Durch ein vergittertes Fenster ist ein springender Tischtennisball vom Gefängnishof aus bis in den Zellentrakt hinauf zu hören. Ansonsten ist es in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Konstanz unerwartet ruhig. Die Hälfte der rund 80 Häftlinge ist nach dem täglich einstündigen Hofgang an der frischen Luft wieder bei der Arbeit in den beiden Werkstätten, als Putzkolonne oder in der Küche. Die beschäftigungslose Hälfte schaut überwiegend in ihren Zellen fern.

Sie alle sitzen Haftstrafen von in der Regel bis zu 15 Monaten in bester Lage im Stadtteil Paradies ab. Doch paradiesisch ist das Leben im Konstanzer Gefängnis nicht. Ein Blick durch die vergitterten Milchglasfenster auf die nahe Altstadt ist nicht möglich. „Das ist der alten Bausubstanz geschuldet, in modernen Gefängnissen können die Insassen aus dem Fenster sehen“, sagt Ellen Albeck.

Die Juristin war 34 Jahre jung, als sie 2007 die Leitung der Konstanzer JVA und ihrer Außenstelle in Singen mit rund 140 Haftplätzen übernommen hat. Später kam noch die eigenständige JVA Waldshut-Tiengen mit etwa 50 Haftplätzen hinzu, die Albeck seither zusätzlich führt.
Baubeginn im Jahr 1873
Die ältesten Gemäuer des Konstanzer Gefängnisses werden im kommenden Jahr 150 Jahre alt. Bis auf einen modernen Anbau für Verwaltung und Torwache sowie einige Renovierungen und Erweiterungen scheint die Zeit seit der Grundsteinlegung im Jahr 1873 weitgehend stehen geblieben zu sein.

Im historischen Hauptgebäude mit dem Zellentrakt trennt in jedem der drei Stockwerke ein langer Mittelgang die zahlreichen Zellen mit ihren grünen Eisentüren.
Die Standard-Einzelzelle in Konstanz ist sieben Quadratmeter klein und spärlich eingerichtet: Auf dem löchrigen Holzdielenboden steht ein angerostetes Metallbett mit einer wenige Zentimeter dünnen Gummimatratze und blau-weiß-karierter Bettwäsche darauf – wie das in allen Haftanstalten im Südwesten der Fall ist.

„An der Bettwäsche kann man erkennen, ob ein Krimi wirklich in einem Gefängnis in Baden-Württemberg gedreht wurde“, sagt JVA-Leiterin Albeck bei einem Rundgang.
Doppelbelegung „nicht menschengerecht“
Die Zellentoilette befindet sich gleich rechts neben der schweren Eisentür und ist nur durch ein provisorisches Sichtgestell vom Gang abgetrennt. Das Waschbecken hat einen kleinen Spiegel und rundherum weiße Fliesen.
Vom Jahrzehnte alten Kleiderschrank hängt eine Jeans herunter, am Tischchen samt Stuhl stehen zwei Joghurts, eine Packung Saft und ein Apfel. Der einzige Luxus: An der Wand ist ein winziger Fernseher angeschraubt, der aber kostenpflichtig gemietet werden muss.
Bis vor etwa zehn Jahren stand in einer solchen sieben Quadratmeter kleinen Einzelzelle ein Stockbett und konnte zwei Häftlinge beherbergen: „Das machen wir heute nicht mehr, weil es nicht menschengerecht und verfassungskonform ist“, sagt Albeck.
Ein JVA-Beamter für Dutzende Häftlinge zuständig
Auf dem Regal in der Zelle steht ein Wasserkocher. „In so einen Wasserkocher hat ein Häftling in der JVA Rottenburg vor einem Jahr Öl eingefüllt und einem Justizvollzugsbeamten die kochende Flüssigkeit ins Gesicht geschüttet. Seither ist er entstellt“, erzählt Alexander Schmid.

Der Bodman-Ludwigshafener war mehr als zwei Jahrzehnte JVA-Beamter im Konstanzer Gefängnis und ist seit 2010 Vorsitzender des Landesverbands der Strafvollzugsbediensteten, also oberster Personalvertreter in Baden-Württemberg.
Er kritisiert, dass ein einziger Justizvollzugsbeamter für eine ganze Abteilung mit rund 40 bis 60 Häftlingen alleine zuständig sei. „Eine Polizeistreife würde nie mit einem einzigen Polizisten rumfahren, die sind immer zu zweit unterwegs. Erwiesenermaßen gibt es im Justizvollzug problematische Leute“, so Schmid. Der Angreifer aus Rottenburg erhielt für seine Tat sechs Jahre und zwei Monate Haft.

Etwa 70 bis 80 Prozent der Inhaftierten in Baden-Württemberg hätten laut Schmid psychische Probleme. „Deutlich über 90 Prozent der Gefangenen sind oder waren suchtabhängig“, ergänzt Albeck. Besonders die Abhängigkeit von synthetischen Drogen, dazu gehören etwa Ecstasy und Speed, würde zu einer veränderten Persönlichkeit führen. Die psychische Belastung für Häftlinge sei hoch: „Man unterschätzt das Gefühl, wenn man als Gefangener an der Tür keine Klinge mehr hat“, sagt Schmid.
Überbelegung trifft auf Personalnot
Stimmt das Gerücht, dass die JVA Konstanz heillos überfüllt ist? „Heillos nicht“, sagt Albeck. Aber es gebe eine statistisch nachvollziehbare Überbelegung. Laut dem stellvertretenden Vollzugsdienstleiter Rinaldo Caterino gab es Zeiten, in denen die Auslastung im Konstanzer Gefängnis bei 130 bis 140 Prozent lag. „Derzeit sind es 110 Prozent“, sagt Caterino. Darüber sei es weder für die Mitarbeiter noch Gefangene ein erträglicher Zustand.

Denn gleichzeitig mit der konstanten Überbelegung an Häftlingen gebe es auch einen eklatanten Personalmangel im Justizvollzug. „Baden-Württemberg hat im Bundesvergleich die schlechteste Personalausstattung“, sagt Schmid. Bei landesweit 4000 Stellen im Justizvollzug, darunter 2800 uniformierte JVA-Beamte, würden fast 500 Stellen fehlen. „Ziel muss sein, dass wir vom letzten Platz ins Mittelfeld kommt“, so der Personalvertreter.
JVA-Beamte aus Konstanz wandern in Schweiz ab
Auch die Konstanzer Gefängnisleiterin wünscht sich, dass die Zahl der JVA-Beamten wenigstens auf den Bundesschnitt angehoben wird. „Damit Baden-Württemberg nicht immer Schlusslicht ist“, sagt Albeck. Zu lange sei es mit weniger Personal gut gegangen. „Die Qualität war hoch, es hat keine Vorfälle gegeben, die die Politik interessieren“, so die 49-Jährige.

Als Rinaldo Caterino als JVA-Beamter begann, habe es noch 20 Bewerbungen für wenige Stellen gegeben. „Heute hätten wir Stellen frei, können sie aber nicht besetzten. Wir sind nicht konkurrenzfähig im Vergleich zur Privatwirtschaft“, sagt der 57-Jährige. Dort gebe es laut Schmid Erfolgsprämien, Dienstautos und Dienstwohnungen. Hinzu komme der Faktor Schweiz: „Bei uns wandern fertig ausgebildete JVA-Beamte über die Grenze ab, weil sie dort deutlich mehr verdienen. Das macht uns das Leben schwer“, sagt Schmid.
Caterino wünscht sich deshalb eine bessere Bezahlung. Das Einstiegsgehalt für JVA-Beamte liege derzeit bei 2400 Euro brutto für eine 41-Stunden-Woche, was nur etwa 1630 Euro netto ausmachen würde. Urlaubs- und Weihnachtsgeld gebe es nicht, die Zulagen seien niedrig und etwa in Bayern viel höher.
Haftstrafen wegen Corona nicht vollstreckt
Die knappe Personaldecke sowie Übergriffe von psychisch auffälligen Gefangenen schlagen sich laut Schmid auch auf die Gesundheit der JVA-Beamten nieder, wie auch die seit dem Jahr 2014 stark steigende Zahl an Krankheitstagen zeigt, die dem SÜDKURIER vorliegt.

Vor Corona habe es laut dem Personalvertreter 7500 Häftlinge in Baden-Württemberg gegeben. „Wir waren dramatisch überbelegt“, sagt er. Wegen der strengen Hygiene- und Schutzkonzepte seien Freiheitsstrafen – dort wo es gesellschaftsverträglich war – nicht vollstreckt, sondern aufgeschoben worden, wie auch Albeck bestätigt. Doch die Zahl der Inhaftierten sei trotz der Maßnahmen konstant hoch geblieben. „Wir können der Polizei schließlich nicht sagen, nehmt den nicht mit, weil die JVAs sind voll“, so Schmid.
„Angstvoll, was an Belegung auf uns zukommt“
Nun werden jene Verurteilten, die zweieinhalb Jahre lang pandemiebedingten Aufschub genossen haben, zum Haftantritt geladen. „Wir sind ehrlich gesagt etwas angstvoll, was an Belegung auf uns zu kommt“, sagt die Gefängnischefin.

Dann werden in Einzel- und Doppelzellen zusätzliche Betten hereingestellt, was dem Justizministerium gemeldet werden muss. „Das geschieht häufig und dauerhaft“, sagt der Personalvertreter. Mehrere 100 Haftplätze in Baden-Württemberg würden nicht den engeren rechtlichen Vorgaben entsprechen.
Gefängnisneubau wie Suche nach Atommüll-Endlager
Anbauten in Leichtbauweise sollen den vorhandenen Überbelegungsdruck in den Gefängnissen vorerst lindern: In den JVAs Ravensburg, Schwäbisch Hall und Heimsheim werden sogenannte Modulbauten für jeweils 120 Gefangene angebaut. Die dadurch entstehenden 360 Haftplätze sollen bereits nächstes Jahr zur Verfügung stehen. „Es sieht gut aus, dass das klappt. In Ravensburg steht schon der Rohbau“, sagt der 60-Jährige.

Ein komplett neues, modernes Gefängnis mit 500 Haftplätzen soll in Rottweil entstehen. „Der Neubau einer JVA ist ähnlich wie die Standortsuche für ein Atommüll-Endlager. Da gibt es ganz viele, die sagen: ‚Nicht bei uns!‘“, schildert der Personalvertreter mit einem Schmunzeln.
Kleinere Gefängnisse schließen
Zehn Jahre habe die Standortsuche gedauert. Nun sei ein Grundstück in Rottweil gefunden und die Entwürfe stehen. „Wenn der Landtag sagt, wir nehmen das nötige Geld in die Hand, dann wird das kommen“, sagt Schmid. Rund 270 bis 300 Millionen Euro plus Kostensteigerungen koste das neue Gefängnis. Eröffnen soll es nach zahlreichen Verschiebungen nun frühestens 2028.
Gleichzeitig sollen einige kleinere, komplett veraltete Haftanstalten mit nur 30 bis 40 Haftplätzen schließen, darunter auch das Gefängnis in Villingen-Schwenningen. Unterm Strich würden dadurch etwa 100 bis 200 Haftplätze wegfallen und dank des geplanten Neubaus in Rottweil etwa 300 bis 400 zusätzliche übrig bleiben. „Das brauchen wir auch, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen“, so Alexander Schmid.