22.45 Uhr, Caren Miosga wünscht am Ende der „Tagesthemen“ eine gute Nacht. Malte und Karin gähnen herzhaft und schlurfen Richtung Schlafzimmer. Ihr Sohn Jan hingegen ist nebenan noch immer hellwach. Fünfmal haben seine Eltern den 13-Jährigen im Laufe des Abends schon aufgefordert, ins Bett zu gehen. Antwort jedes Mal: „Ja, Mama – gleich...“ Schlaf doch endlich, fleht seine Mutter, als sie nach ihm sieht, kurz bevor sie selbst ins Bett geht. „Kann nicht schlafen“, brummelt Jan nur und blättert um auf Seite 532 in seinem Fantasy-Schinken.
Keine sieben Stunden später sitzt Karin wieder auf Jans Bettkante. Jetzt liegt er wie im Koma in seinem Bett. „Aufstehen, Du musst zur Schule!“ Keine Reaktion. Streicheln, schmusen und rütteln – alles zwecklos. Der 13-Jährige schläft tief und fest. Auf den Radiowecker verlässt sich seine Mutter schon lange nicht mehr. Letzte Rettung: Wiederbelebung mittels Kitzel-Massage. Hörbar verärgert dreht Jan sich weg, will den zehn spitzen Fingern ausweichen, schlägt schließlich um sich, reibt sich total verkatert die Augen. Wie ein angezählter Boxer wankt er von seiner Bettkante in Richtung Bad.
Seine Mutter ist ratlos: „Früher ging Jan problemlos abends um halb neun ins Bett, hat noch kurz gelesen und schwang sich am nächsten Morgen ruckzuck aus den Federn – ohne mütterliche Reanimations-Maßnahmen. Vater Malte plädiert deshalb für harten Entzug: „Buch weg, Sicherung raus, Smartphone weg, und der Junge schläft – wetten?“ „Wetten nicht“, erwidert Jürgen Zulley. Er leitet das Schlafmedizinische Zentrum Regensburg und weiß, Jan ist kein Einzelfall. „Viele Kinder in dem Alter werden vom Morgentyp zum Morgenmuffel, von der Lerche zur Eule.“ Der Grund: Melatonin-Mangel. Dieses Hormon wird von der Zirbeldrüse im Gehirn gebildet und sorgt dafür, dass man müde wird. Spätestens in der Pubertät jedoch schüttet der Körper das Melatonin abends nicht mehr so reichlich aus wie noch in Kindertagen. Die Folge: die Einschlafzeit verschiebt sich Richtung Mitternacht. Deshalb habe es wenig Sinn, Kinder einfach weiter wie früher zeitig ins Bett zu schicken, meinen Schlaf-Experten wie Jürgen Zulley. Viele Kids können schlicht nicht einschlafen. Doch wie sollen sie dann ausreichend Schlafstunden erreichen? Schließlich richtet sich die Weckzeit am folgenden Morgen so gar nicht nach dem Melatoninspiegel, sondern nach dem Stundenplan.

Viele Kinder schlafen also als Eulen ein und werden wie Lerchen geweckt, weil die Schule beginnt. „Viel zu früh“, kritisieren Schlafforscher und verweisen auf europäische Nachbarländer: in Portugal, Spanien und England müssen viele Schüler erst um 9 Uhr zur ersten Stunde erscheinen, in den Niederlanden und Irland vielerorts um 8.45 Uhr, in Belgien, Frankreich und Italien meist um 8.30 Uhr. Der Grund: Morgens um 8 Uhr sind Kinder wie Jan ungefähr so leistungsfähig wie ein Autofahrer knapp über der Promillegrenze. Zudem braucht der Körper in der Pubertät mehr Schlaf, weil er sich im Extremumbau befindet. Mindestens neun Stunden sind nötig zur täglichen Regeneration. Und ganz wichtig: Erlerntes Schulwissen wird erst in der letzten Schlafphase im Gehirn wie auf eine Festplatte geschrieben und gespeichert. Wenn diese letzte Schlafphase jedoch wegfällt, weil Jan schon von seiner Mutter wachgekitzelt und aus dem Tiefschlaf gerissen wird, dann gehen binomische Formeln und französische Vokabeln leicht verloren.
Zu viele Termine
Trotzdem: Viele deutsche Lehrer halten nichts von einem späteren Schulbeginn. Die Tagesleistung der Schüler sei individuell viel zu unterschiedlich. Es gibt auch Morgensprinter, sagen sie und halten daher die Schulzeiten zwischen 8 und 13 Uhr für einen guten Kompromiss. Auf späteren Schulbeginn zu hoffen führt also wohl eher nicht zum Erfolg. Deshalb sollten Eltern sich mit ihren Kindern auf ein sinnvolles Zeit- und Schlafmanagement einigen. Das kann nicht erst auf der Bettkante beim Gute-Nacht-Kuss beginnen, sondern genaugenommen schon kurz nach der Schule: Hausaufgaben so zügig wie möglich erledigen, am besten, bevor Freizeitaktivitäten am Nachmittag dran sind.
Daher sollten Tennis, Fußball und Klavierunterricht nicht vor 16 Uhr nachmittags anfangen. Sitzen Kinder abends nach der Tagesschau noch vor ihren Hausaufgaben, ist es höchste Zeit für einen Termin-TÜV. Jans Mutter hat das durchgezogen, ihren Sohn schließlich überzeugt: „Sein Schlafmangel kommt auch davon, dass er einfach zu viel auf dem Zettel hat.“ Denn auf einem solchen stehen Termine, Termine, Termine, nachdem Jan und seine Mutter gemeinsam alle seine wöchentlichen Aktivitäten aufgelistet haben. Kein einziger Nachmittag ist so richtig frei.

„Generation Rücksitz“ nennen Experten bereits solche Kinder, die von ihren Eltern von einem Termin zum nächsten kutschiert werden. Die sogenannte Freizeit ist für sie oft keine Entlastung, sondern zusätzliche Belastung. Die Folge: Zu wenig Zeit zum Entspannen. So kommen sie zu selten an die frische Luft, die ja bekanntlich auch müde macht. „Infolgedessen fehlen vielen Kindern natürliche Zeitgeber wie Dämmerung und Dunkelheit“, sagt Jürgen Zulley. Drinnen ist es immer hell – und sei es, weil Smartphone- oder Computerbildschirm das Kinderzimmer erleuchten.
Auch falsche Ernährung kann eine wichtige Rolle spielen, wenn Kinder abends nicht einschlafen können. Nicht zu viel Abendbrot und vor allem nicht zu fett sollte es sein. Wachmacher wie Cola gehören nicht auf den Tisch. Ist bei Jan nicht der Fall, allerdings parkt er sich immer öfter mit seiner Cornflakes-Schüssel vor dem Laptop. Das haben seine Eltern nun abgeschafft. Stattdessen isst die Familie wieder gemeinsam, bespricht, was am Tag passiert ist. Dabei kommen Probleme auf den Tisch, mit denen Kinder nicht ins Bett gehen sollten. Denn auch unbewältigte Tageserlebnisse verhindern, dass Kinder gut einschlafen, weil sie sich noch im Bett wälzen und drüber grübeln.
Jan akzeptiert das inzwischen, hat dafür aber andere Privilegien herausgehandelt und seinen Eltern klargemacht: Wer die neuesten Folgen aktueller Serien nicht gesehen hat, ist out. Vater Malte und Mutter Karin erinnern sich noch gut, wie es ihnen erging, als sie Dallas nicht gucken durften und am nächsten Morgen ohne blassen Schimmer über die neuesten Gaunereien von J. R. in der großen Pause dumm dastanden. Deshalb haben sie ihrem Sohn aber nicht gleich den TV-Freibrief gegeben, sondern sich ausgewählte Abendvorstellungen abhandeln lassen. Moment mal: Sollen sich Eltern überhaupt auf solche Pokerrunden einlassen? Ja, denn so haben Kinder das Gefühl, dass ihre Interessen ernst genommen werden. Sie akzeptieren Entscheidungen meist bereitwilliger als wenn diese ihnen ohne Diskussion verkündet werden.

Das Bett als grübelfreie Zone
Grübeln statt träumen, wälzen statt schlummern: Manchmal ist nachts an Schlaf einfach nicht zu denken. Was tun, wenn die Gedanken im Kopf kreisen und einen wach halten?
- Tipp 1: Etwas Langweiliges tun. Wer im Bett liegt und nicht einschlafen kann, steht am besten erst mal wieder auf. Wenn man eine oder zwei Stunden wach im Bett liegt, denkt man automatisch über irgendetwas nach. Darauf weist Kneginja Richter, Leiterin der Nürnberger Schlafambulanz, hin. „Und denken im Bett ist Gift für den Schlaf.“ Stattdessen sollte man aufstehen und etwas tun, das extrem langweilig ist – etwa das Telefonbuch lesen.
- Tipp 2: Nicht auf den Wecker schauen. Viele Menschen hält auch die Angst zu verschlafen wach: Sie schauen ständig auf die Uhr. „Dadurch sind sie gedanklich wieder aktiv. Mit jedem Blick auf den Wecker löst man grübelnde Gedanken aus, die es einem unmöglich machen, zu schlafen.“
- Tipp 3: Zimmer verdunkeln. Wer morgens früh raus muss, geht auch meistens früh ins Bett. Doch manche können dann noch nicht schlafen, weil sie einfach noch nicht müde sind. Wer dann irgendwann doch müde ins Bett geht, für den gilt: „Beim Schlafen ist es am besten, wenn es ganz dunkel ist – wie in einer Höhle“, sagt Richter. Die Temperatur sollte zwischen 16 und 18 Grad liegen. „Eine kältere Temperatur ist besser.
- Tipp 4: Eine Lichtdusche nehmen. Aber auch, was man tagsüber macht, beeinflusst den Schlaf. Man sollte sich mindestens eine Stunde am Tag vor 16 Uhr im Freien aufhalten, sagt Richter. Denn Licht beeinflusst das Hormon Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. In den Wintermonaten könne hier eine „Lichtdusche“ aushelfen: „Am besten hat man eine Lampe für den Bürotisch, die man morgens einschaltet und eine Stunde an lässt.“ Die Geräte sollten medizinisch geprüft sein und eine Stärke zwischen 3000 und 10 000 Lux haben. (dpa)