Die baden-württembergische Landesregierung hat bei der Bildung einige Reformen auf den Weg gebracht: die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, verstärkte Sprachförderung in der Grundschule, ein Jahr Null für Kinder, die noch nicht schulreif sind, eine verbindliche Grundschulempfehlung fürs Gymnasium. Eines aber geht dabei aus Karin Broszats Sicht völlig unter: die Realschulen.
Die verbindliche Grundschulempfehlung soll nämlich ab dem kommenden Schuljahr 2025/26 nur fürs Gymnasium gelten. Ob Kinder nach der Grundschule auf Werkreal-, Haupt-, Real- oder Gemeinschaftsschule gehen, soll weiterhin letztlich in der Hand der Eltern liegen. Die Befürchtung des Realschullehrerverbands: Wer nicht aufs Gymnasium kommt, geht dann automatisch auf die Realschule.
Wenn es nach Karin Broszat geht, muss die Landesregierung da allerdings nochmal ran. Die Vorsitzende des Realschullehrerverbands aus Meersburg hat zusammen mit ihrem Verband und Michael Mittelstaedt, ehemaliger Vorsitzender des Landeselternbeirats und Gründer des Landesbildungsrats, den Volksantrag „Nicht ohne unsere Realschulen“ auf den Weg gebracht.
„Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Gesetzestext verfasst“, erzählt Broszat. Mit der Hilfe einiger Abgeordneter und der Initiative, die die Rückkehr zu G9 angestoßen hat.
Kultusministerium wundert sich
In Kraft treten soll das Gesetz über die Schulreformen im August 2025, die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Für das Kultusministerium macht die Grundschulempfehlung für Realschulen keinen Sinn, da dort Hauptschul- und Realschulabschluss möglichen seien. Man sei ratlos angesichts der „Aufregung“ des Realschullehrerverbands, sagte ein Sprecher.

Dass es nicht ganz einfach ist, in Baden-Württemberg die nötigen Stimmen zusammen zu bekommen, hat zuletzt das Volksbegehren „Landtag verkleinern“ vom Privatmann Dieter Distler gezeigt. Distler brachte zwar mehr als 100.000 Unterschriften zusammen.
Das war aber noch weit unter der erforderlichen Menge von 770.000, die das Volksbegehren erfordert. Broszat und ihre Mitstreiter haben es da etwas einfacher: Damit ein Volksantrag im Landtag abgestimmt wird, braucht es nur 40.000 Stimmen. Bis November haben sie Zeit zu sammeln.
Broszat klappert die Rathäuser ab
Die Hürden dafür versucht der Realschullehrerverband möglichst niedrig zu halten. Abstimmen muss man schriftlich mit einem Formblatt, das dann im Rathaus am Wohnort abzugeben ist. „Man kann es selbst aufs Rathaus bringen, kann es uns aber auch schicken“, sagt Broszat. Sie fahre dann selbst in der Region die Rathäuser ab.
Die rechtlichen Vorschriften sehen vor, dass die Unterzeichner den Gesetzesentwurf einsehen können – dafür sorgt der auf dem Formblatt angebrachte QR-Code. „Insgesamt ist das eine sehr anstrengende Angelegenheit“, sagt Broszat. Aber der rege Zuspruch, dem sie auf den Straßen begegne, entschädigt sie dafür.
Broszat, die inzwischen als Personalrätin freigestellt ist, war bis Sommer 2024 selbst Rektorin der Realschule Überlingen. Die Pädagogin und promovierte Sozialwissenschaftlerin ist als harte Kritikerin des grün geführten Kultusministeriums bekannt.
Hinter dem neuen Schulgesetz wittert sie einen Angriff auf die Dreigliedrigkeit des baden-württembergischen Schulsystems. „Im Windschatten von G9 wird die Grundlage dafür gelegt, dass sich die Schularten nicht mehr unterscheiden.“ Klammheimlich steuere Grün-Schwarz auf die Zweigliedrigkeit zu.
Ende der Dreigliedrigkeit des Schulsystems?
Dass die Landesregierung die Werkrealschule – ehemals Hauptschule – weghaben wolle, dafür sieht Broszat ein „Konglomerat an Maßnahmen“ am Werk. Die aktuelle Grundschulempfehlung sieht für Werkreal-, Realschulen und Sonderpädagogische Bildungszentren das G-Niveau vor. G steht für „grundlegend“ und führt eigentlich zum Hauptschulabschluss. Nach der Orientierungsphase in Klasse 5 sollen laut Kultusministerium aber nur die Kinder auf der Realschule unterrichtet werden, die das Niveau M, das mittlere Niveau, erreichen.
Broszat befürchtet dennoch von nun an „absolute Beliebigkeit“. „Damit macht man die mittlere Bildung kaputt, das Niveau geht weiter runter.“ Dabei haben die Bildungstests der vergangenen Jahre Baden-Württembergs Schülern bereits mehrfach sinkende Fähigkeiten in Lesen, Schreiben, aber vor allem in Mathematik bescheinigt.
Große Defizite im Lesen, Schreiben und Rechnen
Die VERA-Vergleichsarbeiten in den Klassenstufen 3 und 8 aus dem vergangenen Jahr zeigen deutliche Sprach- und Rechendefizite bei vielen Schülern und Schülerinnen. Bei den Drittklässlern verfehlten 29 Prozent die Mindeststandards in Mathematik, 24 Prozent beim Lesen und 28 Prozent beim Zuhören.
Bei den Achtklässlern verfehlten 32 Prozent die Mindestanforderungen in Mathe und 22 Prozent in Deutsch. Man müsse sich ehrlich machen, fordert Broszat. Aus ihrer Sicht hat die schleichende Aufweichung des dreigliedrigen Schulsystems den Niedergang befördert.
Tatsächlich sieht die Schulreform der Landesregierung vor, dass der Werkrealschulabschluss in Klasse 10 bis 2029/30 auslaufen soll. Außerdem setzt das Land auf Kooperationen zwischen Werkreal- und Realschulen. Anders als der Realschullehrerverband sieht der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in der Reform eine Bestandsgarantie für die wenigen verbliebenen Haupt/Werkrealschulen, deren Zahl im Laufe der vergangenen zehn Jahre nach den Angaben des Kultusministeriums von 1200 auf 224 zurückging. Broszat hingegen befürchtet: „Die wird es bald nicht mehr geben.“
Sobald die 40.000 Stimmen beisammen sind, wollen die Initiatoren ihren Gesetzesantrag in den Landtag geben. Broszat hofft auf eine Entscheidung „in der ersten Wahlkampfphase“. Gewählt wird im März 2026.