Schon die Zahl ist erschütternd: Ein 41-Jähriger aus Staufen soll in 696 Fällen vier Jungen sexuell missbraucht haben. Es geht um Tatvorwürfe aus den vergangenen acht Jahren. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Freiburg Anklage vor der Jugendkammer des Landgerichts Freiburg erhoben. Wann der Fall vor Gericht kommt, ist allerdings offen.
Ehemaliger Pfadfinderbetreuer angeklagt
Erst im Mai wurde bekannt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bereits seit Monaten ermitteln. Schon damals sprach die leitende Staatsanwältin Nikola Novak von mehreren Hundert Fällen. Christian L. sitzt bereits seit 22. Februar in U-Haft. In Staufen ist er bekannt – er arbeitete dort zuletzt in einem Fahrradgeschäft.

Unmittelbar nach der Festnahme hatte die Kriminalpolizei Freiburg die Ermittlungsgruppe „Burg“ ins Leben gerufen und bis Anfang Mai bereits mehrere hundert Befragungen durchgeführt. Im Juli kündigte die Staatsanwaltschaft dann an, in Kürze Anklage zu erheben.
Die mutmaßlichen Opfer waren zum Zeitpunkt der Übergriffe zwischen sieben und 14 Jahren alt. Zwei der Jungen hat der frühere Betreuer der evangelischen Pfadfindergruppe „Lazarus von Schwendi„ bei seiner Tätigkeit in Staufen kennengelernt. Dort war er nach Angaben der Staatsanwaltschaft zwischen 1999 und 2011 aktiv, allerdings mit einer dreijährigen Unterbrechung.
Die beiden Jungen waren sieben und acht Jahre alt. Im Raum stehen Vorwürfe des sexuellen und schweren sexuellen Missbrauchs. Allein an dem Siebenjährigen soll er sich 131 Mal vergangen haben.
Unzählige Tatvorwürfe
Nach seiner Tätigkeit als Betreuer soll es der Staatsanwaltschaft zufolge zu weiteren Missbrauchsfällen gekommen sein. Zwischen Januar 2014 und Februar 2017 soll der Tatverdächtige sich demnach in 480 Fällen des sexuellen Missbrauchs, sowie in 69 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben – auch Körperverletzung und in einem Fall Vergewaltigung werden ihm vorgeworfen. Dabei geht es um einen damals Elfjährigen, den der Mann in seiner Freizeit kennengelernt haben soll.
Im August 2017 und 2018 soll es zu zwei weiteren Übergriffen gekommen sein: Der Tatverdächtige soll versucht haben, einen damals Achtjährigen zu vergewaltigen und ihn schwer missbraucht haben. Er ist ihm den Angaben zufolge auf einem Campingplatz südlich von Freiburg begegnet.
Anklage basiert hauptsächlich auf Zeugenaussagen
Die große Zahl der Tatvorwürfe basiere auf den Aussagen der mutmaßlichen Opfer, sagte die Erste Staatsanwältin Martina Wilke dem SÜDKURIER. Wenn es um große Zahlen gehe, handle es sich immer um Hochrechnungen oder Schätzungen, sagte sie. In diesem Fall „haben die Kinder alle umfangreiche Aussagen“ gemacht.

Der Tatverdächtige selbst schweigt bei den Befragungen der Ermittler bislang zu den Vorwürfen, bestätigte Wilke weiter. Einem Sachverständigen habe sich der 41-Jährige aber anvertraut und sich „teilweise eingelassen“ und „einige Taten eingeräumt“. Der Großteil der Anklage basiert Wilke zufolge aber auf den Zeugenaussagen.
Die Ermittlungen angestoßen hatte ein heute 17-Jähriger, der sich als mutmaßliches Opfer seiner Mutter anvertraut hatte und daraufhin Anzeige erstattete.
Verhandlungstermin noch offen
Voraussichtlich im September wird das Landgericht über die Zulassung zur Hauptverhandlung entscheiden, wie ein Sprecher des Gerichts bestätigte. Tatsächlich könnte aber die derzeit laufende Verhandlung um die Freiburger Gruppenvergewaltigung, für die Termine bis zum 19. Dezember festgesetzt sind, einem schnellen Prozessbeginn im Wege stehen: „Ob eine Verhandlung parallel zum derzeit laufenden Verfahren erfolgen wird oder kann, lässt sich noch nicht abschätzen.“
Weitere Opfer möglich
Die Staatsanwaltschaft schließt indes nicht aus, dass es weitere Opfer geben könnte. „Jeder Geschädigte, der sich offenbaren will, kann das jederzeit tun“, betonte Wilke. Jedem weiteren Verdachtsfall werde nachgegangen. Derzeit liegen der Strafverfolgungsbehörde aber keine Beweise für mögliche weiterere Missbrauchsfälle durch den Tatverdächtigen vor.
Die Ermittlungen gegen einen weiteren Mann, der als Betreuer der Pfadfindergruppe tätig gewesen war und sich an einem Mädchen vergangen haben soll, laufen weiter. Zum Stand der Ermittlungen wollte sich die Staatsanwaltschaft aber nicht äußern.
Mit dem ebenfalls als Christian L. bekannt gewordenen Täter des ersten Staufener Missbrauchsfalls um einen damals neunjährigen Jungen haben die neuen Vorwürfe nichts zu tun.