Glas ist kalt. Hart. Gefühllos. Wer gegen eine gläserne Decke kracht, tut das mit voller Wucht. So wie jene Frauen, die Karriere machen wollen, aber kaum in Führungspositionen aufsteigen. Denn – autsch – da ist ja eine gläserne Decke. Ein eindrückliches Bild, findet Florian Kunze, der an der Universität Konstanz das „Future of Work Lab“ leitet: „Weil Frauen die höchsten Karrierestufen durch die gläserne Decke zwar sehen, aber nicht erreichen.“

Die Gläserne Klippe

Noch eindrücklicher sei das Bild der „gläsernen Klippe“, wonach es Frauen gerade dann in Führungspositionen schaffen, wenn das Unternehmen am Abgrund, an einer Klippe stehe. Etwa, weil es bankrott sei – oder kurz davor.

Nur: Gerade dieses Phänomen war wissenschaftlich hart umstritten. Gibt es die „gläserne Klippe“? Für viele Forscher lange Zeit ein Rätsel. Obwohl es in der Politik und Wirtschaft gleich ein Dutzend Beispiele gibt.

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„Sei es Angela Merkel, die den CDU-Vorsitz übernahm, als die CDU durch die Spendenaffäre in eine Schieflage geraten war. Theresa May, die direkt nach dem Brexit-Votum, das Land regierte – aber in einer extrem schwierigen Position verhandeln musste – oder Martina Merz, die beim Industriekonzern Thyssenkrupp zu einem nicht gerade unbedeutenden Zeitpunkt Vorstandsvorsitzende wurde“, sagt Florian Kunze – nämlich zu einer Zeit, als es dem Unternehmen 2019 richtig schlecht ging.

Martina Merz, Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, wurde in der Gemeinde Durchhausen im Landkreis Tuttlingen geboren. Sie ist eine der ...
Martina Merz, Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, wurde in der Gemeinde Durchhausen im Landkreis Tuttlingen geboren. Sie ist eine der wenigen Frauen an der Spitze eines Konzerns. | Bild: Rolf Vennenbernd

Und auch Carla Kriwet, die frisch berufene Vorstandsvorsitzende von Fresenius Medical Care (FMC), ab 2023 zweite Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens, fällt in diese Kategorie. Auch sie übernimmt FMC in schwierigen Zeiten. Denn: Zeitgleich mit ihrer Berufung gab der Dialyseanbieter bekannt, dass der Konzerngewinn im ersten Quartal 2022 um fast 40 Prozent eingebrochen war.

Doch sind das Einzelfälle oder ist es ein größeres Phänomen? Darüber war sich die Wissenschaft lange nicht einig, sagt Kunze. „In der Forschung gab es bisher nur Online-Experimente, in denen Leute fiktiv eine Führungsrolle besetzen mussten. War das fiktive Unternehmen in der Krise, wurde oft eine Frau ausgewählt.“ Und in der Wirklichkeit? „Auch da gibt es das.“

Florian Kunze
Florian Kunze | Bild: Universität Konstanz

In einer groß angelegten Studie haben er und seine Kollegen Max Reinwald und Johannes Zaia rund 26 000 Ernennungen auf Top-Führungspositionen im Vorstand von fast 4000 US-amerikanischen Unternehmen unter die Lupe genommen und geschaut, ob die Firmen auf eine Krisensituation zusteuerten. „Das lässt sich anhand der Finanzzahlen tatsächlich gut ablesen“, sagt Kunze.

Warum aber US-amerikanische Firmen? „Weil hier der Datensatz besonders groß ist. Weil wir so gut ablesen konnten, dass es eben keine Einzelfälle sind.“ Denn: Kunze weiß aus der Studie mittlerweile – „steht einem Unternehmen das Wasser bis zum Hals, ist es um 50 Prozent wahrscheinlicher, dass Frauen in den Vorstand berufen wird.“ Seine Hypothese: In Deutschland sieht es nicht anders aus.

Warum Frauen in der Krise eine Chance bekommen

Doch warum ist das so? Sind Frauen, die besseren Krisenmanager? Vielleicht – vielleicht auch nicht. Kunze sieht in dem Phänomen eher den Versuch der Firmen, sich nach außen hin zu schmücken.

„Gerade, wenn es Firmen sind, die viel in der Öffentlichkeit stehen, etwa weil sie an der Börse notiert sind, dann wollen sie in solchen Momenten ein klares Signal an ihre Investoren senden: Ein Signal, das sagt: ‚Wir wissen, dass wir etwas verändern müssen. Und wir sind zu großen Veränderungen bereit. Wir haben auch schon angefangen, etwas zu verändern. Wir wollen diverser werden. Wir haben gerade eine Frau berufen.‘ “ Für Kunze ist das nichts anders als „Window Dressing“ – zu Deutsch: Das Fenster schmücken.

„Frauen, die dann aufsteigen, müssen genau aufpassen, ob es wirklich eine Chance ist, sich realistisch beweisen zu können“, sagt Kunze. Denn das Risiko zu scheitern, sei in einer Unternehmenskrise um ein Vielfaches höher und damit auch die Formen implizierter Diskriminierung.

Wenn Frauen dann keine guten Ergebnisse erzielen, könnte es schnell wieder heißen: „Jetzt haben wir eine Frau berufen und es hat nichts gebracht“, sagt Kunze. Der positive Effekt bleibe aus. Das nächste Mal wird es doch lieber wieder ein Mann.