Der Anblick, der sich den Tierschützern bot, offenbart die grausamen Bedingungen der chinesischen Pelzindustrie: Auf mehreren Farmen wurden Marderhunde durch gezielte Elektroschläge gelähmt, ehe sie einen langsamen Tod starben. Unzählige Tiere sind in Reihen von Gitterkäfigen eingesperrt, keines ist größer als ein herkömmliches Tiefkühlfach. Und trotz der weltweiten Covid-Pandemie konnten die Aktivisten die Betriebe ganz ohne Gesundheitstests oder grundlegende Hygienevorschriften betreten.

Aktivisten fordern: Pelzhandel beenden

„Solche Pelzbetriebe haben keinen Platz in einer modernen Gesellschaft. Es ist essenziell, dass wir den Pelzhandel ein für alle Mal beenden“, sagt Kitty Block aus dem Vorstand von „Humane Society International“ (HSI). Die NGO hatte im November und Dezember letzten Jahres 13 Pelzfarmen in China besucht, um ein Schlaglicht auf die leidvollen Zuchtbedingungen zu werfen.

Marderhunde liegen in engen Käfigen auf dem Xin Yuan Markt. Die Tiere werden in der Volksrepublik unter leidvollen Bedingungen ...
Marderhunde liegen in engen Käfigen auf dem Xin Yuan Markt. Die Tiere werden in der Volksrepublik unter leidvollen Bedingungen gezüchtet. Am Ende wird ihnen lebendig das Fell über die Ohren gezogen. Durch die Aerosole, die die Tiere bei ihrem Todesschrei ausstoßen, könnte sich der Mensch angesteckt haben, so Drosten. | Bild: Paul Hilton

Den Aktivisten ging es dabei nicht darum, Beweise für den Ursprung der Coronapandemie zu liefern. Doch dieser Tage lässt sich die Investigation von HSI unter einem ganz anderen Licht betrachten: Denn Virologe Christian Drosten vermutet ausgerechnet chinesische Pelzfarmen als Ausgangspunkt für eine erste Übertragung von Sars-Cov-2 auf den Menschen.

Marderhund als Zwischenwirt

Im Interview mit dem Schweizer Magazin „Republik“ kam der Virologe einerseits zu dem Schluss, dass ein Laborunfall aus technischen Gründen höchst unwahrscheinlich sei. Für nach jetzigem Wissensstand hält Drosten jedoch ein anderes Szenario für sehr wahrscheinlich: „Wenn Sie irgendwo eine Jacke kaufen mit Pelzkragen, ist das chinesischer Marderhund, fast ohne Ausnahme“, sagt der Institutsleiter.

Jene Felltiere sind also ein potenzieller Zwischenwirt – das fehlende Puzzleteil, das erklären würde, wie das Virus von der wild lebenden Fledermaus auf den Menschen übertragen werden konnte. „Marderhunden und Schleichkatzen wird lebendig das Fell über die Ohren gezogen. Die stoßen Todesschreie aus und brüllen, und dabei kommen Aerosole zustande. Dabei kann sich dann der Mensch mit dem Virus anstecken“, so der Institutsdirekter der Berliner Charité.

Tierhandel unterbunden?

In Drostens Aussagen liegen durchaus weitreichende Vorwürfe mit großer Sprengkraft. Denn wenn jenes Szenario stimmen würde, dann wäre die jetzige Pandemie wohl zu verhindern gewesen, hätte die chinesische Regierung ihre Lehren aus der Sars-1-Epidemie vor knapp 20 Jahren gezogen. Christian Drosten sei überrascht von der jetzigen Sars-Cov-2-Pandemie gewesen, weil er „in der naiven Vorstellung gelebt“ hat, dass „diese Art von Tierhandel unterbunden worden sei und dass das nie wieder kommen würde“.

Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité.
Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité. | Bild: Michael Kappeler/dpa

Doch jener Tierhandel wurde keineswegs unterbunden, wie nicht zuletzt ein Blick auf den vielbeachteten Huanan Markt in Wuhan belegt. In jenem Markt, der lange Zeit als Ursprungsort der Pandemie gehandelt wurde, haben Händler ebenfalls besagte Marderhunde für umgerechnet rund 15 Euro pro Kilogramm verkauft, wie aus einer aktuellen Publikation des Fachmagazins „Nature“ hervorgeht.

Handel und Verzehr verboten

Im Februar 2020, also erst wenige Monate nach Ausbruch des Coronavirus, hat die chinesische Zentralregierung ein Verbot für den Handel und Verzehr von Wildtieren ausgesprochen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Doch wie flächendeckend das Verbot umgesetzt wird, ist fraglich. Nach der Sars-Epidemie zu Beginn der Jahrtausendwende dauerte ein solches Verbot nur etwa ein Jahr lang, ehe die meisten Märkte wieder aufgemacht haben und die Nachfrage wieder anzog.

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Der Wildhandel entstand während der 80er Jahre, als sich das Land im Zuge von grundlegenden Reformen wirtschaftlich öffnete. Die Regierung sah in der Aufzucht von exotischen Tieren eine Möglichkeit, um die verarmte Landbevölkerung aus der Armut zu hieven. Erst vor wenigen Jahren hieß es in einer Stellungnahme der chinesischen Akademie für Ingenieurswissenschaften: „Die Wildtier-Industrie hat effektiv zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen und das Einkommen von Landwirten und lokale Steuereinnahmen massiv gesteigert“.

Noch vor vier Jahren ging die Regierung davon aus, dass die Branche rund 14 Millionen Arbeitsplätze bot und einen Umsatz von umgerechnet 66 Milliarden Euro generiert hat. Fast 50 Milliarden davon fallen auf den Pelzmarkt – der Nahrungsmittelverzehr macht nur ein Drittel davon aus.

Schlupfloch für Farmen

Das Verbot vom Wildhandel bezieht sich jedoch vornehmlich auf die Essgewohnheiten. Als Schlupfloch dient vielen Farmern, dass sie ihre Aufzucht zum Nutzen für chinesische traditionelle Medizin stellen. Noch 2019 vermeldeten Hongkongs Zollbehörden die Konfiszierung von Rekordmengen an Schuppentieren und Nashörnern, die zum Zwecke der Medizin illegal eingeführt wurden. Auch bei der Behandlung von Covid-Symptomen hat die chinesische Regierung den Nutzen von traditioneller Medizin bewusst forciert.

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Vor allem aber sind die Pelzbetriebe nach wie vor legal und weitgehend unreguliert. Marderhunde werden etwa als Zuchttiere offiziell anerkannt. Und nachdem in Dänemark auf Nerzfarmen im November letzten Jahres nach einigen Covid-Fällen bis zu 17 Millionen Tiere gekeult wurden, haben vor allem chinesische Farmer von den nun gestiegenen Preisen profitiert.

Es ist erstaunlich, welch strenge Maßnahmen die chinesische Regierung beim Kampf gegen das Virus unternimmt, um seine Zero-Covid-Strategie aufrecht zu erhalten. Dabei kontrollieren die Behörden auch die Oberflächen von Tiefkühlprodukten aus dem Ausland, um den Import von Erregern zu verhindern – inklusive öffentlicher Schuldzuweisungen gegen norwegischen Lachs und deutsche Schweinshaxe. Doch seine eigene Pelzindustrie – die größte der Welt – lässt die Regierung in Peking weitgehend unreguliert.