„Hören Sie bitte auf, Fotos Ihrer Kinder für jedermann sichtbar bei Facebook und Co zu posten! – Auch Ihre Kinder haben eine Privatsphäre!“ Mit diesem Appell erregte die Polizei der Stadt Hagen vor einem Jahr viel Aufmerksamkeit. Das Thema bleibt aktuell: Ist es okay, Fotos seiner Kinder online zu stellen? Welche Risiken birgt das? Und was tun Eltern ihren Kindern damit eigentlich an? Drei Experten antworten:
- Dürfen Eltern Fotos ihrer Kinder öffentlich posten? Wenn sie das Sorgerecht haben, dann ja. „Eltern sind die Sachverwalter der Rechte ihrer Kinder, entsprechend dürfen sie auch Fotos von ihnen im Internet veröffentlichen“, sagt Karsten Gulden, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht aus Mainz. Dabei haben auch Kinder ein Recht am eigenen Bild. „Im Grundsatz muss jeder gefragt werden“, sagt Carsten Ulbricht, Rechtsanwalt für Internet- und Social-Media-Recht aus Stuttgart. „Je nach Alter können Kinder aber noch nicht selbst entscheiden, daher übernehmen die Eltern das für sie.“ Beide Erziehungsberechtigten müssen sich einig sein. Hat nur ein Elternteil das Sorgerecht, darf dieser alleine bestimmen.
Kinder im Alter zwischen einem halben und zwei Jahren sind besonders süß anzuschauen. In diesem Zeitraum lernt der Nachwuchs außerdem vieles: zum Beispiel Krabbeln, Laufen und Sprechen. Es sind wohl diese Höhepunkte des Alltags, die Eltern unbedingt dokumentieren und mit Freunden und Verwandten teilen wollen. Laut einer Studie stellen die allermeisten Mütter in diesem Zeitraum Bilder ihrer Kinder ins Internet. In den USA trifft dies auf sogar auf 92 Prozent zu. In Deutschland sind es der Umfrage zufolge 71 Prozent. | Bild: JenkoAtaman - Fotolia - Ab wann dürfen Kinder mitentscheiden? In der Regel geht man davon aus, dass Kinder etwa ab dem 14. Lebensjahr die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzen, um über die Veröffentlichung von Fotos mitzubestimmen. „Unter 14 Jahren können die Eltern im Grundsatz alleine entscheiden“, sagt Ulbricht. Danach sind bis zum 18. Lebensjahr beide zuständig – die Eltern und das Kind.
- Welche rechtlichen Konsequenzen drohen Eltern? „Spätestens wenn sie volljährig sind, können Kinder gegen ihre Eltern und die Veröffentlichung der Fotos vorgehen“, sagt Gulden. Basis sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. „Das Kind kann eine Unterlassung verlangen und notfalls gerichtlich erzwingen, die Bilder zu entfernen“, erläutert der Jurist. Schadenersatzansprüche ließen sich aber nur schwer durchsetzen. Wer Konflikte vermeiden will, fragt seine Kinder ab einem gewissen Alter am besten um Erlaubnis. Probleme sehen die Experten bei Scheidungskindern und Patchworkfamilien, wenn Ex-Partner oder neue Lebensgefährten ungefragt Bilder posten: „In diesen Konstellationen sind künftig Klagen denkbar“, sagt Gulden.
Gar nicht so selten: Immerhin jede 20. Mutter in Deutschland hat ihrem Baby ein eigenes Profil in sozialen Medien wie Facebook oder Instagram erstellt. In Japan sind es sogar 8 Prozent der Mütter. Diese Zahlen sagen aber natürlich nichts darüber aus, was auf den Bildern zu sehen ist. Denn es ist keine Seltenheit, dass Eltern darauf verzichten, das Gesicht des Nachwuchses zu zeigen. Stattdessen sieht man oft Füßchen oder auch kleine Kinderhände. Für den Nachwuchs ist das auf jeden Fall besser, wenn es um den Schutz der Identität geht. | Bild: dpa - Gab es schon Fälle, in denen ein Kind ein Elternteil verklagt hat? Ja, die gab es. Gulden berichtet von einem Fall aus Österreich, bei dem sich ein junger Mann an den Bildern störte, die einst von seinem Vater ins Netz gestellt wurden. Nachdem der Vater keine Einsicht gezeigt habe, wurde er vom Sohn verklagt. „Zu Recht“, weil der Mainzer Fachanwalt in einem YouTube-Video betont.
- Dürfen Verwandte Bilder der Kinder online stellen? Laut Gulden müssen auch Verwandte, wie Großeltern, Tanten oder Onkel die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern einholen, wenn sie die Bilder ihrer Enkel oder Nichten veröffentlichen und verbreiten wollen. „Das abgebildete Kind und die sorgeberechtigten Eltern haben gegenüber der Person, die das Bild des Kindes ohne ihre Einwilligung veröffentlicht hat, rechtliche Ansprüche und könnten die eigene Verwandtschaft kostenpflichtig abmahnen“, schreibt der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in einem Blog.
Das Kind ist noch nicht auf der Welt und schon im Internet zu sehen: Immerhin etwa 15 Prozent der Frauen in Deutschland geben in einer Studie an, dass sie Ulraschall-Fotos des ungeborenen Nachwuchses ins Netz gestellt haben. In Neuseeland trifft dies auf 30 Prozent der Frauen zu. Viele Frauen wollen damit wohl ihre Vorfreude zum Ausdruck bringen und zeigen, dass die Schwangerschaft gut verläuft. Dabei müssen sie sich aber im Klaren darüber sein, dass die Betreiber der sozialen Plattform danach die Rechte an dem Bild besitzen. | Bild: Nelly Kovalchuk - Fotolia - Was muss man beachten, wenn Fotos der Kinder in Kindergarten oder in der Kita gezeigt werden sollen? Kitas, Kindergärten, Schulen und sonstige private oder öffentliche Einrichtungen benötigen laut Gulden ebenfalls eine Einwilligung der Eltern in die Veröffentlichung der Kinderfotos, wenn es um die Veröffentlichung von Gruppen- oder Klassenbildern geht. „Dies gilt selbst dann, wenn auf diesen Fotos mehr als 30 Kinder abgebildet werden.“
- Was muss man bei solch einer Einwilligung beachten? Gulden rät, die Einwilligung sehr kritisch unter die Lupe zu nehmen. Es sei wichtig, dass das daraus hervorgeht, zu welchem Zweck die Bilder veröffentlicht werden. Außerdem müsse unbedingt geklärt werden, ob die Bilder auch auf Facebook gezeigt würden oder nicht.
- Welche Bilder sind problematisch? Dass Nacktfotos von Pädophilen genutzt werden können, ist vielen Eltern bewusst. Doch auch vermeintlich harmlose Bilder bergen Risiken – zum Beispiel wenn der Name des Kindes daruntersteht. „Es gibt bereits Suchmaschinen, bei denen man ein Foto hochladen kann, und dann wird das komplette Netz danach abgescannt“, sagt Gulden. Jedes Foto könne zweckentfremdet werden oder auf einer Pädophilen-Seite landen. Der Jurist rät, nur Fotos zu posten, auf denen das Kind von hinten zu sehen ist oder man das Gesicht nicht erkennt.
Fotos der Neugeborenen direkt nach der Geburt auf Facebook, Instagram oder sonstigen sozialen Netzwerken zu posten, ist für viele Frauen offenbar kein Tabu. Einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge macht das in Deutschland fast jede dritte Frau. In Kanada geben sogar 37 Prozent an, dass sie Bilder ihrer Kinder nach der Entbindung ins Netz gestellt haben. Noch höher sind die Umfragewerte nur noch in Neuseeland und Australien. Dort sind es 41 Prozent. Zurückhaltender sind die Japaner. Hier machen dies nur 19 Prozent der jungen Mütter. | Bild: Africa Studio - Fotolia - Welche negativen Folgen drohen den Kindern noch? „Ist ein Foto erst einmal veröffentlicht, haben Sie keine Kontrolle mehr darüber“, sagt Ulbricht. Die Bilder ließen sich leicht von Dritten herunterladen und weiterverwenden. „Im Teenageralter sind Jugendlichen viele Kinderfotos unangenehm, vor allem, wenn Mitschüler sie sehen.“ So manches Kind werde deswegen gehänselt oder gemobbt. „Und man weiß nie, was irgendwann mal wieder hochkommt“, sagt Ulbricht. Macht das Kind später Karriere, wird es sich kaum über die eigenen Töpfchen-Bilder im Netz freuen. „Kinder können sich in ihrer Privatsphäre verletzt fühlen, wenn ihre Eltern Fotos von ihnen online teilen“, sagt Philipp Masur vom Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim.
- Helfen restriktive Privatsphäreeinstellungen? Sie sind besser als nichts. „Wenn jemand unbedingt Kinderfotos veröffentlichen will, dann zumindest zugangsbeschränkt“, empfiehlt Ulbricht. Die Gefahr, dass jemand Kopien macht, besteht aber immer: Wird ein Foto dann neu hochgeladen, bleibt es online, auch wenn das Ursprungsbild gelöscht wird.
- Warum posten Eltern überhaupt so viele Kinderfotos? Laut Masur ist das eine Form von Selbstdarstellung. „Als junge Eltern identifiziert man sich auch über seine Kinder. Man möchte zeigen, was man erreicht hat.“ Nach der Hochzeit, dem schönen Urlaub, sei das Posten von Kinderfotos nur der nächste Schritt, sagt der Wissenschaftler. Komme ein Bild gut an, bestärke das. „Man bekommt etwas zurück, indem die Leute kommentieren und liken.“
Schon gewusst?
Der Begriff „Sharenting“ ist in Deutschland noch nicht weit verbreitet, in den USA jedoch bereits durchaus geläufig. Zum ersten Mal benutzt wurde der Begriff im US-amerikanischen „Wall Street Journal“. Dort war von „oversharenting“ die Rede – einer Kombination aus „oversharing“ (zu häufig teilen) und „parenting“ (Kindererziehung). Die Zeitung wies außerdem darauf hin, dass massenhaftes Teilen von Kinderbildern dazu führen könnte, dass die Eltern zunehmend in den sozialen Medien miteinander konkurrieren. Daraus resultiert vielleicht auch, was man in den USA als „digital Kidnapping“ beschreibt. Damit ist gemeint, dass Menschen die Netz-Bilder anderer Kinder klauen und dann behaupten, es seien die eigenen Kinder. US-Experten wiesen außerdem auf weitere Gefahren hin. Dazu zählen das „Childgrooming“ (Fremde versuchen, sich den gezeigten Kindern anzunähern) und der Missbrauch der Bilder durch Pädophile. In der „Times“ wurde der Begriff „Sharenting“ zum Wort des Jahres 2013 gekürt. (sue)
Dateiname | : | Muster „Einwilligungserklärung zur Verwendung von Kinderfotos“ |
Datum | : | 25.01.2017 |
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