ZF-Chef Wolf-Henning Scheider wird seinen Vertrag bei Deutschlands drittgrößtem Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen nicht verlängern. Er habe sich entschlossen, seine aktive Zeit in der Branche zum Jahresende zu beenden, um sich anderen Herausforderungen zu widmen, sagte Scheider laut Mitteilung. Bereits zuvor hatten unbestätigte Gerüchte über den Rückzug Scheiders von der Spitze des Zuliefererkonzerns die Runde gemacht.
Dudenhöffer: Große Überraschung
Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer nannte die Entscheidung in einer ersten Reaktion gegenüber dem SÜDKURIER „eine sehr große Überraschung“. Technologisch sei das Unternehmen gut aufgestellt, weise aber auch eine hohe Verschuldung auf.
Der gebürtige Saarländer Scheider trat sein Amt bei ZF im Februar 2018 als Nachfolger von Stefan Sommer an, der über den Versuch den Bremsenbauer Wabco für mehrere Milliarden Euro zu übernehmen gestürzt war.
Scheider sagt Autobranche adé
Scheider sagte, Grund seines Rückzugs sei eine rein persönliche Entscheidung. Nach seinem Engagement bei ZF strebe er eine Herausforderung außerhalb der Automobilindustrie an. Details nannte er nicht. Im Verhältnis zu den ZF-Eignern, der Zeppelin-Stiftung um Friedrichshafen OB Andreas Brand und der Ulderup-Stiftung, gebe es „keine Zwischentöne“. Das Verhältnis sei „exzellent“.
Scheider-Vorgänger ging im Streit mit ZF-Eignern
Seine Karriere begann der Diplom-Betriebswirt bei Bosch, wo er 2010 in die Geschäftsführung aufstieg und drei Jahre später die Koordinierung der umsatzstärksten Bosch-Sparte – die Kfz-Technik – übernahm. Im Frühsommer 2015 wechselte er zum sehr viel kleineren Stuttgarter Kolbenspezialisten Mahle – genau wie ZF ein Stiftungsunternehmen. Stiftungserfahrung war wohl auch eines der Kriterien, die ihn für den Chefsessel bei ZF qualifizierte, und die Scheider insbesondere beim Friedrichshafener OB Andreas Brand, dem Chef des ZF-Eigners Zeppelin-Stiftung, in die engere Auswahl rücken ließ.

Scheiders Bilanz beim Stiftungsunternehmen vom Bodensee ist gemischt. In den ersten drei Jahren seiner Amtszeit sanken die Umsätze bei ZF von Jahr zu Jahr. Und auch beim Gewinn ging es von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2018 kontinuierlich bergab. 2020 fuhr ZF mit einem Minus von 740 Millionen Euro einen der höchsten Verluste der Firmengeschichte ein. Allerdings war die Periode auch von technologischen Umbrüchen hin zu autonomem Fahren und Elektromobilität, einer spürbaren Abkühlung der Automobilkonjunktur ab dem Jahr 2019 sowie Handelskriegen in der Ära Trump geprägt. Im Frühjahr 2020 schlug die Corona-Krise voll zu und brachte auch den Zulieferriesen ins Schlingern.
ZF-Abgas-Skandal und hohe Schulden
Absatzschwierigkeiten und Werksschließungen trafen ZF hart und ließen insbesondere die Kapitalausstattung des Unternehmens kritische Werte erreichen. Am Ende des Geschäftsjahrs 2020 war die Eigenkapitalquote um zehn Prozentpunkte auf 12 Prozent zusammengeschmolzen. Gleichzeitig hatten sich die Schulden stark erhöht.
2021 wieder mit Gewinn
Erst das vergangene Geschäftsjahr 2021 brachte wieder deutliche Zuwächse beim Umsatz (38,3 Milliarden Euro) und auch wieder einen soliden Jahresgewinn. Trotz der grassierenden Halbleiterkrise.
Auch die Aufarbeitung der Verwicklungen von ZF in den Abgasskandal fielen in Scheiders Amtszeit. Der SÜDKURIER deckte im Juni 2019 auf, dass das Unternehmen von US-Verbraucherschützern in einer Sammelklage als „Mit-Verschwörer“ geführt wird. Nach einjährigen Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft erklärte sich ZF bereit, eine Strafe von 42,5 Millionen Euro wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht zu zahlen und räumte eine Verletzung von Aufsichtspflichten ein.