Rickenbach ist weit mehr als ein unauffälliger Ort im südlichen Hotzenwald. In der aufgeregten Diskussion um Impfgerechtigkeit und Impftermine hat der Ort inzwischen Symbolkraft: Dort war eines der frühesten mobilen Teams im Lande unterwegs, um die über 80-Jährigen in ihrem Wohnort zu spritzen. Darüber berichtete der SÜDKURIER mehrfach, die Aktion wurde allgemein gelobt.
Das Sozialministerium hat es entschieden
Doch hat das Modell Rickenbach jetzt ein politisches Nachspiel, das bis nach Stuttgart reicht, weil das Sozialministerium dort letztlich die Ursache für den viel beachteten Vorstoß ist. Vom Land und vom Sozialressort war bereits im letzten Jahr beschlossen worden, dass alle Landkreise dieselbe Menge an Impfstoff bekommen sollten – unabhängig von ihrer Einwohnerzahl. Nur die fünf Stadtkreise mit mehr als 400.000 Einwohner sollten zusätzliche Quanten erhalten.

Für die ländlich geprägten Bezirke im Südwesten bedeutet das eine Verzerrung: Dünn besiedelten Kreisen wie Sigmaringen (mit 130.300 Einwohnern) oder Waldshut (168.850) wird dieselbe Menge wie dem Landkreis Konstanz zugewiesen, obwohl dort doppelt so viele Menschen wohnen (282.000). Die Logik erschließt sich mindestens dem Laien nicht.
Der Landrat meldet sich in Stuttgart
Auch der Konstanzer Landrat hat alle Mühe, das Vorgehen des Sozialministeriums zu verstehen. „Am Anfang fand ich das alles richtig“, sagt Zeno Danner dem SÜDKURIER. Die einheitliche Lieferung, dessen Hülle einem Pizzakarton ähnelt, wurde allen zugeteilt, damit die Impfaktion überhaupt einmal in Gang kommt. In Konstanz war man stolz, dass die ersten Kandidaten noch im Dezember im Impfzentrum in Singen empfangen werden durften.
Inzwischen sieht Danner die Sache kritischer, er ist ernüchtert. Er hat nach Stuttgart geschrieben und bittet um eine mengenmäßige Zuteilung, die der Zahl der Einwohner entspricht und nicht eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip. Bisher hat er keine Antwort erhalten, berichtet er im Gespräch.

Der Kreis Konstanz liegt mit dem Impfen weit hinten
Landrat Danner hat für die gleichmacherische Logistik kein Verständnis. In seinem Kreis wohnen besonders viele Menschen, die über 80 Jahre alt sind – auch weil sie sich dazu entschlossen haben, ihren Lebensabend am Bodensee zu verbringen. Bisher sind nicht alle Senioren, die davon in Heimen leben, zum ersten Mal geimpft – anders als in Waldshut. Bis 9. März wollen die Konstanzer Teams mit der ersten Impfung in Heimen durch sein. Danner nennt aktuell 7297 Erstimpfungen.
Damit wurden 2,6 Prozent der Bewohner im Landkreis bisher geimpft. Zum Vergleich: Der Landesdurchschnitt liegt bei 4,3 Prozent. Konstanz liegt deutlich hinten, da zu wenig Stoff vorhanden ist aufgrund eines einmal festgelegten Schlüssels, der sich inzwischen als fehlerhaft erweist.
Ein Hausarzt ergreift die Initiative
Davon profitiert Rickenbach indirekt. 100 Impfdosen aus dem Kreiskontingent konnten dort mobil verabreicht werden, weil alle Altersheime sowie vergleichbare Einrichtungen im Kreis bereits alle erstgeimpft sind. Und mit dem heutigen Freitagabend werden alle Bewohner auch die zweite Impfung empfangen haben. Also sind einige Ampullen übrig. Der örtliche Arzt Olaf Böttcher nahm den Faden auf und stellte die lokale Aktion auf die Beine. Die Betroffenen vor Ort danken es ihm.
Der Südschwarzwald-Kreis mit seinen teils schwierigen Verkehrsbedingungen ist froh über den Vorstoß Böttchers und seiner Helfer. „Da beschweren wir uns nicht“, sagt die Sprecherin in Waldshut-Tiengen. In Rickenbach habe man nur die guten Fortschritte im Kreisimpfzentrum genutzt und die dort übrigen Dosen injiziert.
„Das funktioniert auch logistisch nicht“
Das Sozialministerium sieht das Gefälle nicht als dramatisch an. Das geht aus der schriftlichen Antwort der Behörde hervor, die nach eigenen Angaben mit Anfragen in diesen Tagen überschüttet wird. In der Antwort heißt es: „Jedes Kreisimpfzentrum bekommt derzeit pro Woche eine Faltschachtel mit 1170 Impfdosen von Biontech/Pfizer. Solche kleinen Mengen dann noch weiter aufzuteilen, ist sinnlos und funktioniert auch logistisch nicht.“
Dass manche Bürger und deren politische Vertreter dies als ungerecht wahrnehmen und in benachbarten Kreisen bald unterschiedliche medizinische Standards herrschen werden, ist in Stuttgart noch nicht angekommen. Mit dem Brief des Konstanzer Landrats kann sich das ändern – dann wäre die Ungleichbehandlung mindestens aktenkundig.
In Sigmaringen ist man guter Dinge
Deutlich entspannter sieht man das Thema in Landkreisen mit geringerer Bevölkerungszahl: „Das Land hatte von Anfang an angekündigt, dass alle Kreisimpfzentren gleich viel Impfstoff erhalten“, sagt Tobias Kolbeck, Pressesprecher des Landkreises Sigmaringen, auf die ungleiche Verteilung angesprochen.
Bis Mitte März will man dort mit den Pflegeheimen mit beiden Impfungen durch sein. Danach werden die mobilen Impfteams Pflege-WGs und Tagespflegeeinrichtungen besuchen.
Viele ältere Menschen im Bodenseekreis
Im Bodenseekreis sieht man die Problematik, aber bewertet sie weniger dramatisch. „Es wurde tatsächlich im groben Raster verteilt, aber man muss auch bedenken, dass man an kein bestimmtes Impfzentrum gebunden ist“, sagt Pressesprecher Robert Schwarz. Er schränkt allerdings ein: „Für die Menschen, für die eine weite Anfahrt eine Hürde ist, ist das Verteilsystem tatsächlich ein Nachteil.“ Mit 216.000 Einwohnern liegt man im mittleren Bereich.
Allerdings wohnen im Kreis viele ältere Menschen – etwa 20.000 Menschen zählen dort zur ersten Impfgruppe. „Viele Menschen verbringen traditionell hier ihren Lebensabend, weil es am Bodensee so schön ist. Deshalb gibt es hier auch eine hohe Dichte an Pflege- und Betreuungseinrichtungen“, sagt Pressesprecher Robert Schwarz, der aber vom Land deshalb nicht mehr Impfstoff erwartet: „Das alles im Detail zu berücksichtigen, ist sicher schwierig.“
Braucht es die Zentralen Impfzentren noch?
Der Schwarzwald-Baar-Kreis (212 300 Einwohner) will bis zum 19. März alle Pflegeeinrichtungen mit Erst- und Zweitimpfung versorgt haben. Man liegt also nicht schlecht in der Zeit. Dass das Land den Impfstoff mit Gießkanne verteilt, kommt auch im Landratsamt in Villingen-Schwenningen nicht gut an. Für die eigenen Einwohner möchte man natürlich möglichst viele Impftermine anbieten, sagt Pressesprecherin Heike Frank. Einen Vorschlag zur Lösung des Problems liefert sie gleich mit: „Eine Lösung könnte sein, dass die Zentralen Impfzentren aufgelöst und der ihnen zugeteilte Impfstoff auf die Kreisimpfzentren zur Verimpfung übergeht.“