Es war eine Nachricht, die Anlass zum Feiern gab. Mitte Januar diesen Jahres teilte der Getriebebauer ZF mit, ab sofort nicht nur Deutschlands drittgrößter Automobilzulieferer, sondern darüber hinaus auch noch der größte Nutzfahrzeug-Systemlieferant der Welt zu sein.

Projekt Verona und seine Folgen

Ein Meilenstein für ZF, denn um das Ziel der Weltmarkführerschaft zu erreichen, hatte sich der Industriekonzern vom Bodensee jahrelang abgemüht, den us-belgischen Bremsenspezialisten Wabco zu übernehmen. Über das „Projekt Verona“, wie der Milliarden-Deal bei ZF intern genannt wird, war 2017 mit Stefan Sommer ein ZF-Vorstandschef gestürzt. Und das Verhältnis zum ZF-Eigner, der Friedrichshafener Zeppelin-Stiftung, war in der Folge monatelang zerrüttet. Und jetzt – Jahre später – zahlte sich der 2020 im zweiten Anlauf geglückte Wabco-Kauf endlich aus.

Wilhelm Rehm – altgedienter ZF-Manager und im Konzern-Vorstand. Gleichzeitig führt er von Friedrichshafen aus die mit Wabco ...
Wilhelm Rehm – altgedienter ZF-Manager und im Konzern-Vorstand. Gleichzeitig führt er von Friedrichshafen aus die mit Wabco fusionierte Truck-Sparte der ZF. | Bild: Rosenberger, Walther

Dank der technologisch breiten Aufstellung könne man seinen Kunden nun zentrale Lösungen aus einer Hand bieten“, jubelte der Chef der fusionierten ZF-Wabco-Nutzfahrzeug-Division, Wilhelm Rehm, im Januar 2022. Die gemeinsamen Produkte lieferten „einen wesentlichen Beitrag“ für das Ergebnis des gesamten ZF-Konzerns, so der langjährige ZF-Manager.

Friedrichshafen, Hannover oder Bern?

Unerwähnt blieb indes, von wo aus der frisch gebackene Weltmarktführer zukünftig gelenkt wird. Auch auf der Unternehmenswebseite, die ansonsten einen recht transparenten Blick ins Innenleben des Stiftungskonzerns gewährt, ist dazu bis heute nichts Konkretes zu finden. Ein Zufall oder Unachtsamkeit? Wohl kaum.

Für 6,2 Milliarden Euro kaufte ZF Wabco im Jahr 2020. Mit in den ZF-Konzern kamen rund 15.000 Mitarbeiter.
Für 6,2 Milliarden Euro kaufte ZF Wabco im Jahr 2020. Mit in den ZF-Konzern kamen rund 15.000 Mitarbeiter. | Bild: Holger Hollemann, dpa

Denn nach SÜDKURIER-Recherchen hat die Frage, von wo aus die nach der Pkw-Fahrwerkstechnik zweitgrößte Konzerndivision regiert werden soll, im Unternehmen über Monate für Ärger gesorgt und schlägt noch immer Wellen. Der Sitz der Hauptverwaltung sei unter den Mitarbeitern lange eines der größten Diskussionsthemen gewesen, heißt es aus ZF-Unternehmenskreisen. Im Hintergrund sei die Frage gestanden, ob der Friedrichshafener ZF-Stammsitz gegenüber dem von Hannover und Bern aus regierten ehemaligen Wabco-Konzern ins Hintertreffen geraten könne.

6,2 Milliarden Euro für Wabco

Tatsächlich hat ZF, das sich den sehr viel kleineren Wabco-Konzern für gut 6,2 Milliarden Euro einverleibte, bei der Eingliederung des Unternehmens von einer jahrzehntealten Tradition verabschiedet. Seit Gründung der ZF befindet sich die Zentralverwaltung des hauseigenen Nutzfahrzeuggeschäfts am Friedrichshafener Stammsitz. Große Schaltboxen und Antriebe für Lkw oder Busse zu entwickeln und zusammenzuschrauben gehört zur DNA des Standorts. Allein in Forschung und Verwaltung von Nutzfahrzeuglösungen arbeiten am Bodensee rund 550 Mitarbeiter. Tausende weitere produzieren die Getriebe.

Wolf-Henning Scheider führt ZF seit 2018. Wabco hat er in rund zwei Jahren ins Unternehmen integriert. Wie jetzt bekannt wird, gab es ...
Wolf-Henning Scheider führt ZF seit 2018. Wabco hat er in rund zwei Jahren ins Unternehmen integriert. Wie jetzt bekannt wird, gab es intern Auseinandersetzungen um die Macht in der neuen Nutzfahrzeug-Division. Wird ZF „wabcoisiert“? | Bild: Felix Kästle, dpa

In der neuen ZF-Nutzfahrzeugwelt sieht das nun anders aus. Nach Informationen des SÜDKURIER muss sich der Friedrichshafener ZF-Stammsitz seit Jahresbeginn seine Leitungsfunktion bei Nutzfahrzeugen mit den Ex-Wabco Standorten in Hannover und im Schweizerischen Bern teilen. Eine Bestätigung von ZF dazu gibt es nicht.

Achim Dietrich, Co-Betriebsratschef am ZF-Standort Friedrichshafen und gleichzeitig Konzernbetriebsratsvorsitzender, will den ...
Achim Dietrich, Co-Betriebsratschef am ZF-Standort Friedrichshafen und gleichzeitig Konzernbetriebsratsvorsitzender, will den Heimatstandort weiterentwickeln und gleichzeitig den Bedürfnissen des gewachsenen Gesamtkonzerns Rechnung tragen. | Bild: Felix Kästle, dpa

„Ich hätte mir den alleinigen Hauptsitz der neuen Nutzfahrzeug-Division in Friedrichshafen gewünscht“, sagt Achim Dietrich, Co-Betriebsratschef in Friedrichshafen, auf Nachfrage. Beim Kauf von Wabco habe es sich allerdings im Kern um einen Zusammenschluss, nicht um eine Übernahme gehandelt.

Daher sei es richtig, dass die Verantwortung für das neue gemeinsame Geschäftsfeld auch „auf beide Schultern verteilt wird“. Dass sowohl der Leiter den neuen Nutzfahrzeugdivision, ZF-Konzernvorstand Wilhelm Rehm, als auch die für Nutzfahrzeuge zuständige Personalchefin Katrin Fichtl ihr Büro in Friedrichshafen haben, sieht Dietrich als „ein klares Signal“ für die hervorgehobene Bedeutung des Standorts.

Helene Sommer ist Chefin der IG-Metall am Bodensee und gleichzeitig im ZF-Aufsichtsrat. Der Wabco-Kauf hat ZF vorangebracht, ist sie ...
Helene Sommer ist Chefin der IG-Metall am Bodensee und gleichzeitig im ZF-Aufsichtsrat. Der Wabco-Kauf hat ZF vorangebracht, ist sie überzeugt. | Bild: Cuko, Katy

Andere melden Zweifel an. Insider berichten, dass es nach dem Kauf der Wabco zu einer Art „Reverse-Takeover“, also einer umgekehrten Übernahme, gekommen sei. Viele ZF-Mitarbeiter und -Führungskräfte sprächen von einer „Wabcoisierung“ der ZF, heißt es. Die Kritiker begründen dies mit der Machtverteilung in der neuen ZF-Nutzfahrzeugwelt.

Übergewicht von Ex-Wabco-Managern in Truck-Division

Im 24-köpfigen Leitungsteam der Division stammen nach SÜDKURIER-Informationen 16 Mitglieder von der alten Wabco, darunter etwa die Verantwortlichen für Forschung und Entwicklung, Qualitätssicherung, Fahrwerkstechnik oder Finanzen. Ein Missverhältnis, wie manche meinen, das sich aber offenbar auch durch den Umstand erklärt, dass mehrere ZF-Führungskräfte nicht in die Divisionsleitung berufen werden konnten, weil sie kurz zuvor in andere Bereiche des 155.000-Mitarbeiter-Konzerns gewechselt waren.

Als Folge rückten ehemalige Wabco-Manager auf, heißt es aus Konzernkreisen. Ohne Details zu nennen, sagt ZF-Betriebsratschef Dietrich, dass sich die Diskussion um die Posten mittlerweile auch „versachlicht“ habe.

IG-Metall und Betriebsrat: Übernahme hat sich ausgezahlt

Bei der IG-Metall gibt man sich abwartend. Die nächsten Monate müssten zeigen, „wie tragfähig die jetzt geschaffenen Strukturen wirklich sind“, so Helene Sommer, Geschäftsführerin der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben. Wabco zu integrieren, bleibe eine „organisatorische Herausforderung“.

Scheider-Vorgänger Stefan Sommer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, stürzte über den Kauf des ...
Scheider-Vorgänger Stefan Sommer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, stürzte über den Kauf des Bremsenspezialisten Wabco. Strategisch zahlt sich seine damalige Entscheidung heute aus. | Bild: Felix Kästle, dpa

Wichtiger als die Frage wer an welchen Standorten was entscheide sei, ob es ZF in der neuen Struktur gelinge, bei Nutzfahrzeugtechnologien wie etwa batterieelektrischen Antrieben oder der Brennstoffzelle „weiter vorne mitzuspielen“ und die Produktion auszulasten, sagt Sommer. Die Voraussetzungen dafür seinen vorhanden. Die Übernahme von Wabco sei der richtige Schritt gewesen und bringe ZF weiter nach vorne, so die ZF-Aufsichtsrätin.

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Auch Dietrich sagt, man spüre, wie sich die Wabco-Übernahme auszahle. Wichtig sei nun, dass Friedrichshafen seine „Leitfunktion“ in der Produktion, aber auch in der Entwicklung behalte. Das kann man durchaus als Fingerzeig nach Bern und Hannover verstehen.