahrbar macht“.

Immer wieder liegt es am Geld

Man könnte meinen, die Schweiz hat diese Probleme auch, fällt dort doch häufiger und mehr Schnee. Aber Edwin Dutler von Pro Bahn Schweiz sagt: „Solche tagelangen Streckensperrungen gibt es bei uns nicht“. Man bereite sich auf den Winter vor, natürlich könne es trotzdem zu Problemen kommen, aber die Strecke werde dann zügig geräumt.

Dass man auch bei der Deutschen Bahn imstande ist, eine Strecke vor dem Winter vor gefährlich nah stehenden Bäumen zu sichern, zeige die Schwarzwaldbahn, sagt Barth: „Da sind einige typische Stellen, wo Bäume auf der Straße landen, trotzdem ist im vergangenen Winter nichts passiert – weil vorausschauend gearbeitet wurde.“

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Warum also nicht immer so? „Da wären wir dann wieder beim altbekannten Lied von fehlenden finanziellen und personellen Kapazitäten“, sagt Barth. Ein weiteres Beispiel für den Geldmangel: Bei Streckenausschreibungen gewinne immer noch der, der sich für den geringsten Preis anbiete. Dutler sagt dazu: „Wenn man immer nur möglichst billige Züge bestellt, bleiben Kunde und Qualität auf der Strecke.“ Unabhängig voneinander sind sich Dutler und Barth einig, dass die Bundesregierung, speziell der Finanzminister, die Weichen für eine bessere Deutsche Bahn stellen müsse.

Bahn und Land wollen mit mehr Geld und Personal nachhelfen

In der Schweiz ist die Finanzierung der SBB über den sogennanten Finöv (Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs) geregelt, einen Bundesbeschluss von 1998, der Modernisierung und Ausbau der Infrastruktur der Bahn durch einen Fond vorsieht. Dieser Fond speist sich aus Einnahmen, mit denen sich unabhängig von der aktuellen Regierung planen lasse, merkt Dutler an.

Und man müsse zusätzlich bedenken, „dass in Deutschland die Bahn regional aufgesplittet ist, da ist jeder für sich in seinem Bundesland zuständig, niemand will für das große Ganze verantwortlich sein“. Barth nennt das „Organisierte Nichtzuständigkeit“. Dutler, der mit der Bahn beruflich oft quer durch die Bundesrepublik reist, weiß von den regionalen Unterschieden: „Das ist schon überraschend, wenn in den neuen Bundesländern Bahnhöfe und Infrastruktur in einem besseren Zustand sind, als im Süden – dabei sind hier doch die als reich geltenden Länder.“

Ein desaströses Zeugnis also für die Bahn – aber mit Hoffnung auf Besserung? „Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Joachim Barth. So hat die DB Regio dem Land Baden-Württemberg einen Plan für „schrittweise Verbesserungen im regionalen Schienenverkehr“ vorgelegt, wie aus einer Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr Anfang März hervorgeht.

Man wolle mit einem Maßnahmenpaket, bestehend unter anderem aus mehr Finanzmitteln, Personal und Fahrzeugen, den „täglichen Betrieb stabilisieren und den Fahrgästen verlässliche Mobilität bieten“, das Land unterstütze die Bahn dabei. Ob das funktioniert, wird sich zeigen – spätestens beim nächsten Wintereinbruch, wenn die Fahrgäste wieder darauf hoffen, dass die Bahn nun endlich darauf vorbereitet ist.