Kurz vor dem Vorstellungsgespräch. Die Spannung steigt, das Herz schlägt schneller: Welche Fragen erwarten mich? Wie gut werde ich mich präsentieren können? Wie groß sind die Chancen, den Job zu bekommen? „Wer positiv denkt, ist davon überzeugt, dass alles gut läuft“, sagt Astrid Schütz, Professorin für Psychologie an der Universität Bamberg. „Ein Mensch mit einer negativen Einstellung sagt sich dagegen: Die nehmen mich doch sowieso nicht.“
Diese Erwartung beeinflusst unser Verhalten: Eine Optimistin wird selbstbewusster auftreten und dadurch ihre Chance vergrößern, eingestellt zu werden. Schiefgehen kann die Sache trotzdem. „Optimismus ist eine hilfreiche Haltung“, sagt Schütz, warnt aber auch: „Ein Allheilmittel ist er nicht.“
Verlängert positives Denken das Leben?
Wie wertvoll eine zuversichtliche Lebenseinstellung ist, zeigt die legendäre Studie eines Teams um die US-Psychologin Deborah Danner: Dabei wurden die Autobiografien von 180 Nonnen, die sie im Alter von durchschnittlich 22 Jahren geschrieben hatten, hinsichtlich ihres emotionalen Gehalts untersucht. Die Gruppe, die sich am positivsten geäußert hatte, lebte am längsten – umgekehrt hatte die am wenigsten zuversichtliche Gruppe auch die geringste Lebenserwartung.
Auch sonst hat Optimismus viele Vorteile: Er kann helfen, Ziele zu erreichen, Sympathien zu gewinnen und ein gesundes Leben zu führen. So achten Menschen mit einer zuversichtlichen Einstellung Studien zufolge stärker auf ihre Gesundheit – wahrscheinlich weil sie davon überzeugt sind, dass sich ihr Verhalten auch lohnt.
Tipps für mehr Zuversicht
Optimismus scheint also eine gute Wahl zu sein. Aber kann man sich so einfach dafür entscheiden? Aus Zwillingsstudien weiß man, dass die Neigung zu positivem Denken zu einem guten Teil vererbt wird. Wie groß er ist, lässt sich nicht genau sagen – Schätzungen reichen von 25 bis 50 Prozent.
Klar ist aber, dass wir Genen nicht ausgeliefert sind. „Der Bauplan des Gehirns ist zwar genetisch geprägt, lässt sich aber durch Verhalten und Erfahrungen beeinflussen“, erklärt Michaela Brohm-Badry, Professorin für empirische Lehr-Lern-Forschung an der Universität Trier. So ist die Zahl der Rezeptoren, die für die Weiterleitung von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin zuständig sind, angeboren.

„Je mehr solcher Rezeptoren wir haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir optimistisch sind“, erklärt die Neurowissenschaftlerin. Allerdings lässt es sich mit steuern, ob die Rezeptoren aktiviert werden und welche Menge an Neurotransmittern fließen. Vor diesem Hintergrund rät sie, sich gezielt positive Erfahrungen zu bescheren: etwa Freunde einzuladen, einen Kurzurlaub zu machen, im Wald spazieren zu gehen, schöne Gespräche zu führen.
Auch auf der Verhaltensebene lässt sich laut Brohm-Badry viel erreichen, indem man den Blick auf positive Aspekte lenkt. Evolutionär-biologisch war es von Vorteil, sich auf das Negative zu fokussieren, da so Gefahren früh erkannt wurden. „Daher neigen wir auch heute noch zu einer negativen Verzerrung in der Wahrnehmung, dem negativity bias“, erklärt sie. Dagegen helfen positive Gedanken.

Wer also einen Termin für eine ernste Unterredung mit dem Chef hat, sollte sich keine Katastrophe vorstellen, sondern sich daran erinnern, dass beim letzten Mal alles gut oder glimpflich ablief. „Die Balance zwischen negativen und positiven Emotionen ist wichtig“, sagt Brohm-Badry. „Immer nur positiv zu denken, ist schlecht für die Psyche.“
Mit dem Optimismus ist es nicht so einfach, wie zahllose Ratgeber in dem Bereich glauben machen. Häufig lautet ihre simple Botschaft in etwa so: Wer nur fleißig genug positiv denkt, dem fliegt alles zu – Glück, Erfolg, eine zufriedene Partnerschaft und ein langes Leben. „Ich habe den Eindruck, dass da viel Unseriöses auf dem Markt ist“, sagt sychologin Schütz. „Manches kann sogar schaden.“ Wer aufgrund der Lektüre glaubt, dass mit der richtigen Einstellung alles erreichbar ist, fühlt sich schnell schuldig, wenn er etwa seinen Job verliert.
Von den teilweise plumpen Aussagen in den zahllos auf den Markt geworfenen Motivationsbüchern war die Wissenschaftlerin so genervt, dass sie mit dem Psychologen Lasse Hoge selbst ein Buch mit dem Titel „Positives Denken“ schrieb. Darin setzt sie sich kritisch mit Vorteilen, aber auch mit Risiken des positiven Denkens auseinander. Demnach kann „ein hohes Maß an Zuversicht dazu führen, dass Menschen zu viel Energie in Ziele investieren, die unerreichbar sind und so Gesundheit und Wohlbefinden belasten“.
Außerdem kann es vorkommen, dass Optimisten ihre Fähigkeiten überschätzen und dadurch in Gefahr geraten. Ebenfalls negativ wirkt sich positives Denken aus, wenn man eine Situation nicht kontrollieren kann: Zum Beispiel könnten Krebspatienten, die trotz aller Zuversicht Metastasen bekommen, nicht nur unter der Diagnose leiden, sondern auch unter dem Eindruck, versagt zu haben.
Eine leicht rosa Brille kann hilfreich sein
Laut Schütz und Hoge hängt es von verschiedenen Faktoren ab, ob eine positive Einstellung hilft: etwa vom Ausmaß der Wirklichkeitsverzerrung, von der Situation und von der Persönlichkeit. Manchen Menschen helfe ein „defensiver Pessimismus“, sagt Schütz und verweist auf Untersuchungen der US-Psychologin Julie Norem. Nach diesem Konzept versucht man, sich mögliche Schwierigkeiten vorzustellen und ihnen vorzubeugen.
Für Brohm-Badry ist klar: Übertreiben sollte man es mit dem Glauben an die Macht des Positiven nicht. Dennoch ist sie davon überzeugt, dass eine leicht rosa Brille im Alltag hilfreich ist und man als psychisch gesunder Erwachsener selbst für die richtige Tönung sorgen kann. „Wir können selbst entscheiden, welche Erfahrungen wir suchen – und das ist wichtig für die Zuversicht“, sagt sie. „Am wichtigsten von allem aber ist der Kontakt zu warmherzigen Menschen. Auch das ist klar erwiesen.“