Freiheit kann man messen. In Zahlen oder Fläche. Die Freiheit von Silvia Eha ist ein fahrender Kasten mit einer Fläche von sieben Quadratmeter. In dem Kasten stehen zwei gesäßfreundliche Sessel und ein dominantes Lenkrad. Das ist der Arbeitsplatz der 50-Jährigen. Ihren 40 Tonnen schweren Lastwagen steuert sie von diesem High-Tech-Fahrerhaus aus.
Silvia erklärt in ihrem vorzüglichen Schwäbisch, warum sie hinter dem riesigen Steuer sitzend täglich ihre zehn bis zwölf Stunden herunterreißt. Sie muss das nicht machen, sie will es. Wer jetzt eine Story über Mitleid und unwürdige Arbeit und Überstunden erwartet, ist an der falschen Adresse. Die Frau fährt leidenschaftlich gerne die großen Geräte mit mehr als drei Achsen.
Heute fährt sie Beton statt Brezeln durch die Lande
Der Brummi kann ihr nicht groß genug sein. Am Anfang ihrer Laufbahn fuhr sie noch Backwaren mit einem Transporter aus. Es war ihr bald zu wenig, die Körbe mit warmen Weckle um drei Uhr morgens vor die Filialen zu stellen. Jetzt sitzt sie auf ihrem großen Lastzug. Beton statt Brezeln, das hat ein anderes Drehmoment. Über den Wechsel von Fahrzeug und Transportgut freut sie sich bis heute.
Zur Zeit vertraut sie einem MAN TDX mit 460 PS und mit Automatikschaltung. „Die Automatik kannscht vergessen, wenn‘s d‘r Berg na goht,“ sagt sie im Klartext. Bei Talfahrt schaltet die Truckerin besser von Hand.
In der Fabrik fiel ihr das Dach auf den Kopf
Silvia Eha stammt aus Schömberg im Zollernalbkreis. Das ist der Ort mit einer hohen Häufung von Originalen, dem weitbekannten Stausee und einer Fasnacht, die ihresgleichen sucht. Das sagen mindestens die Schömberger. Nach der Schule lernte Silvia Einzelhandelskauffrau, ihr Lehrbetrieb war auf Kindermoden spezialisiert. Später ging sie in eine Fabrik und stand am Band. „Da fiel mir das Dach auf den Kopf“, erinnert sie sich. Der Lohn war in Ordnung. Doch drückte die Langeweile, während sie mechanisch Metallteile durch ihre Finger gleiten ließ. Etwas Neues musste her, das ihrem Bewegungsdrang gerecht wurde.

Die kräftige Frau entschied sich für einen Beruf, in dem Frauen so häufig sind wie in der Jägerei. Also wurde sie Kraftfahrerin. Das Geradeausfahren war kein Problem, aber das Rückwärtsfahren mit Hänger oder Aufleger schon anspruchsvoller. „Das Einparken musste ich erst lernen“, berichtet sie über die ersten Fahrstunden. Der Fahrlehrer war geduldig. Über ihre männlichen Kollegen, häufig einen Kopf größer, spricht sie nur Gutes. „Die waren immer hilfsbereit“, sagt sie – und stolz darauf, dass eine Frau die eingefleischte Zunft aufmischt.
Ihr Fahrerhaus erinnert sie an die USA
Wir sitzen im Fahrerhaus ihres MAN TDX. Ein komfortables Gehäuse mit guter 180-Grad-Sicht, Schlafkoje, Kaffeemaschine. Körperliche Kraft benötigt sie höchstens für das Beladen oder das Löschen. Das Lenken der dieselgetriebenen Bullen wird zum Kinderspiel. Dank Servolenkung, zahlreichen Helferlein und unsichtbaren Motoren.
Wir reden über Freiheit. Während die Kaffeemaschine blubbert, erklärt Silvia, warum sie bis zum 67. Lebensjahr den Brummi steuern wird. Es hat mit ihrem Bild der Vereinigten Staaten zu tun, das sich extrem vom Antiamerikanismus abhebt. Sie liebt die USA, ihre Landschaften und Menschen. „Die Weite imponiert mir“, sagt sie. Die gebe es in Baden-Württemberg nicht, und schon gar nicht auf den Straßen.

Kreuz und quer durch die Staaten
Auch deshalb war sie schon ein Dutzend Mal drüben. Mit ihrem Freund Rudolf hat sie das Land bereist. Die endlosen Landschaften mit einsamen Tankstellen im Mittleren Westen ebenso wie wuchernde Autobahnkreuze. Sie erlebte Nordamerika als ausgefaltete Straßenkarte mit vielen weißen Flecken. Ein Roadmovie mit Mietwagen, Caravans und Wohnmobilen. Und immer: Straße, rollende Räder, Bewegung.
Nach Freiheit ist ihr auch zumute, wenn sie für ihren Arbeitgeber Trockensand durch die Lande schaukelt. Spedition Sievert ist in der Bauwirtschaft tätig und karrt für Baufirmen feine Kalkprodukte durch die Lande. Silvia ist eine der Fahrerinnen dort, man muss es einmal krass sagen: Manches Grundstück bliebe unbebaut, wenn sie nicht jeden Werktag um 4.15 Uhr den Turbodiesel starten würde.
Am frühen Morgen ist die Trucker-Welt noch in Ordnung
4 Uhr 15 ist keine Allerweltszeit. Damit sie morgens fit ist, geht sie früh ins Bett (ins „Nescht“, wie sie sagt). Ihre Arbeit tritt sie stets dezent geschminkt an. „Das ist mir wichtig“, sagt sie. Die Frau genießt die Ruhe, wenn sie über fünf kurze Eisentritte in den weißen MAN klettert. Die B 27 ist so gut wie menschenleer, keine Abgase trüben den Morgen. Bis der blütenweiße MAN mit einer Frau am Steuer das Werksgelände verlässt und losbrettert.
Ihr Siloaufleger hat seinen festen Standort bei Dotternhausen. Sie muss also nicht auf dunklen Standstreifen oder auf Rastplätzen übernachten. Das nimmt sie sich heraus. „Ich brauche jeden Abend mein eigenes Bett“, sagt sie.
Kalk, ein begehrter Rohstoff
Dotternhausen kennt nicht jeder. Der Ort im Zollernalbkreis liegt am Fuß der Schwäbischen Alb. Das Dorf ist reich geworden durch die Ausbeutung des Plettenbergs. Der Kalk wird oben abgebaut, durch Gondeln ins Tal geführt und dort zu Baumaterial verarbeitet. Die Regie hat inzwischen der Schweizer Konzern, der auch in Geisingen (Kreis Tuttlingen) schürft. Was auch gesagt gehört: Der Kalkabbau ist hoch umstritten, da Holcim nach Einschätzung vieler Bürger die entstehenden Löcher nicht in dem Maße begrünt, wie es ökologisch richtig wäre.

Die Tour wiederholt sich. Dotternhausen, Schramberg, Hausach im Kinzigtal, Malsch bei Karlsruhe, Winterthur im Kanton Zürich. In diesem Viereck schiebt Silvia das wertvolle Material durch die Gegend. 13 Tonnen wiegt das Zugfahrzeug leer, 27 Tonnen Sand oder Zement darf sie in den Silo laden. Die europaweiten Touren ihrer Kollegen Fernfahrer hat sie nicht.
Der Frühling im Kinzigtal
Zwischen Nordschweiz, Oberrhein und Schwaben schaukelt sie tonnenweise Edelstaub von A nach B. „Ich sehe viel von der Natur“, sagt sie fest. Im Kinzigtal schaut sie aus dem Fenster und stellt fest: „Da unten ist es einen Kittel wärmer als bei uns auf der Alb.“ Das ist ihre Freiheit. An der Vorderscheibe des Fahrerhauses klemmen zwei Schilder. Auf einem steht „Silvia“, auf dem anderen „Silli“. Ihr Spitzname.
Was das mit Freiheit zu tun hat? Das Material staubt, der Verkehr stockt, der Lkw steckt immer wieder in Warteschleifen fest. Freiheit? „Im Fahrerhaus habe ich meine Ruhe“, sagt sie. Sie fährt alleine, ohne Rudi, denn mit Rudi wäre sie nicht mehr alleine. Wer von unten in die Kajüte schaut, übersieht die kleine Frau.

„Trucker Babes“ – das Fernsehen lässt grüßen
Silvia hockt nicht alleine auf dem Bock. Immer mehr Frauen erobern die Welt der Scania, Volvo oder MAN. Der Privatsender Kabel strickt daraus eine ganze Serie. „Trucker Babes – 400 PS in Frauenhand.“ Darin sieht und hört man Lkw-Fahrerinnen, die meisten von ihnen blond, tätowiert, in engen Hosen. Sie sehen anders aus wie Silvia in ihrem schwarzen Arbeitsdress, den ihr die Spedition in den Spind hängt.

Und doch: Sie findet die lärmige Serie erstklassig. Ihren Alltag findet sie in den krawalligen Szenen wieder. Die Frauen fluchen und zeigen gerne ihre tätowierten Unterarme. Auch Silvia flucht, sagt sie im Gespräch, immer wenn die Situation danach ist. In ihrer rollenden Kammer genießt sie Redefreiheit.
„Das ist maximal authentisch“, sagt die Produktionsfirma
Die Produktionsfirma findet die kessen Chauffeurinnen über Facebook, berichtet Christine Franke (Story House Productions). Und, nein, die Situationen seien nicht gestellt. „Wir bilden maximal authentisch den Beruf der Truck-Fahrerinnen ab – auch wenn das von uns absolute Flexibilität verlangt. Auf der Tour heißt es dann immer: Augen auf und dabei sein“, schildert Franke auf Anfrage des SÜDKURIER. Die Fahrerinnen erhalten übrigens ein Honorar für ihre Darbietung, Fluchen inklusive. In Fahrerkreisen hat sich das Format herumgesprochen. Inzwischen melden sich viele Frauen, die an der Serie mitschrauben wollen.

Silvia hat sich nicht gemeldet und sie hat es auch nicht vor. Aber sie ist froh, dass sich das Fernsehen für ihren Beruf interessiert. Auch deshalb, weil die Filme manchen schwachen Punkt des Jobs zeigen: Wer viel fährt, befindet sich in Gefahr.
Ein Auto rasierte den riesigen Tank ab
Sie hatte in ihren 21 Berufsjahren bisher Glück. Nur einmal knallte es empfindlich. Sie war unschuldig, wie das bei den meisten Unfällen mit Lkw-Beteiligung der Fall ist, aber passiert ist es halt trotzdem. Ein Auto hatte sie im Winter überholt, rutschte ab und prallte in die Seite des Siloauflegers. Der Tank riss ab. Menschen kamen nicht zu Schaden. Der Schrecken bleibt, er fährt bis heute mit.

Sie packt ein Foto aus. Auf dem Foto sitzt sie breit auf einem motorisierten Dreirad, die in den USA erfunden wurden. Silvia hängt mit Cowboyhut im Triker, ein fahrender Liegestuhl. Daneben steht ihr Freund Rudolf. Er könnte auf dem Hilfssitz Platz nehmen und mitfahren, wenn Silvia das will. Doch wahrscheinlich wird sie alleine losfahren und richtig Gas geben.