Am Morgen ist Lisa Maier mit dem Boot auf den Seerhein gefahren. Dort hat sie kontrolliert, wie viele Nester am Ufer des Wollmatinger Rieds übrig geblieben sind. Und Maier bringt schlechte Nachrichten mit: „Die meisten Nester sind dem Hochwasser zum Opfer gefallen“, sagt Maier. Vor zwei Wochen habe sie noch viele Nester im Schilf erkennen können, am Mittwochmorgen seien es keine zehn Stück mehr gewesen.

Der Grund: Das Hochwasser hat den Bodenseepegel steigen lassen. Am Mittwoch beträgt der Pegel 4,92 Meter, zuletzt erreichte der See vor acht Jahren die 4,90-Meter-Marke. Dadurch wurden viele Flächen überschwemmt, die schon lange nicht mehr vom Hochwasser betroffen waren.

Nester der Vögel wurden überspült

Das hat Folgen für die Tiere, die im und am See leben, sagt Lisa Maier, die beim Naturschutzbund (Nabu) Bodenseezentrum arbeitet. Das Wollmatinger Ried ist teilweise überschwemmt, man könne derzeit nicht bis an den Seerhein laufen. „Dort steht das Wasser kniehoch“, sagt Lisa Maier.

Lisa Maier bei der Vogelbeobachtung im vergangenen Sommer. Sie arbeitet beim Naturschutzbund Bodenseezentrum.
Lisa Maier bei der Vogelbeobachtung im vergangenen Sommer. Sie arbeitet beim Naturschutzbund Bodenseezentrum. | Bild: Zoch, Thomas

Schwäne und Enten bauen feste Nester in seichtem Wasser. Ihre Nester wurden überspült, die Eier sind verloren, sagt Maier. Vogelarten wie der Haubentaucher oder das Blässhuhn bauen hingegen Nester, die frei im Wasser schwimmen. Dadurch können sie sich besser an Pegelschwankungen anpassen. „Aber der starke Anstieg der vergangenen Tage war auch für diese Vögel zu viel“, sagt Lisa Maier. Zwar seien einige Jungtiere bereits geschlüpft, die Brut der meisten Tiere sei aber verloren.

Bessere Bedingungen für zweite Brut

Die gute Nachricht: Sowohl Schwäne als auch Enten, Haubentaucher und Blässhühner haben noch ausreichend Zeit, um neue Eier zu legen. Das nennt man dann Nachgelege. „Wir haben heute Morgen gesehen, dass einige Tiere bereits mit dem Balzen begonnen haben und neue Nester bauen“, sagt Maier.

Und das Hochwasser bringt auch Positives: Durch das dichte Schilf, in dem sich die Schwimmnester nun befinden, sind die Wasservögel besser geschützt. „Jetzt herrschen perfekte Bedingungen. Im dichten Schilf werden die Vögel weniger gesehen von Krähen und sind für Füchse kaum erreichbar“, erklärt Lisa Maier.

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Für eine weitere Vogelart ist das Hochwasser hilfreich. Die Kolbenente findet am Bodensee einen der wenigen Mauserplätze in deutschen Binnengewässern. Vor zwei Jahren war der See so trocken, dass kaum eine Kolbenente den Sommer am See verbrachte. „Die Kolbenenten müssen sich bei Niedrigwasser die Rheinrinne mit Motorbooten teilen“, sagt Lisa Maier. In diesem Jahr biete das Hochwasser den Tieren genügend Platz in Ufernähe, um in Ruhe das Gefieder zu wechseln.

Eine Kolbenente schwimmt durch den Bodensee. Der See ist ein wichtiger Mauserplatz für diese Vogelart.
Eine Kolbenente schwimmt durch den Bodensee. Der See ist ein wichtiger Mauserplatz für diese Vogelart. | Bild: NABU/Kalle Nibbenhagen

Hochwasser kann fremde Arten verdrängen

Die Pflanzenwelt am Bodensee ist vom Hochwasser wenig betroffen. Martin Wessels arbeitet im Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in Langenargen. „Die Pflanzen können für eine begrenzte Zeit hohe Wasserstände überdauern“, so Wessels.

Das gelte insbesondere für typische Röhrichtpflanzen, aber auch für seltene Arten wie das Wanzen-Knabenkraut oder die Kugelblume. Einige dieser Pflanzen haben Eigenschaften, durch die sie Hochwasserereignisse gut überstehen können. Dazu zählt etwa ein starkes Wurzelsystem, das im feuchten Boden Halt gibt.

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„Einige der besonders gut angepassten Pflanzen profitieren sogar von den hohen Wasserständen, wenn ein Hochwasser standortfremde Pflanzenbestände zurückdrängt“, sagt Wessels. Denn in trockenen Episoden können sich Arten ausbreiten, die in Ufernähe eigentlich gar nicht vorkommen sollten.

Das bestätigt auch Lisa Maier vom Nabu-Bodenseezentrum. Bei Niedrigwasser würden im Wollmatinger Ried typische Feld-, Wald- und Wiesenpflanzen wachsen, die dort eigentlich nicht hingehören.

Martin Wessels arbeitet im Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in Langenargen.
Martin Wessels arbeitet im Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in Langenargen. | Bild: Martin Wessels

Schlamm und Treibholz beeinträchtigt den See nicht

Die großen Mengen schmutziges Wasser, die gerade über die Zuflüsse in den Bodensee gelangen, sind für das Ökosystem kein Problem, sagt Martin Wessels. Sogenannte Schwebstoffe würden recht schnell zu Boden sinken und gar nicht erst durch den See Richtung Konstanzer Trichter gelangen. Das sei ein natürlicher Prozess.

In Langenargen wurde jedoch in einzelnen Bereichen ein vorübergehendes Badeverbot erlassen: Die Gemeinde erklärte, aufgrund der Hochwasserereignisse der vergangenen Tage sei anzunehmen, dass die Belastung durch Keime erheblich gestiegen sei.

Die großen Mengen Treibholz werden laut Wessels üblicherweise aus der Uferzone entnommen – schon allein deshalb, weil sie die Schifffahrt gefährden.

Durch das Hochwasser war der Bodensee in den vergangenen Tagen außerdem einige Grad kälter als üblich. Aber auch das ist laut Martin Wessels unbedenklich: „Kurzfristige Temperaturschwankungen kommen recht häufig vor und bedeuten im Gegensatz zur langfristigen Erwärmung keine Gefährdung für den Bodensee.“