Während in Deutschland noch helle Aufregung darüber herrscht, dass die Schweiz die bilateralen Verhandlungen mit der EU zu einem Rahmenabkommen abgebrochen hat, geht nun auch der Flughafen Zürich aufs Ganze. Folgt man einem Antrag des Verwaltungsrats der Flughafen-AG, dem der Regierungsrat des Kantons Zürich bereits zugestimmt hat, so wird der Airport in den kommenden Jahren seine Starts und Landungen über den Osten und Norden des Landes ausrichten. Die Folgen dieser Investition könnten in Süddeutschland deutlich zu spüren sein.
Denn der Antrag besagt, dass die Pisten 28 in Ost-West-Richtung und 32 in Richtung Norden verlängert werden. Eine klare Nord- und Nordwest-Ausrichtung des elf Kilometer von der Grenze entfernten Airports würde deutlich mehr Flugbewegungen über Südbaden mit sich bringen. Allein bei den Landungen ginge es um jährlich 135.000 Flugbewegungen statt der bislang 105.000 über Süddeutschland abgewickelten Flüge – eine Zunahme um 30 Prozent.
Stolze 250 Millionen Schweizer Franken will der Flughafen dafür in die Hand nehmen. Keineswegs Peanuts für einen Airport, der nach Corona mit Rückgängen etwa im Geschäftsreiseverkehr zu kämpfen hat.

Auf politischer Ebene ist es auffällig ruhig
Die Reaktionen politischer Mandatsträger aus der Region sind verhalten. Während der Waldshuter CDU-Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner, selbst Vorsitzender der Deutsch-Schweizerischen Parlamentariergruppe, in einer Mitteilung nun eine „Diskussion mit der deutschen Seite“ fordert, äußert SPD-Umweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter Skepsis gegenüber einer weiteren Auslagerung des Zürcher Fluglärms und bilanziert: „Der Klimawandel zwingt uns eigentlich zum Umdenken im Luftverkehr, aber niemand garantiert, dass wir am Ende des Tages unter dem Limit bleiben. Und dann sind neuen Ausnahmen wieder Tür und Tor geöffnet.“ Von den Grünen, die eigentlich den Flugverkehr drosseln wollen, kommt indes gar nichts.
Bern arbeitet strategisch langfristig
Deutlich zielgerichteter ist dagegen die Arbeitsweise in Zürich und Bern. So begründet der Flughafen die Neuausrichtung mit mehr Sicherheit im Flugverkehr, einer Verbesserung der Pünktlichkeit und sogar einer Reduzierung des Fluglärms, was aber nur für den dichter besiedelten Süden gilt.
Neu sind die Pläne für den Pistenausbau aber keineswegs. Sie gehen zurück auf das Jahr 2011, was schon zeigt, dass die Eidgenossen einen langen Atem bei ihren Planungen haben. Damals waren sich zwei startende Passagiermaschinen auf zwei Kreuzungen gefährlich nahe gekommen.
Eine Untersuchung führte zu dem Ergebnis: Nur ein Entzerren von Starts und Landungen und damit eine konsequente Nordausrichtung werde deutlich mehr Sicherheit bringen. In Südbaden wurden solche Überlegungen damals brüsk zurückgewiesen, weil man statt der seit Jahren erhofften Reduzierung im Gegenteil sogar noch eine Ausweitung der Flugverkehrsbelastung fürchtete.
Beruhigende Worte im Koalitionsvertrag
Während die Schweiz ihre diplomatischen Drähte nach Berlin, Stuttgart und bis in die Region hinein gekonnt nutzte, gab es auf deutscher Seite, wenn überhaupt nur verdeckte Impulse, um das Problem für die Menschen in Südbaden zu lösen. Zwar tauchte in den Stuttgarter Koalitionsverträgen drei Mal das Bekenntnis zur Reduzierung des Flugverkehrs auf. Doch die grünschwarze Regierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann fuhr mit Blick auf die Verringerung der Flugverkehrsbelastung einen wenig glaubhaften Kurs gegenüber der Schweiz.
So bestätigt das Landesverkehrsministerium auf Nachfrage, die Landesregierung habe „den klaren Auftrag im Koalitionsvertrag, die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner im Süden Baden-Württembergs im Sinne der Stuttgarter Erklärung zu schützen.“ Ein solcher Passus stand aber schon in drei Koalitionsverträgen. Doch umgesetzt wurde er bis heute nicht.

Wie nah man sich aber zwischen Bern und Zürich auf der einen und Stuttgart auf der anderen Seite inzwischen ist, lassen Schreiben vermuten, die im Zusammenhang mit der Ertüchtigung des Pistensystems am Flughafen Zürich öffentlich wurden. Besonders Stuttgart setzt inzwischen auffallend großes Vertrauen in die Rücksichtnahme Zürichs bei dem neuen Betriebsreglement des Flughafens.
So verzichtet man darauf, eine sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung (UvP) über den Millionen Franken teuren Bau von Pistenverlängerungen, Schnellabrollwegen, und eine aufwendige Umrollung der Piste 28 am Flughafen Zürich für die grenznahen deutsche Region einzufordern, obwohl gerade nur eine solche Prüfung Auskunft über die Folgen der Airport-Pläne geben könnte. Wolfgang Schu von der Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung am Hochrhein ist sich sicher: „Eine solche Prüfung müsste die Schweiz laut Espoo-Vertrag liefern.“
Das Beispiel Hinkley Point lässt die Alarmglocken schrillen
Die BI strengte daher ein Verfahren in Genf an. So bekennen sich die Unterzeichnerstaaten der Espoo-Konvention, zu denen Deutschland und die Schweiz gehören, zu einem grenzüberschreitenden Beteiligungsverfahren im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Bekannt wurde in dem Zusammenhang etwa der Fall Hinkley.
Britische Behörden hatten im Jahr 2013 eine Erweiterung des Kernkraftwerks Hinkley Point um zwei weitere Reaktoren genehmigt, ohne ein Beteiligungsverfahren mit den Nachbarn einzuleiten. Erst auf Druck internationaler Gremien räumte Großbritannien dies ein, so dass auch das Bundesland Niedersachsen als Nordseeanrainer teilnehmen konnte.
Auf gute Nachbarschaft
Doch weder Berlin noch Stuttgart haben von der Schweiz eine solche Studie aktiv gefordert. Will man hier Ärger mit dem Nachbarn aus dem Weg gehen, wo die Lufthansa, deren größter Anteilseigner seit der Corona-Pandemie die Bundesrepublik Deutschland ist, einen wichtigen Hub unterhält?

Auffallend ist in dem Zusammenhang, dass die Bundesregierung just zu diesem Zeitpunkt deutlich macht, dass sie einen formlosen Dialog mit der Schweiz einer stukturierten Umweltverträglichkeitsprüfung vorzieht. Das geht aus dem gerade erschienenen Schluss-Bericht des Ausschusses hervor, der sich bei der Unece in Genf über zwei Jahre lang um Klarheit bemüht hatte. Darin weist das Gremium beton darauf hin, dass Deutschland nicht bereit war zu untersuchen „ob eine erhebliche nachteilige grenzüberschreitende Auswirkung durch die vorgeschlagenen Aktivitäten wahrscheinlich“ sei.
Da war es fast zu erwarten, dass der Abschlussbericht, wie die Kommission süffisant anmerkt, in Abwesenheit des deutschen Ausschussmitgliedes verfasst wurde. Zu den Gründen der Vorgehensweise gab das Bundesverkehrsministerium auf Nachfrage des SÜDKURIER keine Erklärung ab.