Tatsächlich kann die Atmung durch den Mund der Gesundheit schaden, sagt der Radolfzeller Zahnarzt Uwe Basset: „Die Nase ist zum Atmen da, der Mund zum Essen.“ Aber warum atmen dann so viele Menschen durch den Mund? Und warum ist das schlecht?
Tiefe und bewusste Nasenatmung trage dazu bei, Stress abzubauen, die Konzentration zu steigern und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern, erklärt der Mediziner. Eine verstopfte Nase könne dagegen zu immer heftigeren Allergien, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit führen.

„Wir beschäftigen uns seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema der richtigen Atmung, und es ist erstaunlich, was alles in direkte Verbindung gebracht wird“, sagt Basset. Für eine flächendeckende Aufklärung und um die interdisziplinäre Zusammenarbeit voranzutreiben, hat er das Netzwerk Atem-Weg gegründet. Mediziner und Therapeuten verschiedenster Fachrichtungen tauschen Wissen und Erfahrungen über gesundes Atmen aus und arbeiten an Forschungsprojekten sowie an Entwicklungsinitiativen zusammen.
Ein erwachsener Mensch atmet etwa zwölf bis 15-mal pro Minute und inhaliert pro Atemzug 500 bis 1000 Milliliter Luft. Dabei wird Sauerstoff (O2) aufgenommen und Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen. „Der Mund ist dabei üblicherweise geschlossen“, erklärt Alessandro Ghiani. „Dafür sorgt unter anderem die Spannung der Kaumuskulatur.“
Ein Viertel aller Menschen atmet durch den Mund
Ein Viertel der Menschen atmet allerdings durch den Mund, meist, weil die Nase blockiert ist. Durch den Mund zu atmen, sei normalerweise nur ein Ausweichen aufgrund einer Störung, sagt Ghiani, Leitender Oberarzt der Abteilung für Pneumologie und Beatmungsmedizin im Stuttgarter Robert Bosch Krankenhaus.
Die Nasenatmung spiele eine entscheidende Rolle für die Gesundheit, betont auch er. Dass wir in der Regel durch die Nase atmen, habe viele gute Gründe: Die Nasenhaare reinigen die Atemluft von Staub, Krankheitserregern und Schmutz und schützen so die Lunge. Das Atmen durch die Nase dient außerdem dazu, die Luft anzuwärmen und zu befeuchten, erläutert Ghiani.
Mehr Sauerstoff über die Nase
Auch der erhöhte Luftwiderstand bei der Nasenatmung ist gut für die Gesundheit, weil dadurch die Lungen im Gegensatz zur Mundatmung bis zu 20 Prozent mehr Sauerstoff aufnehmen können. Ursachen für eine Blockierung der Nase können chronische Allergien oder eine schiefe Nasenscheidewand sein. „Bei zehn bis 25 Prozent der Kinder ist eine vergrößerte Gaumen- oder Rachenmandel der Grund für die Verlegung der Atmung.“
Die Rachenmandel vergrößert sich bis zum sechsten Lebensjahr, danach wird sie wieder kleiner. Damit ändert sich unter Umständen auch die Atmung wieder. Ghiani empfiehlt, sich an einen Hals-Nasen-Ohrenarzt zu wenden und die Ursache abklären zu lassen, wenn ein Kind vorrangig durch den Mund atmet. Oft fällt das Eltern gar nicht auf. Und in den meisten Fällen erledige sich das von selbst.
Mundatmer haben häufiger Karies und leiden unter einer Trockenheit des Rachenraums. Durch die Atmung über den Mund verliert der Körper mehr Wasser. Studien legen außerdem nahe, dass ein ständiges Offenstehen des Mundes bei Kindern auch die Gesichtsentwicklung beeinflusst und zu Zahnfehlstellungen führen kann.
Falsches Atmen fängt bei der Ernährung an
Das bestätigt Uwe Basset in Radolfzell: „Es gibt 170 medizinische Diagnosen, die auf eine falsche Atmung zurückzuführen sind.“ Die Ursachen dafür sieht er ebenfalls in den frühesten Entwicklungsphasen der Kinder. Das fange bei der Ernährung und der damit verbundenen Ausbildung der Kiefermuskulatur an: vom frühen Abstillen über pürierte Babynahrung und sogenannte Quetschies – weiche Beutel mit Obst- oder Gemüsemus, das direkt in den Mund gedrückt wird – bis zu Smoothies.
„Wir sind nicht mehr artgerecht unterwegs“, kritisiert Uwe Basset. Wenn der Nachwuchs nicht so früh wie möglich seinen Kiefer fordert, verkümmere dieser. Im Laufe der Menschheitsentwicklung haben sich daher Schädel und Mundhöhle verkleinert, wodurch der Mensch immer weniger Luft durch die Nase aufnehmen kann und dann mehr durch den Mund atmet.
Führt Mundatmung zu ADHS?
Der Arzt glaubt sogar, dass bei 80 bis 100 Prozent der Kinder mit ADHS die Mundatmung eine der Ursachen für die Störung sei. Studien haben ergeben: Kinder mit Atmungsstörungen zeigen tatsächlich 40- bis 100-mal häufiger Verhaltensprobleme, die an ADHS erinnern. Außerdem trete ADHS in bis zu 50 Prozent der Fälle gemeinsam mit Atemstörungen auf.
Wie richtiges Atmen auf die Gesundheit wirkt, beschreibt auch der amerikanische Wissenschaftsjournalist James Nestor in seinem Buch „Breath. Atem. Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens“, das es in die „Spiegel“-Bestsellerliste geschafft hat. „Erst seit Kurzem wissen wir, dass man mit der richtigen Atmung den Blutdruck senken, sportliche Leistungen steigern und das Nervensystem ins Gleichgewicht bringen kann“, schreibt er.
Zunge sollte am Gaumen anliegen
Wenn die Nase nicht regelmäßig genutzt werde, wuchere sie zu, warnt der Amerikaner. Das erschwere wiederum die Atmung durch die Nase. Ein Teufelskreis. Aber: Man kann das richtige Atmen wieder lernen, versichert auch Uwe Basset: Einfach die Lippen geschlossen halten, wobei sich die oberen und unteren Zähne leicht berühren und die Zunge am Gaumen anliegt. Den Kopf senkrecht über Körper und Hals gerade halten und langsam durch die Nase in den Unterleib atmen.
Nachts rät Nestor zu einem Schlafklebeband, das die Lippen verschließt. Damit würde auch das Schnarchen aufhören. Tatsächlich könne die richtige Atmung sogar unser Leben verlängern, hat der Buchautor in zahlreichen Expertengesprächen herausgefunden. „Wer richtig atmet, ist selbstbewusster und kann sich besser fokussieren.“