Dass der 50-jährige Tatverdächtige im Mai 2020 seine Ex-Freundin und Mutter von drei gemeinsamen Kindern mit sieben wuchtigen Schlägen tötete – daran hatte sogar der Rechtsanwalt des Angeklagten, Hartung Schreiber, keinen Zweifel.

Bei der Urteilsverkündung am Donnerstag, 11 Uhr, im Konstanzer Landgericht, ging es nur noch um die Frage, ob der Mann wegen Totschlags oder Mordes verurteilt wird.

Das überraschende Ergebnis: Schöffen und Richter entschieden sich für Totschlag, obwohl die Indizienlage gegen den Verurteilten erdrückend schien. Der 50-Jährige muss 13 Jahre hinter Gitter und der Familie des Opfers ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro bezahlen.

Gericht folgt dem Verteidiger


Damit folgte das Gericht der Linie des Verteidigers. Er plädierte auf eine Haftstrafe von 10 Jahren. Die Nebenklage, also die Rechtsanwälte der hinterbliebenen Mutter, forderten lebenslänglich wegen Mordes – genau wie die Staatsanwaltschaft.

Für die Staatsanwaltschaft arbeitete in diesem Fall Egon Kiefer. Er argumentierte in seinem Plädoyer schon am Dienstag, dass der Angeklagte im Mai 2020 aus niedrigen Beweggründen handelte. Eine Rechtsmedizinerin kam nach der Obduktion zu dem Ergebnis, dass der Täter mit sieben „Hassschlägen“ auf den Hinterkopf des Opfers einprügelte.

„In keinster Weise und unter keinem Gesichtspunkt menschlich nachvollziehbar“

Bei der Urteilsfindung spielte das für die Staatsanwaltschaft aber nur eine untergeordnete Rolle. Sie ging auf diesen Punkt nicht ein. Niedrige Beweggründe lägen aus Sicht von Egon Kiefer aber trotzdem deshalb vor, weil es „in keinster Weise und unter keinem Gesichtspunkt menschlich nachvollziehbar ist“, warum der Angeklagte die Tat verübte.

Staatsanwalt, Egon Kiefer, blättert kurz vor Verhandlungsbeginn durch die Ermittlungsakte.
Staatsanwalt, Egon Kiefer, blättert kurz vor Verhandlungsbeginn durch die Ermittlungsakte. | Bild: Küster, Sebastian

Das sah die Strafkammer am Donnerstag anders. Zwar sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat, „aber was hinter der Wohnungstür wirklich geschah, können wir nicht eindeutig sagen. Es sind zu viele Fragen offen“, so der zuständige Richter Arno Hornstein während der Urteilsverkündung.

Kein eindeutiges Motiv?

Obwohl der verurteilte Straftäter schon in der Vergangenheit gegenüber zahlreichen Zeugen angab, dass er seine Ex-Freundin umbringen will und vorbestraft ist, sahen Richter und Schöffen kein eindeutiges Motiv. „Wenn niedrige Beweggründe in Betracht kommen, muss das Motiv klar sein. Und das kann uns nur der Angeklagte selbst liefern. Er schweigt jedoch und leugnet die Tat bis heute“, so Hornstein.

Entscheidend sei in diesem Indizienprozess vor allem, welches Motiv – Juristen nennen es – handlungsleitend, gewesen ist. Ja, es gebe einige Motive, die in Betracht kämen, „warum er aber in diesem konkreten Moment den Entschluss fasste die Frau zu töten, können wir nur vermuten“, so Hornstein. „Wir wissen es nicht mit Gewissheit.“

Hämatome an der Hand und am Bauch werfen Fragen auf

Und es gibt noch weitere offenen Fragen, die die Ermittler in den vergangenen acht Monaten nicht eindeutig klären konnten. Zum Beispiel: Wusste der 50-Jährige, dass seine Ex-Freundin am Morgen des 28. Mai in die gemeinsame Wohnung kommt? Hat er die Tat minutiös geplant? Oder kam es zum Streit in den vier Wänden? Wurde das Opfer vielleicht sogar handgreiflich? Rühren daher die Hämatome an der Hand oder am Bauch? Dass sich die Dreifachmutter die Verletzungen während oder kurz vor der Tat zugezogen hatte, wurde jedenfalls von der Rechtsmedizin eindeutig bestätigt.

Die Verhandlung gegen den 50-Jährigen beginnt. Der Saal steht.
Die Verhandlung gegen den 50-Jährigen beginnt. Der Saal steht. | Bild: Küster, Sebastian

Und es gibt weitere Unklarheiten. Zum Beispiel bei der Tatwaffe. Die Ermittler sind sich sicher, dass das Opfer mit einem gedrechselten Tischbein erschlagen wurde. Der 50-Jährige soll ein Bein eines im Keller gelagerten Tisches abgeschraubt und ein weiteres mit Gewalt abgerissen haben. Eines soll er auf dem Balkon und das andere hinter einem Schrank versteckt haben, um seine Ex-Freundin damit zu erschlagen, so die Annahme der Staatsanwaltschaft.

„Aber wissen wir wirklich, warum der Angeklagte die Tischbeine in die Wohnung mitnahm?“, fragte der Richter. Nicht einmal, ob das Holzstück wirklich als Tatwaffe verwendet wurde, sei eindeutig geklärt. Es gebe zwar viele Hinweise, aber bewiesen sei es nicht.

Fasern am Tischbein legen Tatwaffe nahe

Dazu muss man wissen, dass die Experten des Landeskriminalamts Fasern des T-Shirts des Angeklagten und Spuren des Opfers am Tischbein sicherstellten. „Es ist wahrscheinlich, dass es die Tatwaffe ist. Aber wir wissen auch das nicht mit Gewissheit“, sagt Hornstein. Allein weil die Polizei kein alternatives Tatmittel gefunden hätte, hieße das nicht automatisch, dass kein anderes in Betracht käme.

Insgesamt gibt es für den Richter und die Schöffen sehr viele Indizien, die gegen den Angeklagten sprechen. Aber eben auch viele offene Fragen. Das Ergebnis: in dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten.

Rechtsanwalt Hartung Schreiber im Gespräch mit den Nebenklägern.
Rechtsanwalt Hartung Schreiber im Gespräch mit den Nebenklägern. | Bild: Küster, Sebastian

Wie schon an den vergangenen Prozesstagen, nahm der Angeklagte auch am Donnerstag alle Aspekte, alle Argumente, alle Angriffe regungslos hin. Seine Augen waren nur selten geöffnet. Teilweise machte er den Eindruck, als wäre er abwesend, beinahe eingeschlafen. Als der Richter ihn am ersten Prozesstag an seine Rechte erinnerte, musste er mehrmals nachfragen, bis der 50-Jährige erschrocken aufzuckte und somit überhaupt reagierte.

Am Ende kommen doch die Tränen

Doch als alle Prozessbeteiligten und Zuschauer nach der Urteilsverkündung am Donnerstag den Saal verließen, kamen beim 50-Jährigen plötzlich doch noch Emotionen hoch. Tränen flossen über seine Wange und verschwanden hinter der blauen OP-Maske, während er von den Justizbeamten in Handschellen und Fußketten abgeführt wurde.

Ob er es bereut, sich bei den Hinterbliebenen nicht entschuldigt zu haben? Ob er es bereut nicht gestanden zu haben? Oder wurde ihm womöglich erst jetzt der Ernst der Lage bewusst? Dieses Geheimnis wird er mit ins Gefängnis nehmen. Noch ist das Urteil jedoch nicht rechtskräftig, eine Woche haben die Verfahrensbeteiligten Zeit um das Urteil anzufechten. Staatsanwalt Egon Kiefer wird nach Informationen des SÜDKURIER am Freitag eine Entscheidung treffen.