„Ich habe Rücken“ ist längst zum geflügelten Wort geworden: Zwei Drittel aller Deutschen haben immer mal wieder Kreuzschmerzen, 30 bis 40 Prozent leiden akut darunter. Ein Drittel aller Arbeitsunfähigkeitsatteste hat mit Schmerzen des Rückgrats zu tun, bei 20 Prozent aller Frührentner ist ein Rückenleiden der Grund für das vorzeitige Ausscheiden aus der Arbeitswelt.
Meistens sind muskuläre Probleme der Auslöser
„Das ist ein gesellschaftliches Problem, das auch ökonomische Folgen hat“, sagt Ludwig Oberkircher. In den meisten Fällen seien muskuläre Probleme der Auslöser für die Schmerzen. Und diese lassen sich mit konservativen Mitteln wie Bewegung, Entspannung und Entlastung, mit schmerzstillenden Medikamenten sowie manuellen und physikalischen Therapien behandeln, so der Zentrumsdirektor und Chefarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädische Chirurgie und Endoprothetik am Medizin Campus Bodensee in Friedrichshafen.

Die meisten Rückenbeschwerden entstehen durch Muskelverspannungen. Nur etwa 15 Prozent der Patienten haben einen Bandscheibenvorfall, erklärt Oberkircher. Dabei treten Risse im äußeren Ring der Bandscheibe auf, sodass das innere Gewebe herausrutschen und auf den Nerv des Rückenmarks drücken kann.
Das ist dann sehr schmerzhaft. „Aber nicht jeder Bandscheibenvorfall muss gleich operiert werden“, sagt der Chirurg. In der Regel sei das erst bei Lähmungserscheinungen notwendig.
Bewegungsmangel kann Ursache sein
Ausgelöst werden Rückenschmerzen vor allem durch Bewegungsmangel, das einseitige Belasten der Wirbelsäule am Arbeitsplatz und Übergewicht. Sport, Bewegung und gezieltes Rückentraining sind wichtig zur Vorbeugung und in der Therapie. Als Faustregel gilt: Wenn starke Schmerzen auch nach drei Tagen nicht abklingen, sollten ihre Ursachen ärztlich abgeklärt werden.

Rücken- und Nackenschmerzen können nämlich auch auf einen Herzinfarkt hindeuten. Dauern Schmerzen länger als drei Monate, gelten sie als chronisch. Im Folgenden nimmt der Experte Stellung zu einigen Mythen:
- Die häufigste Ursache für Rückenschmerzen sind kaputte Bandscheiben. Das ist nicht richtig, sagt Oberkircher. Bei lediglich 15 Prozent der Patienten ist dies der Fall. Der Grund ist unter anderem ein Verschleiß der Puffer zwischen den Wirbeln durch hohe Beanspruchung, sodass unter Umständen die Knochen aneinander reiben. Eine weitere häufige Ursache für Rückenschmerzen ist eine Spinalkanalstenose, erklärt der Experte. Das betrifft vor allem ältere Menschen, wenn im Lauf der Jahre der Wirbelkanal, in dem die Nerven verlaufen, immer enger wird.
- Kälte verursacht, Wärme hilft bei Rückenschmerzen. Die Kälte ist eigentlich nicht das Problem, meint Oberkircher. Dass man sich im Winter weniger bewegt und die Muskeln weniger gefordert sind, könne allerdings zu Rückenschmerzen führen. Wärme entspannt geplagte Rückenmuskeln eigentlich und macht sie wieder beweglich. Bei Entzündungen ist Wärme dagegen das falsche Mittel.
- Bestehen Rückenschmerzen, ist Bettruhe angesagt. Bettruhe ist kontraproduktiv, betont Oberkircher. Solange keine Brüche oder Tumore vorliegen, sollte man stattdessen Bewegungsübungen machen. Die sogenannte Stufenlagerung hilft bei Ischias-Schmerzen, Bandscheibenvorfall und Hexenschuss.
- Bei Rückenschmerzen ist meistens die Matratze zu weich. Tatsächlich ist es wichtig, die Matratze regelmäßig, das heißt nach ungefähr acht Jahren, auszutauschen, weil sie irgendwann durchgelegen ist, empfiehlt der Mediziner. Die Härte der Unterlage ist aber eine individuelle Sache. Die optimale Matratze passt sich der Wirbelsäule an.
- Rauchstopp lindert Rückenschmerzen. Das ist richtig, sagt Oberkircher. „Raucher leiden dreimal mehr an chronischen Rückenschmerzen als Nichtraucher.“ Der Grund: Nikotin verengt die Blutgefäße und verringert die Durchblutung. Dadurch werden auch die Knochen schlechter versorgt, die Knochendichte nimmt ab.
- Vom krummen Sitzen kriegt man Rückenschmerzen. Generell ist das lange Verharren in einer Position schlecht für den Rücken, erklärt der Experte. Er empfiehlt, sich im Bürostuhl auch mal nach hinten zu lehnen und zwischendurch aufzustehen.
- Bei Rückenschmerzen muss man auch die Bauchmuskeln stärken. In der Tat sind starke Bauchmuskeln gut für den Rücken, weil sie für eine bessere Haltung sorgen. Das betrifft vor allem auch die inneren Bauchmuskeln, betont Oberkircher.
Bewegung ist das A und O
Viele Patienten meinen, sie müssten sich schonen, um ihren Rücken nicht mit falschen Bewegungen zu schädigen. Das Gegenteil ist der Fall. Zur Vorbeugung und Therapie von Kreuzschmerzen sollte man sich regelmäßig bewegen, rät Professor Ludwig Oberkircher.
- Ischias-Schmerzen: Muskelverspannungen oder falsche Bewegungen können den Ischias-Nerv reizen, der Anteile verschiedener Nervenwurzeln enthält. Sie strahlen meist einseitig vom Gesäß über die Rückseite des Oberschenkels bis in die Kniekehle, oft aber auch über den Unterschenkel oder Fußkanten und -rücken bis zu den Zehen. Ischias-Schmerzen können gleichzeitig mit einem Hexenschuss auftreten. Wenn der Hüftmuskel (Musculus piriformis) verspannt ist, der direkt unter dem großen Gesäßmuskel liegt, hilft Dehnen ebenso wie Wärme und Stufenlagerung, um ihn zu entlasten.
- Bandscheibenvorfall: Eine Operation ist manchmal notwendig, zum Beispiel bei anhaltenden Lähmungserscheinungen. Bei vielen Patienten bessern sich die Beschwerden durch eine konservative Therapie. Dazu gehören ärztlich verordnete Physiotherapie, schmerzlindernde Medikamente, Wärme oder Stufenlagerung.
- Hexenschuss: Schnelles Bücken, eine Kiste heben oder eine Drehbewegung: Der Hexenschuss kommt meist aus heiterem Himmel und schießt in den unteren Rücken wie ein Blitz ein. Die Schmerzen, die durch eine Muskelblockade entstehen, können so heftig sein, dass sich Betroffene nur noch schwer bewegen können. Die gute Nachricht: Nach zwei bis drei Tagen ist es meistens vorbei. Bei akuten Schmerzen helfen eine vorübergehende Stufenlagerung – der Rücken liegt auf dem Boden, die Unterschenkel sind im rechten Winkel angehoben, Wärme im Kreuz und ein leichtes Schmerzmittel.
- Vorbeugen: Dazu gehört auch Spazierengehen oder die Treppe zu nehmen anstelle des Fahrstuhls. Auch Übergewicht sollte man reduzieren sowie Stress durch bewusstes Entspannen, durch Meditieren oder Fahrradfahren abbauen, um den Kopf freizubekommen. Denn auch die Psyche spiele bei Schmerzen eine Rolle, so der Experte.