Herr Kast, wie geht es Ihnen?
Ich bin gut drauf. Seit Erscheinen meines Buches ist es an manchen Tagen etwas stressig, weil das Interesse daran groß ist. Das bringt mich dann aus meiner Alltagsroutine, die ich mag. Aber meistens schaffe ich es, morgens, wenn ich meine drei Kinder versorgt habe, noch joggen zu gehen.
Schon Ihr voriges Buch, der Ernährungskompass, war ein großer Erfolg. Trotzdem waren Sie unzufrieden. Warum?
Ich habe eine tolle Familie, eine Frau, mit der ich seit 20 Jahren glücklich zusammen bin, ich habe drei Kinder, und dann kam noch dieser Erfolg hinzu. Stimmungsschwankungen kenne ich schon seit meiner Jugend, aber es gab eigentlich meist eine recht naheliegende Erklärung. Ich wollte zum Beispiel immer Forscher werden, aber als Student habe ich gemerkt, dass mir das nicht liegt.
Ich habe mich gefragt: Was mache ich jetzt mit meinem Leben? Meine Krise hatte also einen konkreten Auslöser. Diesmal war es so bitter-ironisch: Ich hatte alle meine Träume verwirklicht und trotzdem begleitete mich den ganzen Tag über so eine gewisse Traurigkeit, die ich gar nicht verstanden habe. Das war für mich der Anlass, dem nachzugehen und mich auf die Suche zu machen.
Wo führte Sie diese Suche hin?
Ich fing an, mich mit spirituellen Welten zu beschäftigen, weil ich das Gefühl hatte, irgendetwas fehlt mir im Leben. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass mir in meinem Alltag einfache körperliche Dinge halfen, wie zum Beispiel das Joggen. Unser seelisches Wohlbefinden hat eine ganz große körperliche Komponente, die extrem wichtig ist.
Oft suchen wir unser Glück entweder im Materiellen oder im Spirituellen. Und dabei entscheiden chemische Prozesse über unsere Zufriedenheit?
Du kannst alles haben im Leben, als Millionär alle Privilegien genießen – und dann hast du eine schlechte Nacht und bist nicht gut drauf. Es gibt also biochemische Prozesse, die uns die Laune vermiesen können. Da kann man sich gut vorstellen, was passiert, wenn jemand chronische Schlafprobleme hat. Oder wenn jemand unter chronischen Entzündungsprozessen leidet.
Verursacht wird das oft durch unseren modernen Lebensstil. Zu viel Junk-Food, zu wenig Vitamin D, zu wenig natürliches Tageslicht, Übergewicht: All das fördert schlechte Laune, Energielosigkeit und depressive Stimmung.
Oft würde man sich nach einem stressigen Tag doch am liebsten mit einer Tüte Chips aufs Sofa legen – als Belohnung…
Es ist verhängnisvoll, dass es viele Dinge gibt, die uns unmittelbaren Genuss verschaffen, die langfristig aber nicht guttun. Aus Experimenten weiß man: Wenn Menschen gestresst sind, greifen sie zu Süßem. Zucker scheint eine schmerzlindernde Wirkung zu haben. Oder nehmen Sie das Spielen mit dem Handy: Erst mal entspannt es uns, aber spätestens nach drei Stunden fühlen wir uns schlecht.
Umgekehrt ist das, wofür ich erst einmal meinen inneren Schweinehund überwinden muss, langfristig oft sehr gut für uns. Zum Joggen muss man sich aufraffen, auch eine kalte Dusche ist erst mal unangenehm, danach fühlt man sich besser. Meditieren ist vielleicht erst einmal langweilig, aber es ist langfristig gut für uns.
Wir müssen unseren Körper also herausfordern, anstatt ihn nur zu schonen?
Ich denke, dass ein Großteil unseres Glücks tatsächlich nicht in der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen liegt, sondern in einer Herausforderung, der wir uns stellen. Früher war das ganz normal, als Jäger und Sammler mussten wir uns bewegen, heute müssen wir uns dem künstlich stellen. Es ist es eine Frage der Disziplin geworden, diese archaischen Elemente in den Alltag einzubauen.
Wie sieht eine Ernährung aus, die uns zufriedener macht?
Ehrlich gesagt muss man sich anstrengen, um sich einigermaßen vernünftig zu ernähren. Die wichtigste Regel ist wahrscheinlich, sich natürlich zu ernähren – nach dem Motto: nichts essen, was deine Großmutter nicht auch als Nahrung erkannt hätte.
Grundsätzlich ist es gut, viel Gemüse, viel Obst, viel Olivenöl zu essen. Auch Linsen, Erbsen und Nüsse tun uns gut. Weniger gut sind rotes Fleisch, verarbeitetes Fleisch wie Wurst, aber auch Zucker, insbesondere Softdrinks.

Was ist so schlecht an Wurst?
Wenn die Industrie Hand anlegt, fügt sie leider immer wieder Stoffe hinzu, die in größeren Mengen schädlich für uns sind. Gesättigte Fettsäuren etwa können Entzündungsprozesse im Körper beschleunigen. Die können auf unser Gehirn übergreifen und damit unsere Stimmung beeinflussen.
Umgekehrt gibt es mittlerweile Studien, die zeigen, dass man Depressionen mit einer Mittelmeerkost zurückbilden kann. Und das ohne Nebenwirkungen, wie es sie bei Medikamenten gibt.
Sie schreiben: Eine Stunde joggen schenkt uns sieben Stunden Lebenszeit. Warum ist Bewegung so wichtig?
Durch die Bewegung fangen unsere Organe an, mit dem Gehirn zu kommunizieren. Viele halten ja unsere Knochen für ein starres, lebloses Gebilde. Tatsächlich können sie ähnlich wie eine Drüse Stoffe ausstoßen, in diesem Fall Osteocalcin. Auch andere Organe wie Leber, Nieren und Muskeln tun das.
Die Wissenschaft nennt diese Botenstoffe Exerkine, vom englischen exercise. Sie beeinflussen Areale in unserem Gehirn, die wichtig sind für die Stress-Resilienz. Bewegung hilft also bei der Emotionsregulierung, der Stress-Resilienz, und das hebt unsere Stimmung.
Geht das auch noch im höheren Alter?
Es gibt eine Studie, bei der waren die Teilnehmer zwischen 60 und 90. Die Gruppe wurde dreimal die Woche zu einem 40-minütigen Spaziergang animiert. Normalerweise baut der Hippocampus, der wichtig ist für unser Gedächtnis sowie die Stress-Resilienz, in diesem Alter ab. Das Bemerkenswerte war: Nach einem Jahr hatte das Volumen des Hippocampus bei den Teilnehmern nicht nur nicht abgenommen, sondern sogar zugenommen. Wer die Intensität erhöht und ein bisschen mehr macht, kann das steigern.
Übrigens kann auch das Gewürz Kurkuma oder Meditation und Fasten auf den Hippocampus einwirken. Ich finde, das fasziniert zu sehen, dass das Gehirn wie ein Muskel ist, den ich gezielt stärken kann. Das ist motivierend.
Auf Ihrer Suche nach mentaler Stärke haben Sie auch Drogen genommen. Ist das nicht gefährlich?
Ich muss den Zusammenhang erklären. Seit fast zwei Jahrzehnten beschäftigen sich die renommiertesten Wissenschaftsinstitute der Welt mit psychoaktiven Substanzen wie Psilocybin, der „magischen“ Substanz in Magic Mushrooms. Im Vergleich mit einem der besten Anti-Depressiva ist die Wirkung beim Zurückbilden von Depressionen fast doppelt so stark. Die Studien haben mich hellhörig gemacht. Deshalb habe ich Kontakt aufgenommen mit einer Therapeutin, die das sorgfältig vorbereitet hat.
Klar, ein bisschen mulmig war mir schon. Tatsächlich war es aber überwältigend. Du verlierst schon die Kontrolle bis zum gewissen Grad, und das ist nicht jedermanns Sache. Es gibt Millionen von Menschen, die unter Depressionen leiden und bei denen die klassischen Anti-Depressiva nichts bewirken. Zumindest für einen Teil von ihnen eröffnet sich hier eine neue Perspektive.
Wie sieht für Sie ein idealer Tag aus?
Ein idealer Tag ist für mich einer, den ich so gestalten kann, wie ich will. Sobald die Kinder versorgt sind, gehe ich eine halbe Stunde joggen und weil es im Moment früh noch kalt ist, schlage ich drei Fliegen mit einer Klappe. Ich tanke Licht, das ist sehr wichtig für die Stimmung generell, fürs Wachwerden. Licht ist der wichtigste Zeitgeber für unseren Körper, es setzt einen Timer in Gang, der uns abends beim Einschlafen hilft. Zusätzlich bewege ich mich und aktiviere damit meine Exerkine. Der kleine Kälteschock belebt mich zusätzlich.
Danach trainiere ich meinen Geist, ich lese ein Buch oder Studien. Am Nachmittag muss ich die Kinder abholen. Ideal wäre, wenn ich noch ein kleines Krafttraining hinbekomme. So wie das Gehirn abbaut, bauen auch die Muskeln Jahr für Jahr ab. Das begünstigt Stürze im Alter, man kann keine Taschen mehr tragen, sich nicht mehr vom Boden hochheben. Unsere Lebensqualität hängt mit von unserer Muskelkraft ab. Wenn es ganz perfekt läuft, würde ich noch in die Sauna gehen. Das unterstützt beim Einschlafen, weil es hilft, den Körper abzukühlen.
Sauna kühlt uns ab?
Ja, das warme Blut fließt in Hände, Arme, Beine, der Körper muss sich abkühlen, weil er zu heiß ist. Um gut ein- und durchzuschlafen, kühlt sich der Körper immer um ein, zwei Grad ab. Der Abkühlprozess ist also für ihn ein Signal einzuschlafen. Das alles gelingt mir natürlich nicht immer, aber Sie haben ja nach dem idealen Tag gefragt.